Kälte und Schnee können den Demonstranten nichts anhaben: Seit Wochen protestieren Studierende, Gewerkschafter und Schülerorganisationen bundesweit gegen Studiengebühren. Vor allem in den Bundesländern, die beim Bezahlstudium die Vorreiterrolle übernommen haben, ist die Resonanz hoch: In Nordrhein-Westfalen, Hamburg und Baden-Württemberg gehen jeweils mehrere tausend Menschen auf die Straße, weitere Demonstrationen gab es in Bayern, Sachsen-Anhalt und Niedersachsen. "Wir werden den Druck auf die Politik immer weiter erhöhen", kündigte Amin Benaissa vom Aktionsbündnis gegen Studiengebühren bereits an. Anhaltende Proteste werde es auch im neuen Jahr geben. Und Regina Weber vom Dachverband "freier zusammenschluss von studentInnenschaften" (fzs) betonte: "Es gibt in der Gesellschaft eine Mehrheit gegen Studiengebühren. Die Politik muss sich dieser Mehrheit endlich beugen."
Das sieht die Politik anders. Die Wissenschaftsminister in den Ländern sind sich weitgehend einig: An sozialverträglichen Studiengebührenmodellen führt kein Weg vorbei. "Selbst mit Gebühr wird ein Studium künftig für jeden möglich bleiben", sagt Peter Frankenberg (CDU), Wissenschaftsminister in Baden-Württemberg, der für sein Land mit jährlich rund 150 Millionen Euro rechnet. Und FDP-Minister Andreas Pinkwart aus Nordrhein-Westfalen betont, dass die Universitäten und Fachhochschulen direkt davon profitieren, wenn sie ab dem Winter 2006 bis zu 500 Euro pro Student und Semester verlangen können: "Das dient allein dem Ziel, dass möglichst schnell die Qualität der Lehre für die Studenten verbessert wird."
Wer 500 Euro im Semester zahle, decke damit rund ein Zehntel der Kosten für seinen Studienplatz, rechnet Frankenberg vor. Und er verheimlicht nicht, dass dieser Beitrag von den Bildungs- und vor allem Finanzpolitikern durchaus als Entlastung begriffen wird - schließlich sind die Länder, die rund 90 Prozent der Hochschulkosten tragen, notorisch klamm und deshalb ziemlich geizig, wenn es um Mehrausgaben für die Hochschulen geht. Immerhin geht es um jährlich gut 19 Milliarden Euro, die die Hochschulen für Forschung und Lehre ausgeben.
1980 wurden in der Bundesrepublik umgerechnet 4.600 Euro pro Student ausgegeben, im Jahr 2001 waren es dann schon 6.300 Euro. Doch der vermeintliche Anstieg ist gar keiner, hat die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) errechnet: "Unter Berücksichtigung der Preisentwicklung sind die Ausgaben für die Lehre je Studierenden um 15,4 Prozent zurückgegangen", heißt es in einer HRK-Stellungnahme zur Hochschulfinanzierung.
Trotzdem ist die Belastung für Unis und Fachhochschulen in den vergangenen Jahren noch größer geworden: Die Mittel für den Hochschulbau wurden gekürzt, die Studierendenzahlen dagegen haben mit gut zwei Millionen einen Höchststand erreicht und könnten in den nächsten fünf Jahren sogar auf bis zu 2,5 Millionen steigen. "Das deutsche Hochschulsystem kann einen solchen neuen Studierendenberg nicht verkraften", sagt der vor kurzem zurückgetretene HRK-Präsident Peter Gaehtgens und warnt die Politiker davor, auf Taschenspieler-Tricks zurückzugreifen: Die "bloße rechnerische Erhöhung der Kapazitäten oder die Erhöhung der Lehrverpflichtungen für Professoren und Dozenten" sei der falsche Weg, um eine ausreichende Hochschulausstattung vorzugaukeln.
So ähnlich hatten es die Bildungspolitiker Ende der 70er-Jahre nämlich schon einmal gemacht. Damals kam die Idee von der "Untertunnelung des Studentenbergs" auf, nachdem die Öffnung der Hochschulen zu einem unerwarteten Ansturm auf die Studienplätze geführt hatte. Aussitzen und abwarten hieß seinerzeit die Devise - und bis heute ist das Ende des damals gegrabenen Tunnels noch nicht erreicht. Beispiel Bochum: Mitte der 60er-Jahre war die dortige Ruhr-Universität für maximal 18.000 Hochschüler gebaut worden, heute ist fast die doppelte Zahl eingeschrieben. Für diesen rechnerischen Überhang gab es in den vergangenen Jahren genauso wenig Geld wie für die Unterhaltung der 60er-Jahre-Betonbauten - mit der Konsequenz, dass allein in Bochum ein Reparaturstau von mehreren hundert Millionen Euro aufgelaufen ist. "Undichte Flachdächer, bröckelnder Beton, sichtbare und angerostete Moniereisen, lockere Bodenplatten, schiefe Treppen", nennt Bochums Pressesprecher Josef König einige Folgen. Hinzu kommen Probleme mit Asbest- und PCB-verseuchten Gebäuden, maroden technischen Anlagen und undichten Fenstern. Seit vergangenem Jahr läuft nun für eine Milliarde Euro die dringend notwendige Komplettsanierung, die die Bochumer Uni noch jahrelang beschäftigen wird.
Dabei ist der enorme Geldbedarf in Bochum nur ein Einzelfall. Weil Gebäude, Technik und Personal an den Hochschulen die Haushalte in allen Bundesländern so massiv belasten, suchen die Finanzminister auch nach anderen Wegen, um ihre Budgets zu entlasten:
Eine schnelle Besserung der finanziellen Situation ist also, zumindest kurzfristig, nicht in Sicht. Der Deutsche Hochschulverband (DHV) hat deshalb einen radikal neuen Finanzierungsvorschlag ins Gespräch gebracht: Ähnlich wie bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sollten auch bei den Hochschulen unabhängige Sachverständige darüber befinden, welcher Finanzbedarf tatsächlich vorliegt. "Die Hochschulen melden auf der Basis von Forschungs- und Entwicklungsplänen ihren Finanzbedarf an, die Kommission überprüft die Bedarfsanmeldung der Hochschulen und entwickelt einen konkreten Vorschlag über den Zuschuss für die nächsten vier Jahre", beschreibt DHV-Präsident Bernhard Kempen das Verfahren.
Natürlich könnten sich die Länderparlamente über diesen Vorschlag auch hinwegsetzen - wären dann aber gegenüber den Hochschulen und der Öffentlichkeit erklärungspflichtig. Für Bernhard Kempen hätte diese Regelung den Charme, dass "die politische Verantwortung für die Finanzierung der Hochschulen transparent wird und gleichzeitig verhindert wird, dass diese Verantwortung unzulässigerweise auf die Hochschulen abgeschoben wird."
Die Resonanz auf den DHV-Vorschlag allerdings blieb bisher gering, auch wenn Kempen hofft, dass die Idee im Rahmen der Föderalismus-Reform noch einmal aufgegriffen wird. So kommen konkrete Änderungen in Sachen Hochschulfinanzierung derzeit vor allem auf die Studierenden zu: Spätestens ab 2007 werden die meisten von ihnen mit Studiengebühren zur Kasse gebeten.
Der Autor ist freier Wissenschaftsjournalist in Köln.
Informationen im Internet unter:
www.hrk.de/brennpunkte;
www.hochschulverband.de