Die Kanzler-Verehrung ist eine von vielen Facetten, die in dem interessanten Sammelband zu finden sind. Herausgeber Ulrich von Hehl hat Abschlussarbeiten versammelt, die unterschiedlichste "Beiträge zur Geschichte der Universität Leipzig vom Kaiserreich bis zur Auflösung des Landes Sachsen 1952" aufblättern. Die Vorreiterrolle der sächsischen Modelle der Lehrerbildung (die Einführung eines Hochschulstudiums zusätzlich zur Seminarausbildung), das Personalabbaugesetz von 1923/24 und das Frauenstudium sind nur einige dieser Aspekte.
Sehr anschaulich beschrieben wird die Situation der Universität im Ersten Weltkrieg, als Dozenten sich patriotischer Bekundungen und vaterländischer Betätigungen befleißigten, während bis zu 85 Prozent ihrer Studenten sich im Kriegs-Dienst befanden und Studentinnen in der Rüstungsindustrie arbeiteten. Der Erste Weltkrieg sei zwar nicht "die allesumwälzende Katastrophe" gewesen, lautet das Fazit, aber auch nicht spurlos an der Hochschule vorbeigegangen, die mit "Liebesgaben" (Bücher, Tabak, Süßigkeiten) die Verbindung zu den Studenten im Krieg hielt.
Spannend wird es mit der Zeit nach 1933. Bereits am 30. März 1933 gründete sich ein "Nationaler Ausschuss für die Erneuerung der Universität Leipzig"; die Studenten riefen zur "Säuberung der deutschen Hochschulen" auf und trugen mit Denunziationen und Vorlesungsboykotten zur Vertreibung missliebiger Dozenten bei. 1935 waren auch die letzten jüdischen Lehrkräfte in Leipzig aus ihren Ämtern verdrängt.
Carsten Schreiber schildert sehr anschaulich, wie sich im Reichssicherheitshauptamt eine Art "Leipziger Zelle" bildete. Absolventen der dortigen Philosophischen Fakultät, schon bei ihrer Immatrikulation politisch rechts festgelegt, wurden über den SD gezielt ins Nazi-Hauptamt geholt und als "geistiger Stoßtrupp in Leipzig geschult". Das Oberseminar "Praktische Poetik" von 1929/30 schildert Schreiber als "Keimzelle der Kulturpolitik des SD", ein Leipziger Doktorand wurde "Judenreferent" des SD. Diese Leipziger waren nicht "bloß" Vordenker oder Schreibtischtäter, "sondern setzten als SD-Führer in Osteuropa den Massenmord in die Praxis um". Ein beklemmendes Kapitel.
Für die Nachkriegszeit skizziert dann Markus Wustmann, wie zwischen 1947 und 1951 das Studium verschult und politisiert wurde. Zentrale Lehrpläne, kommunistische Bekenntnisfächer und "gesellschaftliche Arbeit" sollten der SED genehme Absolventen hervorbringen. Man nahm auch Einfluss auf die Zusammensetzung der Studentenschaft, alles mit dem Ziel der "Brechung des bürgerlichen Bildungsprinzips" und der Freiheit von Lehre und Forschung.
Eine interessante Ergänzung dazu bietet dann das Kapitel über den Leipziger Studentenrat in den Jahren 1947/48. Hauptstreitpunkt wurde die von der SED betriebene Bevorzugung von Arbeiterkindern zum Studium. Eine "AG demokratischer Studenten" wehrte sich dagegen, dass gesellschaftliches Engagement vor Eignung und Leistung gehen sollte. Der damalige Rektor Hans-Georg Gadamer versuchte in dieser Auseinandersetzung einen Mittelweg, den man auch Schlingerkurs nennen könnte: Er nannte das Arbeiterstudium eine politische und soziale Notwendigkeit, mahnte gleichzeitig aber die Arbeiterstudenten, die Universität sei der falsche Ort, um Klasseninteressen durchzusetzen. Es kam, wie bekannt, anders.
Ulrich von Hehl (Hrsg.)
Sachsens Landesuniversität in Monarchie, Republik und Diktatur.
Beiträge zur Geschichte der Universität Leipzig vom Kaiserreich bis zur Auflösung des Landes Sachsen 1952.
Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2005; 585 S., 48,- Euro