Für Personalmanager müsste Christopher Käsbach eigentlich ein Traumkandidat sein. Der Bachelor-absolvent ist gerade erst 26 Jahre alt und hat seit zwei Jahren seinen Studienabschluss in Informations- und Kommunikationstechnik in der Tasche. Außerdem arbeitet er seit 2003 als Produktmanager für Medizintechnik bei Siemens. Der Ingenieur gehört zur ersten Generation deutscher Bachelor-Absolventen und er ist damit sozusagen ein Pionier in Sachen neuer Qualifikation: "Ich würde es jederzeit wieder genauso machen", sagt Käsbach.
Schon in einigen Jahren könnte der Lebenslauf von Christopher Käsbach der Normalfall sein. Der so genannte Bologna-Prozess, bei dem mehr als 40 europäische Länder bis 2010 ihre Hochschulsysteme aufeinander abstimmen, sieht zumindest die Umstellung der Studiengänge auf Bachelor und Master vor. In Deutschland werden die international gängigen Abschlüsse die Magister- und Diplomtitel ablösen. Mit dem Bachelor bieten Universitäten und Fachhochschulen jungen Akademikern in sechs Semestern eine praxisnahe Spezialisierung an, der zweijährige Master dient als Zusatzqualifikation. Durch das straffere Studiensystem sollen Nachwuchsakademiker ihre Berufschancen im In- und Ausland verbessern.
Doch nicht nur die Absolventen, sondern auch die Hochschulen profitieren von der Reformstimmung. Durch die Einführung der neuen Abschlüsse können sie ihr Profil schärfen und sich im Wettbewerb mit anderen profilieren. Die Fachhochschule Kiel etwa bietet im Rahmen ihres Bachelorstudiums Betriebswirtschaft den bundesweit einmaligen Schwerpunkt Seeverkehrswirtschaft an: "Wir haben uns bewusst dafür entschieden, die thematische Spezialisierung in einen bestehenden Studiengang zu integrieren", sagt Thomas Pawlik, der für die FH Kiel das Studienangebot organisiert. Zum Pflichtprogramm gehören Lehrveranstaltungen aus den Bereichen Transportwirtschaft oder Hafenmanagement sowie Exkursionen zu maritimen Wirtschaftsunternehmen in ganz Norddeutschland. Nicht nur der Standort der Hochschule in Kiel biete für dieses Themenspektrum die optimalen Bedingungen: "Die Seewirtschaft ist zurzeit eine boomende Branche", sagt Thomas Pawlik "und darauf reagieren wir mit dem neuen Angebot."
Bei der Neukonzeption des Schwerpunktes hat die FH an längere Erfahrungen angeknüpft. Seit Mitte der 90er-Jahre hat die Hochschule den Bereich Seeverkehrswirtschaft schon in Seminaren angeboten: "Unsere Absolventen sind bei Reedereien, Terminalbetreibern oder Unternehmensberatungen untergekommen", berichtet Thomas Pawlik. Dieser Erfolg sei Anlass gewesen, den neuen Studienschwerpunkt im Bachelorstudiengang einzuführen.
Einen anderen Weg hat die Universität Bayreuth gewählt. "Wir haben unsere völlig desolate Magisterausbildung in Philosophie durch den neuen Studiengang Philosophy and Economics ersetzt", sagt der Bayreuther Philosophieprofessor Rainer Hegselmann. Das Angebot ist neu in Deutschland und locke Studenten aus allen Teilen der Republik, die aufgrund von Motivationsschreiben und Einstellungstests ausgewählt werden: "Wir haben viele Kandidaten mit einem Einser-Abitur", sagt Hegselmann, "aber auch die nehmen wir nicht alle. Wir legen viel Wert auf das Engagement der Studenten."
Das Konzept des neuen Studiengangs ist so erfolgreich, dass es der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft 2002 in sein Aktionsprogramm "ReformStudiengänge" aufgenommen hat, bei dem ausgezeichnete Studiengänge Fördergelder von 300.000 Euro bekommen. "Der in Deutschland bislang einzigartige transdisziplinäre Studiengang, der an britischen Hochschulen eine lange Tradition hat, folgt einer klugen Philosophie", lautet die Begründung der Jury; "in dieser überzeugend gelungenen Neuausrichtung hat sich das an der Universität Bayreuth bedrohte Fach Philosophie als lebendig und überlebensfähig erwiesen."
Für förderungswürdig hält der Stifterverband auch solche Studiengänge, die sich an einer internationalen Ausrichtung orientieren. Im Fach Sozialwissenschaften der Universität Düsseldorf kombinieren viele Absolventen ihren Bachelor mit einem Masterprogramm im Ausland. Und der Studiengang Mechanical and Process Engineering der TU Darmstadt wurde für seine innovativen Lehr- und Lernformen sowie die Einbettung von so genannten "soft skills" gelobt.
Längst nicht alle Hochschulen können jedoch derartige Erfolgsmeldungen verkünden. Nach den neuesten Zahlen der Hochschulrektorenkonferenz sind zum laufenden Wintersemester erst gut ein Drittel der Studienangebote auf Bachelor und Master umgestellt worden. Und auch unter den Nachwuchsakademikern macht sich Skepsis breit. So sind von den rund zwei Millionen Studenten in Deutschland bislang nur rund sechs Prozent in Bachelorstudiengängen eingeschrieben, bei Master-Programmen sind es noch weniger. "An vielen Hochschulen weiß niemand genau über die neuen Abschlüsse Bescheid", beschreibt Regina Weber vom "freien zusammenschluss von studentInnenschaften" (fzs) die Stimmung an den Hochschulen. Basisinformationen über die Reformstudiengänge seien Mangelware.
Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch der aktuelle Studierendensurvey des Bundesbildungsministeriums: "Das geringe Interesse der Studierenden an Universitäten an den neuen Studienabschlüssen macht deutlich, dass sie mehrheitlich nicht von deren Vorteilen überzeugt sind", lautet ein Ergebnis der Untersuchung. Dachverbände wie der fzs kritisieren vor allem die Zugangsvoraussetzungen zu den neuen Studiengängen, die häufig durch Einstellungstests oder die Abiturnote geregelt werden: "Die Studierenden müssen hohe Hürden passieren", sagt Regina Weber, "das ist ein massiver Abbau von Bildungschancen." Gerade ein Masterabschluss bleibe dadurch vielen verwehrt.
Laut einer Untersuchung des Stifterverbandes sind aber besonders im Bereich der Forschung und Entwicklung Masterabsolventen gefragt: "Hier bevorzugen Unternehmen ganz klar die höher qualifizierten Abschlüsse", sagt Ann-Katrin Schröder, Programmmanagerin beim Stifterverband. Bachelorabsolventen hingegen werden eher als Gruppenleiter, qualifizierte Sachbearbeiter oder Referenten eingestellt. "Berufseinsteiger mit einem Bachelor gelten auf dem Arbeitsmarkt als grundlagengeschulte Generalisten", sagt Ann-Katrin Schröder. Mit dem zweijährigen Master wollen sich deshalb viele weiter qualifizieren.
Auch Christopher Käsbach sitzt seit kurzem wieder in Vorlesungen und Seminaren. An der Universität Bayreuth macht er seinen Master im Bereich Health Care Management: "Mit dem Bachelor habe ich die Basisausstattung bekommen", sagt der Ingenieur, "und jetzt möchte ich mein Wissen vertiefen. Diese Möglichkeit war für mich von Anfang an ausschlaggebend."
Die Autorin ist freie Journalistin in Köln.