AKTUELLE STUNDE IM BUNDESTAG Finanzen der Pflegeversicherung entwickeln sich defizitär(as) Die Finanzentwicklung in der Pflegeversicherung ist im vergangenen Jahr erstmals seit ihrem Bestehen defizitär. Das betonte Ulf Fink (CDU/CSU) am 27. Oktober in der Aktuellen Stunde zur Haltung der Bundesregierung zu Berichten über Defizite bei der Pflegeversicherung und Auswirkungen auf die soziale Sicherheit alter Menschen, die auf Verlangen seiner Fraktion im Bundestag abgehalten wurde. Zwar sei das Defizit von 74 Millionen DM im vergangenen Jahr noch verhältnismäßig gering, so Fink weiter, das Entscheidende sei aber, dass die Finanzentwicklung auf "bestürzende Weise" die Vorausschätzungen des Bundesversicherungsamtes vom Oktober 1999 belege. Diese Vorausschätzungen hätten zum Ergebnis, dass die Zahlungsfähigkeit der Pflegeversicherung im Jahr 2002 nicht mehr gewährleistet sei. Dies, so Fink weiter, sei nicht nur das Ergebnis der zunehmenden Zahl von Pflegefällen, sondern das Ergebnis der rot-grünen Politik. Sie habe sich am Geld der Pflegeversicherung "bedient", um den "Bundeshaushalt zu sanieren". Sie hätten jährlich 400 Millionen DM der Pflegeversicherung an Einnahmen entzogen. Und die Entscheidung, der Pflegeversicherung nur noch Beiträge von der Arbeitslosenhilfe auf der Grundlage des tatsächlichen Zahlbetrages und nicht, wie bisher, auf der Grundlage von 80 Prozent des früheren Bruttoentgelts zu zahlen, erweise sich schon jetzt als "gänzlich unverantwortlich". Der Unionsabgeordnete warf der Regierung vor, damit zulasten der Schwächsten in der Gesellschaft zu sparen, nämlich der Pflegebedürftigen, die sich nicht wehren könnten. Defizit ist ein "alter Hut"Für die SPD-Fraktion ergriff Regina Schmidt-Zadel das Wort und betonte, das von der Union als Anlass für die Aktuelle Stunde bemühte "angebliche Defizit" in der gesetzlichen Pflegeversicherung sei ein "alter Hut". Die Entwicklung sei längst bekannt und auch voraussehbar gewesen. Der Pflegebericht der alten Bundesregierung vom März 1998 habe neben der Finanzschätzung auch die Gründe dafür geliefert, warum in den kommenden Jahren der bisherige jährliche Überschuss zu einem Defizit von 670 Millionen DM in diesem Jahr und 70 Millionen DM im Jahr 2003 werde. Die Gründe dafür seien die Zunahme der kostenintensiven Pflege, Sachleistungen im ambulanten Bereich, der demographische Faktor und die Mehrkosten durch den Anstieg des Anteils der höheren Pflegestufe. Die 400 Millionen DM, die der Pflegeversicherung aufgrund der veränderten Bemessungsgrundlage fehlen, so Schmidt-Zadel weiter, seien nur ein Teil der Wahrheit. Es wäre natürlich wünschenswert, wenn man mehr Geld für die notwendigen Verbesserungen zur Verfügung hätte, aber die Bewältigung der "finanziellen Schieflage", die die christlich-liberale Regierung hinterlassen habe, lasse der neuen Bundesregierung auch in diesem Bereich keinen Spielraum. Die Union verschweige, dass es vor allem die Folge der vorgefundenen "finanziellen Erblasten" ihrer Regierungszeit sei, die man heute zu bewältigen habe. Belastung vermeidbarDetlef Parr von der F.D.P. hob hervor, hätte man die Pflegeversicherung auf andere ordnungspolitische Säulen gestellt, hätte man sich die heutige Debatte vielleicht sparen können. Nun sei festzustellen, dass in den letzten Monaten der Pflegeversicherung vermeidbare Belastungen zugemutet worden seien. Es stelle sich die Frage, woher die Bundesregierung ihren Optimismus nehme, mit einem "weiter so" die erkennbaren Hürden in Angriff zu nehmen. Man kenne doch die demographische Entwicklung und die lebensverlängernden Folgen des rasanten medizinischen Fortschritts. Zu fragen sei, wie die Regierung diesen Tatsachen Rechnung tragen wolle und wie "leichtfertig" sie mit diesen Argumenten umgehe. Der Trend zu einer wachsenden Zahl von Pflegebedürftigen halte ungebrochen an. 1996 seien es circa 1,2 Millionen Menschen gewesen, die Leistungen aus der Pflegeversicherung erhielten. In diesem Jahr sei die Zahl bereits auf 1,8 Millionen angewachsen. Problematisch sei auch, dass die ambulante Pflege abnehme, während die stationäre zunehme. Auch das werde Kostenfolgen haben. Monika Knoche von Bündnis 90/Die Grünen hielt Parr entgegen, es sei unverständlich, wie dieser von privater Zusatzvorsorge im Zusammenhang mit der Pflegeversicherung sprechen könne, weil jeder genau wisse, dass die Pflegeversicherung eine rein von Arbeitnehmern finanzierte Versicherung sei. Im Rahmen der heutigen Diskussion um die Zukunftsfähigkeit des gesamten Sozialversicherungssystems sei kaum eine Frage aktueller und zukunftsweisender als die nach der Weiterentwicklung der paritätischen Finanzierung. Angesichts der Tatsache, dass man auch schon damals gewusst habe, dass die Erfordernisse einer qualitativ hochwertigen Pflege für wachsenden Bedarf sorge – auch in finanzieller Hinsicht – sei es richtig gewesen, diesen Versicherungszweig paritätisch anzulegen, um ein sozialstaatliches Selbstverständnis zum Ausdruck zu bringen. Wenn man sich so sehr an der Beitragssatzstabilität orientiere und die Lohnnebenkosten nicht steigen lassen wolle, dann sei die Erweiterung der solidarischen Versicherung um möglichste breite Erwerbstätigenkreise die richtige Antwort. Den Beweis, so die Abgeordnete Knoche, habe diese Regierung schon durch die Regelungen zu den 630-Mark-Arbeitsverhältnissen erbracht. Anderes Menschenbild nötigFür die PDS erklärte Ilja Seifert, man komme nicht umhin, festzustellen, dass gegenwärtig eine Situation eingetreten sei, in der aus einer verhältnismäßig komfortablen finanziellen Ausstattung eine rückläufige Kassenlage geworden sei. Man könne sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Regierung die Einnahme der Pflegeversicherung beschneide. Man könne auch sagen, sie fange an, "in die Kasse zu greifen". 400 Millionen DM weniger seien "kein Pappenstiel". Wichtig sei, so Seifert, dass man erst einmal einen ganz anderen Pflegebegriff einführe, der die Aktivierung der Menschen – nicht das "satt, sauber und trocken" – in den Mittelpunkt stelle. Er denke dabei an Aktivierung auch in den Fällen hochgradiger Demenz, geistiger Behinderung und körperlicher, psychischer oder sonstiger dauernder Behinderung. |