Es scheint paradox: Während die Deutschen in Scharen vor dem Winter an die Strände der Dominikanischen Republik flüchten, während Gerhard Schröder im Kanzleramt seiner Leidenschaft für kubanische Zigarren frönte, während in den zurückliegenden Koalitionsverhandlungen das Wort von der Jamaika-Koalition die Runde machte, während Wim Wenders Dokumentarfilm "Buena Vista Social Club" eine Welle der Begeisterung für kubanische Musik entfachte und die Tanzschulen allenorten Salsa-Kurse anboten, während Jonny Depp in der Rolle des Piratenkapitäns Jack Sparrow im "Fluch der Karibik" ein Millionenpublikum in den Kinos amüsierte, während Trinidad und Tobago in deutschen Fußballstadien dieses Jahr ihr WM-Debüt geben werden, während in Cocktailbars "Cuba libre" geschlürft wird, während deutsche Sportreporter von den langen Beinen karibischer Sportschönheiten wie Marlene Ottey schwärmen, während auf den Musiksendern MTV und VIVA Megastars wie Jennifer Lopez und Ricky Martin auf der "Latino-Welle" surfen, während das Konterfei von Ché Guevara auf T-Shirts wie eine Pop-Ikone durch die Fußgängerzonen getragen wird und Eltern über die Dread Locks ihrer Töchter und Söhne stöhnen, spielt gleichzeitig jene Region, in der all diese Phänome ihren Ursprung finden, in der politischen Wahrnehmung eine eher untergeordnete Rolle. Überall herrscht unbeschwertes "Bacardi"-Feeling und wird "Kuba flüssig" in einer Flasche "Havanna Club" verkauft, wie es die gleichnamigen Rum-Marken in ihrer Werbung versprechen. Von Problemen keine Spur.
Das war nicht immer so: 45 Jahre liegt es nun zurück, dass man auch in Deutschland gespannt - aber vor allem ängstlich - in die Karibik sah. Der Blick richtete sich 1962 auf Kuba, das drei Jahre zuvor bereits schon einmal das Interesse der Weltöffentlichkeit erregt hatte, als ein junger Guerilla-Führer namens Fidel Castro nach sechs Jahren Bürgerkrieg der Batista-Diktatur ein Ende bereitet hatte. Doch die anfänglichen Sympathien für die ku- banische Revolution wichen schnell dem blanken Entsetzen, als die Sowjetunion auf der Karibikinsel atomwaffenfähige Raketen stationierte, mit denen sie die USA direkt bedrohen konnte. Die Welt stand am Rand eines Nuklearkrieges. Mit der Beilegung der Kuba-Krise verschwand die karibische Inselwelt wieder aus dem Blick - zumindest in Deutschland. Auch wenn sich die US-Intervention 1977 auf Grenada wie eine Miniatur-Neuauflage des Dauerkonfliktes zwischen der USA und ihrem sozialistischen Herausforderer vor der eigenen Haustür ausnahm.
Doch abseits der größeren und kleineren politischen Erdbeben "erfreuen" sich die karibischen Inseln in Deutschland bis heute vor allem der gängigen Klischees eines Urlaubsparadieses. Die Schattenseiten geraten dabei schnell aus dem Blick. Man horcht kurz auf, wenn die Diktatur eines "Papa Doc"-Duvalier oder eines Aristide auf Haiti ein Ende findet, um die Information anschließend unter dem Schlagwort "Bananenrepubliken" abzulegen.
Im vergangenen Jahr schließlich kehrte die Karibik jedoch auf drastische Weise in das Bewusstsein zurück. Eine Reihe schwerer Hurrikans forderte eine große Anzahl Menschenleben und richtete katastrophale Schäden in den Küstenregionen der Karibik an - die Deutschen verfolgten es schockiert an den Fernsehgeräten. New Orleans stand dabei - sicherlich nicht zu Unrecht - im Zentrum des Interesses. Doch die Inseln, die in immer kürzer werdenden Abständen unter den schweren Tropenstürmen leiden, fanden in der Berichterstattung - sicherlich zu Unrecht - deutlich weniger Beachtung. Dabei stellen die Hurrikans gerade für die Armenhäuser der Karibik eine Ungleich schwerere Belastung dar als für die USA.
Diese Ausgabe soll deshalb ein Anreiz sein, sich intensiver mit der karibischen Inselwelt, ihren schönen Seiten aber auch mit ihren Problemen zu befassen. Denn wo es viel Sonne gibt, gibt es auch viel Schatten.