interview
Serie: Junge Journalisten fragen junge Abgeordnete
"Freiheit und Rückgrat muss man unbedingt haben"
Christiane Kögel: Frau Reiche, ist Jung-Sein eigentlich ein Qualitätskriterium?
Katherina Reiche: Nein, es ist kein Qualitätskriterium. Frau-Sein ist ja auch keines. Qualität entscheidet sich an anderen Eigenschaften: Beharrlichkeit, Fleiß, Durchsetzungsvermögen, Teamfähigkeit und durchaus auch einem gesunden Machtempfinden. Erfolg ist keine Altersfrage. Unter Jungen wie unter Älteren gibt es erfolgreiche Menschen und weniger erfolgreiche. Ich glaube, in der Politik ist die Mischung wichtig: aus den Einstellungen der jungen Leute und den Erfahrungen der älteren Generation.
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Christiane Kögel (28, links) im Gespräch mit Katherina Reiche (26) |
Sie werden häufiger mit dem Prädikat "jüngste CDU-Abgeordnete" in Verbindung gebracht als mit politischen Themen. Stört Sie das?
Ja. Aber ich arbeite daran. Ich kann nicht erwarten, dass mein Name schon nach eineinhalb Jahren mit einem bestimmten Thema verknüpft wird. Natürlich habe ich meine Fachgebiete. Für die CDU werde ich mich in Zukunft verstärkt um die Biotechnologie kümmern. Ich bin Polen-Beauftragte meiner Fraktion. Und ich kümmere mich um gesellschaftspolitische Themen wie die Jugendweihe.
Muss man bestimmte Dinge sagen oder sich auf eine bestimmte Weise verhalten, um als junge Abgeordnete ernst genommen zu werden?
Man muss seine Arbeit ernst nehmen. Man muss zeigen, dass man mit großem Engagement bei der Sache ist, dass man hart arbeiten kann und dass man seine Position auch mehrheitsfähig machen kann.
Werden Sie für zu jung gehalten?
Ich werde schon auf mein Alter angesprochen – schließlich bin ich jung und bereits in einer sehr verantwortungsvollen Position. Aber ich glaube nicht, dass ich zu jung bin, um Politik zu machen – ich strebe ja nicht gleich nach den höchsten Ämtern. Von Parteikollegen im eigenen Landesverband habe ich schon zu hören bekommen, dass ich doch erst mal die ranlassen sollte, die schon länger dabei sind. Das sind die Konflikte, die die Junge Union seit Jahrzehnten auskämpft. Junge Leute werden als Plakatkleber oder Briefträger gebraucht – sie sind das Kanonenfutter. Aber wenn es daran geht, Verantwortung zu übernehmen, dann dürfen sie sich hinten anstellen.
Wie haben Sie so schnell den Weg vom "Kanonenfutter" zur Abgeordneten gefunden?
1997 entstand eine Chance in Potsdam-Mittelmark – es hatte sich zunächst kein Parteikollege bereit erklärt, für den Bundestag zu kandidieren. Später habe ich mich dann gegen zwei Gegenkandidaten durchgesetzt. Politisch gesehen ist mein Wahlkreis schwierig, insbesondere Potsdam mit seinem sehr hohen PDS-Anteil, den vielen Plattenbauten und der Dominanz der SPD – die Landesregierung hat alle ihre Ministerien dort. Man hat mich gefragt, und ich habe gesagt, ich würde es versuchen. Eigentlich hatte ich geplant, meine Karriere in der Wissenschaft zu machen.
Wie lebt es sich als politischer Nachwuchs in einer Zeit der Politikverdrossenheit?
In der Zusammenarbeit mit jungen Leuten sehr gut. Die sehen, dass ich jung bin und dass wir eine Sprache sprechen. Bei ihnen finde ich wahrscheinlich einfacher als ein älterer Kollege den richtigen Ton. Das heißt nicht, dass ich grundsätzlich alle jungen Leute überzeuge. Im Übrigen gibt es verschiedene Umfragen, warum sich junge Leute aus der Politik zurückziehen. Ich glaube nicht, dass sie politikverdrossen sind, sondern eher politiker- oder parteienverdrossen. Sie sehen, dass sich viele Politiker in Bereiche des Staates geschlichen haben, wo sie nichts zu suchen haben, dass sie ihren Machtbereich ausgeweitet haben – das wirkt natürlich abschreckend. Aber: Die CDU wurde in den neuen Ländern, aber auch in Hessen und im Saarland überwiegend von jungen Leuten zwischen 18 und 35 Jahren gewählt. Das zeigt: Wir sind durchaus attraktiv.
Kommen Sie sich manchmal älter vor, als Sie eigentlich sind?
Ich habe natürlich mit wesentlich mehr älteren als jüngeren Kollegen zu tun. Ich kann auch nicht mehr permanent darüber nachdenken, in welche Kneipe ich heute Abend gehe. Aber andere hart arbeitende junge Leute können das auch nicht. Ich möchte nicht nur an meinem Alter gemessen werden. Es kommt darauf an, was man in seinem Leben macht. Welchen Anspruch man hat, wo man sich einbringen möchte, wo man seine Ziele sieht und wie hartnäckig man sie verfolgt. Ich glaube nicht, dass das eine Frage des Alters ist. Eine Frage des Alters mag sein, welche Themen man bearbeitet und wie man an sie herangeht.
Können Sie denn als junge Abgeordnete einer konservativen Partei frei herangehen an die Themen? Müssen Sie dabei nicht manchmal Positionen übernehmen, die Ihrem Alter eigentlich gar nicht entsprechen?
Ich bin Mutter einer kleinen Tochter, und ich bin noch nicht verheiratet. Das müsste ich als Abgeordnete einer konservativen Partei aber sein. Ich habe mich im Familienpapier stark gemacht für Ganztagsschulen, wogegen sich die Konservativen lange Zeit gewehrt haben. Ich habe mich eingesetzt für die rechtliche Besserstellung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften. Ich finde nicht, dass ich Positionen vertrete, die furchtbar konservativ sind. Trotzdem glaube ich, dass die Ehe für eine Familie und für Kinder das Beste ist. Das heißt aber nicht, dass ich persönlich sofort heiraten müsste. Ich sehe keinen Widerspruch zwischen dem, was ich als Ideal empfinde, und dem, was ich momentan lebe.
Ist mit 26 die eigene Meinung schon so weit gefestigt, dass man nicht mehr manipulierbar ist?
Ich glaube, das sollte man sich zu jedem Zeitpunkt fragen. Ich würde von älteren Politikern auch gerne wissen, ob sie noch das nötige Rückgrat haben. Wenn ich das Gefühl habe, in einem Thema nicht fit zu sein, dann besorge ich mir Literatur oder frage einen erfahrenen Kollegen. Wenn es um Grundsatzentscheidungen geht, habe ich meine tiefsten Überzeugungen. Ich vertrete zum Beispiel eine sehr harte Position, was die Legalisierung von Drogen betrifft. Der Paragraf 218 ist ein weiteres Beispiel: Da geht es um Grundüberzeugungen und darum, was man persönlich als richtig erachtet. Das mag bei bestimmten Themen anders sein.
Ist es schwer, sich der Partei- und Fraktionsdisziplin unterordnen zu müssen?
Bei den grundsätzlichen Fragen der Ethik und der Moral kann ich nicht über meinen Schatten springen. Aber man muss in einer Demokratie natürlich lernen, Kompromisse zu machen und Mehrheitsentscheidungen zu akzeptieren. Gewisse Beschlüsse muss ich also mittragen. Das heißt aber nicht, dass ich zu ihrem großen Fürsprecher werde. Ich kann sagen: Die Mehrheit war dafür, ich stehe auch dazu, aber persönlich möchte ich noch etwas ergänzen. Diese Freiheit und dieses Rückgrat muss man unbedingt haben. Ich glaube eben, dass eine Frau nach der Beratung frei entscheiden dürfen muss. Bei bestimmten Themen gibt es für mich kein Abweichen. Ich muss meine Entscheidungen schließlich irgendwann einmal meinem Kind erklären.
Wie hat Ihre Umgebung auf Ihre Wahl zur CDU-Abgeordneten reagiert?
Selbst meine Eltern waren geschockt, als ich für den Bundestag kandidiert habe. Letzt-endlich haben sie mich aber alle voll unterstützt, auch Freunde und Bekannte. Sie wählen zwar nicht alle CDU, bloß weil ich deren Abgeordnete bin, aber die Erststimme, die bekomme ich. Ich bin in der DDR aufgewachsen und 1996 in die CDU eingetreten. Es hat wirklich lange gedauert, bis ich begriffen habe, dass eine Partei im Westen etwas anderes ist als die Parteien im Osten – auch, wenn es auch bei der CDU in manchen Bereichen Unbeweglichkeit und mangelnde Diskussionskultur gibt.
Ist Angela Merkel ein Vorbild für Sie?
Ja, ein politisches Vorbild. Ich habe unheimlichen Respekt vor dem, was sie in den letzten Wochen durchgemacht hat – daran ist sie auch persönlich sehr gewachsen. Mit lebenden Vorbildern ist das aber immer so eine Sache. Ein historisches Vorbild wäre für mich Marie Curie, die Wissenschaftlerin, Politikerin, Friedensbotschafterin und Mutter war. Die bewundere ich wirklich.
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Christiane Kögel |
Christiane Kögel wurde 1971 in Waldshut in Baden-Württemberg geboren. Sie studierte in München Theater-, Literatur- und Kommunikationswissenschaften. Journalistische Stationen waren die Tageszeitungen Südkurier und Basler Zeitung, der Fernsehsender Pro Sieben und die Literaturzeitschrift lektu:ren. 1995 hospitierte sie bei der Süddeutschen Zeitung, daran schlossen sich die Mitarbeit in der Nachrichtenredaktion und im Ressort Jugendliteratur an. Am 1. Dezember 1999 begann sie ein Volontariat bei der Süddeutschen Zeitung.
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Katherina Reiche |
Katherina Reiche wurde 1973 in Luckenwalde in Brandenburg geboren. Mit 19 Jahren trat sie in die Junge Union ein, mit 25 Jahren wurde sie als jüngste Abgeordnete der CDU für den Wahlkreis Potsdam-Mittelmark in den Bundestag gewählt. Die Chemikerin, die in Potsdam, Finnland und den USA studierte, ist Obfrau im Ausschuss für Angelegenheiten der Neuen Länder und Mitglied im Petitionsausschuss. Sie sitzt im erweiterten Bundesvorstand der CDU. Zu ihren Funktionen in der Partei gehört auch der Vorsitz des Landesausschusses "Hochschule-Forschung-Kultur" der CDU Brandenburg. Katherina Reiche ist Mutter einer kleinen Tochter und Teilhaberin des mittelständischen Unternehmens ihrer Eltern in ihrer Geburtsstadt.