Werke schließen, Arbeitsplätze werden nach Osten verlagert. Als Medizin gegen den fiebernden globalen Wettbewerb verschreiben die Ökonomen "Innovationen". Doch das erfordert erst einmal verstärkte Anstrengungen in Forschung und Entwicklung - eine Herausforderung angesichts leerer Staatskassen. Wie kann Deutschland dennoch seinen Spitzenplatz in der Forschung behaupten? Ein Weg ist die bessere Vernetzung von Hochschulen und Wirtschaft.
Um das zu fördern, hat der Stifterverband der Deutschen Wissenschaft fünf Jahre lang neun "universitäre Forschungsinitiativen" mit rund 5 Millionen Euro unterstützt. Bei der Auswahl der Projekte wurde darauf geachtet, dass die Universitäten die treibende Kraft waren. Die Auswertung konzentrierte sich auf die Organisationsstrukturen und deren Nachhaltigkeit, also ob der dauerhafte Fortbestand der Kooperation gesichert war, sowie Konfliktmanagement und Controlling. "In meinen Augen ist die Nachhaltigkeit das wichtigste Kriterium zur Erfolgsmessung", sagt Martin Stirzel vom Wirtschaftsforschungsinstitut IPRI. Er nahm im Auftrag des Stifterverbands die Projekte unter die Lupe. Besonders gut schnitt in diesem Punkt das "Kompetenzzentrum Funktionaler Strukturleichtbau" an der Universität Chemnitz ab. "Existenz dauerhaft gesichert", wurde in der Evaluierung vermerkt.
Das Kompetenzzentrum startete mit acht Partnern, heute sind es 80 - meist kleine und mittelständische Firmen. Gemeinsam werden faserverstärkte Kunststoffe und dafür notwendige Fertigungstechnologien entwickelt. "Angesichts hoher Stahlpreise und sonstiger knapper Ressourcen wird das Thema der innovativen Faserverbund-Technologie im Maschinen- und Fahrzeugbau immer wichtiger", betont Professor Eberhard Köhler vom Institut für Allgemeinen Maschinenbau und Kunststofftechnik. Die drei tragenden Säulen des Netzwerks sind eigenständige Forschungsarbeit, Koordinierung der Themen und der Aufbau einer Datenbank mit Internetanbindung für Produkte und Technologien. "Wir haben einen Newsletter erarbeitet, der die Partner über Forschungsergebnisse informiert und an den sich auch Industriepartner mit Forschungsanfragen richten können", erklärt Köhler. In der Datenbank werden Informationen zu Partnern, Technologien, Tagungen und Forschungsprogrammen aufbereitet. Das größte Hindernis sei die dünne Eigenkapitaldecke der beteiligten Unternehmen. "Es dreht sich alles ums Geld", sagt Köhler. Er fordert mehr Förderprogramme für Forschung und Produktentwicklung kleiner - und mittelständischer Firmen.
Kontinuität in der Finanzierung ist ein Problem. Es mangelte in den Stifterverbandsprojekten an Beständigkeit, aber auch bei der Organisation. So wechselten häufig die Partner, Firmen gingen in Insolvenz, Wissenschaftler an andere Lehrstühle, andere verloren einfach das Interesse. In gemischten Forschungsverbünden komme es jedoch darauf an, Vertrauen aufzubauen, eine gemeinsame Sprache und Kommunikation zu finden, mahnt der IPRI-Mitarbeiter an. Ein anderes Defizit: Dem klassischen deutschen "Dr. Ing." fehlt es an wirtschaftlichen Kompetenzen. Wenn ein amerikanischer Ingenieur die Universität verlasse, wisse er, was Betriebswirtschaft ist, ein deutscher Absolvent dagegen nicht unbedingt, so die Kritik. Auch die Forscher in den Stifterverbandsprojekten wussten nur unzureichend über Rechtsformen und Gründungsmodalitäten Bescheid.
Auch wird eine ausreichende Spezialisierung vermisst. Jedes Hochschulinstitut versuche auf seinem Gebiet die ganze Palette des Wissens anzubieten. "Doch die Industrie sucht den absoluten Spezialisten", betont Stirzel. Die Fachbereiche sollten sich auf bestimmte Themen konzentrieren und sich untereinander abstimmen, über Bundesländergrenzen hinweg. Stirzel sieht dabei aber auch die Grenze - die Aufgabe der Lehre: "Dafür ist ein breites Spektrum an Wissen notwendig."
Professor Johann W. Bartha vom Institut für Halbleiter- und Mikrosystemtechnik der TU Dresden hält daher die zum Beispiel in Taiwan praktizierte Lösung für sinnvoll, Hochschule und Industrie auf einem Campus anzusiedeln. Die Ausbildung gewinne, denn die Studenten arbeiten an vorderster Front der Produktentwicklung mit. In der Forschung sei sichergestellt, dass ein Bedarf in der Wirtschaft da ist. "In Deutschland wird viel Energie vertan, weil die Forscher nicht wissen, womit die Industrie kämpft", so Bartha. Zumindest in der Mikroelektronik ist das in Sachsen anders. Unter der Federführung der großen Halbleiter-Hersteller hat sich 2000 das Netzwerk "Silicon Saxony" gegründet. Der inzwischen 205 Mitglieder zählende Verein verbindet die Großunternehmen mit den kleinen und mittelständischen Zulieferern, Dienstleistern, mit Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Ausgetauscht wird in verschiedenen Arbeitskreisen. Den für Forschung und Entwicklung leitet Professor Bartha. "Dort wollen wir hören, welche Aufgabenstellung die Industrie an die Wissenschaft richtet", sagt der Arbeitskreischef. Nach seiner Einschätzung ist das Netzwerk im europäischen Vergleich am weitesten fortgeschritten, und das ist auch ein Erbe der DDR. "Es gab keine Konkurrenz, die Türen waren offen", meint Bartha. Dadurch seien die Menschen in Ostdeutschland heute teamfähiger als andere. Das Netzwerk "Silicon Saxony" sei eine Plattform, auf die sich dieser Geist gerettet hat.
Jürgen Niklas, Professor für experimentelle Physik an der TU Bergakademie Freiberg, hat diese Plattform genutzt und dort seine Messmethode zur Defektanalyse bei Silizium-Wafern vorgestellt. Sie stieß auf solche Resonanz, dass Niklas und sein Partner Kay Dornich das Unternehmen "Freiberg Instruments" gründeten. Dies ist ein seltenes Beispiel dafür, wie schnell Ergebnisse aus der Grundlagenforschung ihren Weg vom Labor in die Produktion finden können. "In unserem Fall dauerte es vier Jahre. Dies ist für Deutschland schnell, im internationalen Vergleich allerdings sehr langsam", sagt Kay Dornich. Die Verzögerung liegt in bürokratischen Hürden und Hierarchien begründet. "Die Fachleute sind schnell überzeugt, doch bis die Ergebnisse in konkrete Projekte münden, vergeht oft ein Jahr", kritisiert Dornich. Das gilt für staatliche Einrichtungen wie für private Unternehmen. In China und Japan sind diese Vorbereitungszeiten viel kürzer.
Jürgen Niklas hat zuweilen auch ein "distanziertes Verhältnis" der Industrie zur Klärung von Grundlagen-Fragen festgestellt. "Dabei ist ihr Bedarf oft größer als ihnen bewusst ist", sagt der Physiker. Die Gründe sieht er im zu langen Schmoren im eigenen Saft und der Orientierung an kurzfristigen Geschäftsergebnissen. Stattdessen sollten Firmen konstant Kontakt halten zu Forschungseinrichtungen, auch in den Zeiten, in denen sie keine unmittelbare Unterstützung bei Tagesproblemen brauchen, rät Niklas. Zudem müsste die Zusammenarbeit langfristig angelegt sein. Unternehmen bezahlten Forschungsdienstleistungen gern durch kurzfristige Aufträge. Aber diese "Feuerwehrspritzen" seien nicht kompatibel mit der Politik an Hochschulen, solche Aufträge von Doktoranden erfüllen zu lassen. Damit aber eine Kooperation gut funktioniere, brauche man in den Firmen kompetente Ansprechpartner, mit denen sich fachlich hart diskutieren lasse. "Das setzt eine Grundlagenqualifikation voraus, und die ist nicht immer gegeben", betont Niklas. Innovationsfeindlich ist seiner Ansicht nach in der Forschungsförderung auch der zu starke Glauben an Schwerpunktthemen. "Dafür werden zum Beispiel in der Deutschen Forschungsgemeinschaft Einzelforschungsanträge zunehmend vernachlässigt." Doch die guten Ideen würden nicht immer in den dafür definierten Institutionen entstehen, gibt er zu bedenken.
Die Freiberger Forscher haben aber auch erfahren, wie in der Kooperation mit der Industrie ihre Freiheit eingeschränkt werden kann. "Wir mussten Abstriche bei der Wissenschaft machen und uns auf die Wünsche der Industrie einstellen", betont Dornich. Das betrifft auch die Verwertungsrechte der Ergebnisse. Oft wollen die Firmen die Patente. Oder sie halten das Wissen unter Verschluss und das blockiert Weiterentwicklungen.
Oft schrecken Firmen aber auch davor zurück, in den riesigen Hochschul-Apparaten den richtigen Ansprechpartner zu suchen. Bei der TU Dresden können Firmen die GWT Gesellschaft für Wissens- und Technologietransfer der TU Dresden mbH einschalten. Die 1996 gegründete Firma bietet überwiegend mittelständischen Firmen Auftragsforschung sowie Medizin- und Technologieservice an, übernimmt Berechnungen und vermarktet die Patente aller sächsischen Hochschulen. So sollte zum Beispiel die Firma Vertex GmbH ein Teleskop für ein Forschungskonsortium auf Hawaii bauen. Dieses wollte wissen, wie stark sich die sechs Meter langen Teleskopstangen verdrehen können und welche Folgen das für die Belastung und Steuerung hat. Da waren die Ante-nnenbauer aus Duisburg überfordert und holten die GWT, die auf Anhieb am Dresdner Fachbereich Maschinenbau die richtigen Experten fand. In sechs Monaten war das Problem gelöst. Dabei ist Vertraulichkeit vertraglich geregelt, "denn niemand will, dass wir herumerzählen, welche Probleme jemand mit seiner Produktion hat", sagt GWT-Sprecher Andre Klopsch.
Die Nachfrage nach Forschungsdienstleistungen ist so groß, dass die Gesellschaft von drei auf 200 feste Mitarbeiter gewachsen ist. "Wir sind heute einer der führenden Forschungsdienstleister und Patentverwerter in Deutschland", betont Klopsch. Das Geld, das die Gesellschaft erwirtschaftet, indem sie die Universität vermarktet, fließt zurück in Forschung und Lehre an der TU Dresden.
Nicht nur die Forschungsdienstleistungen sind begehrt, auch das Geschäftsmodell der GWT selbst. Nach Angaben von Klopsch liegen Anfragen aus Russland, Estland, Bulgarien und dem brandenburgischen Landtag vor, die um Hilfe beim Aufbau des Technologietransfers bitten.
Die Autorin ist Wirtschaftsredakteurin bei der "Sächsischen
Zeitung" in Dresden.