Eröffnungsrede Berliner Konferenz zum Thema "Europa eine Seele geben" in Berlin vom 17. - 19. November 2006
Verehrter Herr Bundespräsident, lieber Herr von
Weizsäcker,
sehr geehrter Herr Kommissionspräsident Barroso,
Herr Kommissar Figel,
lieber Herr Raue, stellvertretend für alle ihre
Mitstreiterinnen und Mitstreiter in der Initiatorengruppe,
liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Europäischen Parlament,
dem Deutschen Bundestag, den Landesparlamenten,
meine sehr verehrten Damen und Herren,
Die Idee Europa ist älter als die Europäische Gemeinschaft, deren 50-jähriges Bestehen wir im nächsten Jahr gemeinsam begehen werden. Die Berliner Konferenz für Europäische Kulturpolitik "Europa eine Seele geben" ist der organisierte Ausdruck der Einsicht, dass das Eine ohne das Andere weder zu erklären noch zu gestalten ist und dass wir das politische System dieser Gemeinschaft und die Fülle der Organisationen, die wir im Kontext dieser Gemeinschaft in fünf Jahrzehnten entwickelt haben, immer wieder neu begreifen, neu erklären und vor allen Dingen neu gestalten müssen auf der Grundlage dieser tragenden gemeinsamen Idee.
Sie, sehr geehrter Herr Präsident Barroso, haben vor zwei Jahren in Ihrer denkwürdigen Eröffnungsrede der ersten Berliner Konferenz genau diesen Zusammenhang ausdrücklich unterstrichen und sich diese Orientierung für die Arbeit Ihrer Kommission zu Eigen gemacht. Ich erinnere mich gut an die Wirkung Ihrer damaligen Rede, die nicht nur ich, sondern viele andere Teilnehmerinnen und Teilnehmer auch, als befreiend und ermutigend zugleich empfunden haben, weil sie keinen Zweifel daran gelassen hat, dass für die von Ihnen geführte Kommission der Europäischen Gemeinschaft Kulturpolitik in Europa nicht eine besonders liebenswürdige Nische, sondern das Fundament unserer gemeinsamen Bemühungen ist, und dass wir all das, was uns im täglichen Bemühen um gemeinsame europäische Lösungen beschäftigt, im Kern immer wieder auf dieses Grundverständnis zurückführen können, aber auch zurückführen müssen.
Meine Damen und Herren, diese Initiative "Europa eine Seele geben" versteht sich als ein besonderes zukunftsweisendes Modell der Zusammenarbeit zwischen Zivilgesellschaft und Politik. Das bedeutet auf der einen Seite, dass es hier die Souveränität einer privaten Initiative gibt, ohne die jedenfalls diese Konferenz und die Fülle der damit inzwischen verbundenen Einzelaktivitäten gar nicht zustande gekommen wären, und dass es zum anderen und von Anfang an die Bereitschaft von Parlamentariern und politischen Entscheidungsträgern gab und gibt, sich in den Dienst dieser Initiative zu stellen und damit eine notwendige Verbindung zwischen Zivilgesellschaft und Entscheidungsträgern herzustellen, die für die einen wie für die anderen völlig unverzichtbar sind.
Parlamentarismus und Zivilgesellschaft brauchen einander. Das ist vermutlich nicht weiter erläuterungsbedürftig, kann ganz gewiss nicht im Rahmen eines Grußwortes erläutert werden. Dass das nicht nur für Kunst und Kultur gilt, setze ich als offensichtlich voraus, aber dass es für Kunst und Kultur in ganz besonderer Weise gilt, verdient vielleicht doch eine besondere Erläuterung.
Die Vorstellung, Kunst und Kultur gewissermaßen mit der hoheitlichen Gebärde staatlicher Autorität befördern zu wollen, ist eher skurril, jedenfalls nicht tragfähig. Umgekehrt wird der Hinweis auf die Notwendigkeit bürgerschaftlichen Engagements gerade im Feld von Kunst und Kultur ohne die Möglichkeit, im politischen Feld interessierte und engagierte Adressaten zu finden, eine in vielen Fällen dann doch ebenso liebenswürdige wie folgenlose Veranstaltung. Gerade deswegen begleitet diese Initiative von ihren Anfängen an meine volle Sympathie und ich freue mich, dass ich das auch für den Deutschen Bundestag im Ganzen heute bekräftigen darf. Und ich habe keinen Zweifel daran, dass das auch für das Europäische Parlament in genau der gleichen Weise gilt, zumal das Steering Committee, von dem vorhin schon knapp die Rede war, unter Vorsitz von Hans-Gert Pöttering steht, der im jetzigen und einem möglichen künftigen Amt seine Unterstützung für diese Initiative sicher im vollen Umfang fortsetzen wird.
Meine Damen und Herren, in seiner vorhin von Richard von Weizsäcker zurecht schon hervorgehobenen denkwürdigen Rede vor zwei Jahren hat Kommissionspräsident Barroso unter anderen gesagt: "Die EU, die Europäische Union hat ein Stadium ihrer Geschichte erreicht, in dem ihre kulturelle Dimension nicht länger ignoriert werden kann." Heute denke ich, wird man ohne den Verdacht der Übertreibung hinzufügen dürfen, die Europäische Gemeinschaft hat 50 Jahre nach ihrer Gründung ein Stadium erreicht, in dem ohne die Reaktivierung ihrer kulturellen Dimension weder ihre innere Verfassung neu geordnet, noch über mögliche künftige Erweiterungen ernsthaft geredet werden kann. Und damit wird für mich die auch praktische Bedeutung dieser kulturellen Dimension spätestens offenkundig. Die nicht mehr beliebig lange vertagbare Frage, ob Europa eigentlich Grenzen hat und wo diese Grenzen verlaufen, lässt sich ohne die Vorabklärung der Fragen nicht schlüssig beantworten, als was sich diese Gemeinschaft eigentlich versteht. Verstehen wir Europa in erster Linie als eine Behörde oder freundlicher formuliert als ein System politischer Institutionen, was den Charme der Veranstaltung nur unwesentlich erhöht, oder verstehen wir Europa in erster Linie als einen Markt, oder verstehen wir Europa in erster Linie als eine Idee. Ich plädiere mit Nachdruck und Leidenschaft für die dritte Variante, zumal die erste wie die zweite weder eine hinreichende Sinnstiftung ergeben noch ein verfügbares Kriterium für die Grenzziehung dieser Europäischen Gemeinschaft liefern könnten.
Wenn wir diese Gemeinschaft alleine der Logik ihrer wirtschaftlichen Interessen, der wirtschaftlichen Interessen ihrer Mitgliedsstaaten überlassen wollten, würde sie im Zweifelsfall zu einer kleineren Ausgabe der Vereinten Nationen, jedenfalls fällt mir kaum ein Flecken auf dem Globus ein, auf dem wir nicht ökonomische Interessen hätten. Die Abgrenzung einer solchen Gemeinschaft nach innen und nach außen kann nur plausibel werden auf der Grundlage einer Idee. Auf der Grundlage von gemeinsamen Überzeugungen und Orientierungen, die die Europäer miteinander teilen und die sie brauchen, wenn sie eine gemeinsame Zukunft miteinander gestalten wollen.
Für mich, meine Damen und Herren, hat diese Konferenz und die schöne Tradition, die wir damit hoffentlich beim zweiten Mal verlässlich begründet haben, zum Ziel, die Verantwortung der Europäer für Europa nicht zuletzt mit den Mitteln der Kultur praktisch wirksam werden zu lassen. Und wenn ich hier gerne die Einladung angenommen habe, für das Deutsche Parlament Sie alle herzlich zu begrüßen, dann will ich zum Schluss hinzufügen, dass es nach meinem Verständnis bei dieser Initiative nicht in erster Linie darum geht, einen "Machtzuwachs" der Kulturpolitik zu ermöglichen oder einzufordern, nicht einmal darum, für eine verstärkte Kulturförderung zu werben, was ich bei anderer Gelegenheit hinreichend häufig und aus Überzeugung tue, sondern es geht nicht zuletzt um die kulturelle Durchdringung aller Politikbereiche. Ganz in dem Sinne, den Richard von Weizsäcker vorhin angesprochen hat, das heißt, es hat Implikationen für die Innen- wie für die Außenpolitik, für unsere Sozialpolitik und für die Wirtschaft. Ich wünsche mir, meine Damen und Herren, dass diese zweite Berliner Konferenz ähnlich inspirierend wird wie die erste, zumal allein der Umstand, dass auch die zweite Konferenz von Kommissionspräsident Barroso eröffnet wird, die famose Aussicht bietet, dass es beim zweiten Mal mindestens so schön wird wie beim ersten Mal.