Der gute Ruf Venezuelas verdeckte lange Zeit die sich verschärfenden Probleme: ein immenser Kontrast zwischen Arm und Reich, eine tief greifende Korruption, eine reformunfähige politische Klasse, von der Teile bis heute nicht verstehen, worauf der Erfolg von Chávez beruht, und die sich über Jahre hinweg nicht einmal auf minimale Verfassungsreformen einigen konnte. Vor diesem Hintergrund vollzog sich der Aufstieg von Chávez. Der aus aus kleinen Verhältnissen stammende Mestize fand nach seinem Eintritt in die Armee und nachdem er sich von seinen Karriereträumen als Baseballstar verabschieden musste sehr früh Zugang zu den konspirativen Zirkeln der Streitkräfte.
Trotz des Titels hat Christoph Twickel mit seinem Buch über Chávez weniger eine detaillierte biografische Spurensuche denn überwiegend eine Chronologie der Ereignisse ab 1989 vorgelegt. Deren biografischer Anteil ist stark an Chávez-Interviews an- gelegt, und von daher nicht frei von der Gefahr, dessen Selbststilisierung weiter zu tragen.
Die nationale wie internationale Wahrnehmung des Phänomens Chávez oszilliert zwischen den Rollen eines gescheiterten Putschisten, eines "revolutionären Clowns", der auf der Klaviatur eines zu neuen Höhen getriebenen "personalismo" und dem Dauerdialog mit dem Volk exzellent zu spielen versteht, und eines Visionärs, der sich mit messianischem Eifer mit jedem anlegt, der dieser Vision im Wege steht. Beeindru-ckend bleibt, wie lange schon - wenngleich mit wechselnden Akteuren - der "pacto civico-miltar" trägt und Chávez alle Gefähren überstanden und Niederlagen in Siege verwandelt hat.
Die legitime Grundsympathie des Autors für Chávez wird dort problematisch, wo Aspekte ausgeklammert beziehungsweise nur einseitig plakativ behandelt werden. Dies betrifft beispielsweise die Bewertung der Verfassung und der darin angelegten Instrumentarien ebenso wie die nicht thematisierten gleichschaltenden Methoden der Regierungspraxis. Auch greift angesichts der vier Millionen Venezolaner, die 2004 in einem Referendum die Absetzung von Chávez befürwortet haben, eine Analyse der Situation zu kurz, die auf einen immer wieder herausgehobenen Gegensatz zwischen "Chávez und Volk" und der Oppostion abstellt. Vor allem dann, wenn sie diese Opposition im wesentlichen nur mit den Begriffen Banken, Erdölinteressen, Medien, Kirchen, Unternehmer, Oligarchie oder USA belegt, zugleich aber eine vertiefende Analyse der Beweggründe der Opposition nicht vornimmt.
Zum Erfolg von Chávez hat auch der Versuch einer nationalen Identitätsfindung beigetragen, auch wenn dieses von Widersprüchen geprägte Konstrukt des "Bolivarismus weniger Ideologie als Selbstvergewisserung" ist, "die einem erfinderischen, panlateinamerikanischen Nationalismus Raum geben und Mut machen will". Dass Chávez seinen Wirkungskreis nicht auf Venezuela beschränkt, sondern zum Nukleus einer lateinamerikaweiten Entwicklung werden will, und es dabei mit den inneren Angelegenheiten anderer Staaten nicht allzu diplomatisch genau nimmt, trifft unter seinen lateinamerikanischen Kollegen auf teilweise heftigen Widerstand.
Die Zentralisierung hat unter Hugo Chávez zu einer nie da gewesenen Aufblähung des Staatsapparates geführt. Dennoch gilt: Der Comandante und die Bewegung sind alles, Institutionen behindern. Pate steht ein Politikverständnis, in dem vielfach Inhalte durch Prozesse und demokratische Debatten durch permanente Massenmobilisierung ersetzt werden. Damit wird nicht nur ein zentrales Problem der Regierbarkeit in Lateinamerika verschärft, es stellt sich auch die Frage nach der Nachhaltigkeit der "bolivarischen Revolution".
Deutlich wird, in welchem Umfang es sich bei dem gesamten Programm der verschiedenen "Missionen" der Regierung Chávez um einen aus den Erdöleinnahmen finanzierten Assistentialismus handelt, der schwerlich eine strukturell nachhaltige Entwicklung Venezuelas sichern dürfte. Dies ist nicht denen zum Vorwurf zu machen, die seit Jahrzehnten erstmals von solchen Leistungen profitieren. Vielmehr liegt hierin ein schwerwiegendes Versäumnis der ehemaligen politisch Verantwortlichen. Dennoch legt der Vorwurf, diese Programme dienten nur der persönlichen Machtstabilisierung Chávez' und nicht der langfristigen Veränderung Venezuelas, den Finger in eine Wunde, die langfristig sehr schmerzhaft für die politische Entwicklung des Landes werden könnte.
Chávez hat Venezuela gespalten. Der Opposition bleibt, wenn sie die von Chávez bis 2021 angestrebte Präsidentschaft verkürzen will, nur die "demokratische Option". Dieser hat sie sich durch ihre Nicht-Kandidatur bei den Parlamentswahlen teilweise verweigert. Die Opposition ist in der politischen Bringschuld: Sie muss inhaltlich glaubwürdige und über- zeugende Alternativen darlegen. Chávez lebt ganz entscheidend davon, dass sich bislang kein starkes Oppositionszentrum herausgebildet hat. Die Entscheidung wichtiger Oppositionsgruppen, zu den nächsten Präsidentschaftswahlen nicht nur anzutreten, sondern dies auch mit einem gemeinsamen Kandidaten zu tun, könnte eine neue Entwicklung einleiten.
Die Entwicklung in Venezuela bleibt spannend. Trotz kritischer Anmerkungen ist dieses Buch eine insgesamt lesenswerte Darstellung dieses Abschnittes venezolanischer Zeitgeschichte.
Christoph Twickel: Hugo Chávez. Eine Biographie. Edition Nautilus, Hamburg 2006; 250 S., 19,90 Euro.