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Büro für Technikfolgenabschätzung
Transmissionsriemen zwischen Wissenschaft und Politik
Selten sind sich alle Fraktionen im Deutschen Bundestag in ihrer Einschätzung so einig: Das jetzt seit zehn Jahren bestehende Büro für Technikfolgenabschätzung (TAB) ist für das Parlament eine unverzichtbare Beratungsinstitution bei allen forschungs- und technologiebezogenen Entscheidungen. Ob es um Fragen wie das Klonen von Tieren geht, die stärkere Nutzung nachwachsender Rohstoffe, den Einsatz der Gentechnik in der Landwirtschaft oder die Folgen des Tourismus – immer ist das Büro mit seinen Analysen und Gutachten gefragt.
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Chemiker bei der Arbeit mit Petrischalen. |
Für die Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung, Ulrike Flach (F.D.P.), ist die zehnjährige Geschichte des Büros schlicht "eine einzige Erfolgsstory". Das Büro mit seinem Leiter Prof. Dr. Herbert Paschen und seinen acht wissenschaftlichen Mitarbeitern ist Flachs Ausschuss zugeordnet. Die Hilfe und der wissenschaftliche Sachverstand des TAB stehen aber auf Antrag allen Fachausschüssen und Fraktionen des Bundestages zur Verfügung.
Spektakulärstes Beispiel der bisherigen TAB-Beratungsarbeit für das Parlament ist seine Studie zum Raumschiff Sänger. Als sich Anfang der 90er Jahre die Europäische Raumfahrt anschickte, ein neues Raumschiff zu konzipieren, das wie ein Flugzeug auf der Erde starten und landen sollte, wurde das TAB um ein Gutachten gebeten. Es zeigte auf, dass das Projekt riesige Kosten mit sich gebracht hätte und darüber hinaus mit schwerwiegenden ökologischen Folgen zu rechnen gewesen wäre – unabhängig von den ebenfalls vorhandenen technischen Risiken. Die Studie war so überzeugend, dass alle Fraktionen sich für ein Stopp des Raumschiffprojektes aussprachen. Den deutschen und auch den europäischen Steuerzahlern wurden damit viele Milliarden Mark für eine Fehlplanung erspart.
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Forschungsobjekt Landwirtschaft. |
An diesem Beispiel lässt sich die Arbeitsweise des TAB verdeutlichen: Alleiniger Auftraggeber für Gutachten und Projekte ist der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung, der dazu einen ständigen Berichterstatterkreis mit Vertretern aller Fraktionen gebildet hat. Andere Bundestagsausschüsse und die Fraktionen können bei ihm Projekte beantragen, etwa wenn der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Beratungsbedarf wegen nachwachsender Rohstoffe oder bei der künftigen Nachfrage beim Nahrungsmittelangebot hat oder der Verkehrsausschuss Entscheidungshilfe bei der Einführung von Telematik sucht oder über Wege nach einer intelligenten Verkehrssteuerung nachsinnt – der Weg aus dem Stau mit Hilfe der neuen Informationstechnik. Der Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung interessierte sich unlängst für das Thema "Bioenergieträger und Entwicklungsländer". Für den Ausschuss für Tourismus wurde eine Studie zum Thema "Wechselwirkungen und Kooperationsmöglichkeiten von Naturschutz und regionalem Tourismus" erstellt.
Die Berichterstatter begleiten die Arbeiten des TAB, beobachten, beraten und entscheiden – vom Beschluss über die Durchführung eines Vorhabens bis hin zur Abnahme des Abschlussberichtes und der Formulierung einer Beschlussempfehlung für den Ausschuss. Fast nie gab es dabei politischen Streit, beteuert das "dienstälteste" Mitglied im Berichterstatterkreis, Ulla Burchardt (SPD). Ein fachliches Weisungsrecht Dritter sowie ein politisches Weisungsrecht gegenüber den Wissenschaftlern des TAB besteht ohnehin nicht.
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Büro für Technikfolgenabschätzung: Ulrike Gölsdorf, Prof. Herbert Paschen, Dr. Leonhard Hennen (v.l.n.r.). |
Gefragt ist der unabhängige wissenschaftliche Sachverstand: Zu diesem Zweck bündelt und integriert das TAB das bestverfügbare nationale und internationale Fachwissen in die vom Parlament in Auftrag gegebenen Projekte zur Technikfolgenabschätzung.
"Wissenschaft spricht nicht mit einer Sprache", sagt Prof. Paschen, der das Büro seit seiner Gründung leitet. In seinen Projekten beschreibt das TAB die unterschiedlichen wissenschaftlichen Positionen, stellt die Hintergründe dar, wie die Forscher zu ihren Ergebnissen kamen, und zeigt die Rahmenbedingungen für "mögliche Handlungsoptionen" auf. Paschen: "Es ist ein Abwägen – ohne zu richten. Entscheiden muss das Parlament." Die Arbeit des TAB versteht er dabei als "Transmissionsriemen zwischen wissenschaftlicher Erkenntnis und politischem Prozess".
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Warnung vor den Folgen: Modell des Raumschiffs Sänger. |
Der wissenschaftlich-technische Fortschritt mit seinen ökonomischen, ökologischen, sozialen, ethischen und sicherheitsrelevanten Auswirkungen wirft bei jeder Entscheidung neue Fragen auf: Welche Auswirkungen auf die Umwelt hat der Einsatz neuer Werkstoffe? Welche Chancen und Risiken birgt die Nano-Technologie? Welche wirtschaftlichen Folgen sind bei Verlagerung des Lastverkehrs von der Straße auf Schiene und Wasser zu erwarten? Nach Einschätzung aller Fraktionen im Bundestag trägt das TAB mit seinen Arbeiten dazu bei, dass das Parlament unabhängig seinen Verfassungsauftrag als Gesetzgeber und auch als Kontrollorgan der Regierung erfüllen kann – manchmal auch kontrovers gegen den in den Ministerien gebündelten "Sachverstand".
Ein weiteres Beispiel, mit dem das Büro zugleich spannendes Neuland betritt, ist das Projekt "Neue Medien und Kultur", das vom Ausschuss für Kultur und Medien beantragt wurde. Eine solche fachübergreifende wissenschaftliche Studie gibt es bisher dazu noch nicht. Neue Medien verändern viele Bereiche traditioneller Kultur, zum Beispiel bei der Buchproduktion oder der Tonträgernutzung. Auf Verlage und Bibliotheken kommen erhebliche Veränderungen zu. Wie sieht die Bibliothek der Zukunft aus? Wie verändern sich Arbeitsformen und Freizeit der Menschen, welche Auswirkungen haben Neue Medien auf die Lebensstile und Verhaltensweisen, wie prägen sie kulturelle Leitvorstellungen?
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Forschungsgebiet Industrieemissionen. |
Das Büro für Technikfolgenabschätzung war Ende August 1990 nach einer langjährigen Diskussion gegründet worden. Gewünscht wurde vom Parlament eine externe unabhängige Institution, die aufgrund ihrer wissenschaftlichen Kompetenz in der Lage war, Technikfolgenanalysen zu erstellen und die Abgeordneten zu beraten. Dabei geht es auch um eine vorausschauende Analyse, die Beobachtung von gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und ökologischen Entwicklungen, um rechtzeitig auf Probleme reagieren zu können.
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Forschungsobjekt Müllbeseitigung. |
Das Technikfolgenabschätzungsbüro beim Deutschen Bundestag wird vom Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) des Forschungszentrums Karlsruhe betrieben. Dabei können Paschen und sein Team, darunter Wirtschafts- und Politikwissenschaftler, Chemiker, Physiker und Biologen, auf den gesamten Sachverstand dieser großen Forschungseinrichtung zurückgreifen. Der Vertrag zwischen dem Bundestag und dem Forschungszentrum Karlsruhe war zunächst nur für eine dreijährige Erprobungsphase abgeschlossen worden. 1993 beschloss der Bundestag einvernehmlich aufgrund eines positiven Berichts des zuständigen Forschungsausschusses, den Modellversuch in eine ständige Beratungseinrichtung "Technikfolgenabschätzung (TA) beim Deutschen Bundestag" zu überführen. Der Vertrag mit dem Kernforschungszentrum Karlsruhe zum Betrieb des TAB wurde zunächst um fünf Jahre bis 1998 verlängert. Im Sommer 1998 – ein Jahr vor dem Umzug des Parlaments von Bonn nach Berlin – erhielt der erfolgreiche Betreiber des TAB noch einmal einen Vertrag für weitere fünf Jahre bis zum Sommer 2003.
Für das TAB stehen im Haushalt des Bundestages vier Millionen Mark zur Verfügung. Alle Abgeordneten im Beraterkreis sind sich einig, dass über die weitere Zukunft rechtzeitig entschieden werden soll, auch um den beteiligten Wissenschaftlern rechtzeitig Perspektiven aufzuzeigen. Dazu soll es eine öffentliche Ausschreibung geben. Die Vertreter von SPD, Grünen, F.D.P. und PDS streben für die Technikfolgenabschätzung langfristig einen eigenen Unterausschuss des Parlaments an. Der CDU-Abgeordnete Axel E. Fischer im Beraterkreis ist in dieser Frage noch zurückhaltend.
Karl-Heinz Reith
Stimmen zum TAB
Ulrike Flach (F.D.P.), Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung:
"Unsere Welt wird immer stärker durch neue Technologien geprägt, deren Chancen und Risiken für das Parlament nicht leicht zu bewerten sind. Das Büro für Technikfolgenabschätzung (TAB) liefert den Abgeordneten fundiertes Fachwissen, unabhängig und vorurteilsfrei. Das vor zehn Jahren gegründete Büro ist zu einer Erfolgsstory geworden. Parteipolitischer Streit bei der Aufgabenstellung und der Abnahme der Berichte ist hier wirklich die Ausnahme."
Ulla Burchardt (SPD), stellvertretende Ausschussvorsitzende:
"Die Einrichtung des TAB hat sich aus heutiger Sicht als wegweisend erwiesen. Technische Entwicklungen dürfen nicht einfach hingenommen, sondern müssen gestaltet werden. In der Einrichtung einer eigenen Beratungskapazität manifestiert sich der Anspruch des Parlaments, über den Tellerrand des Tagesgeschehens hinauszuschauen und verantwortliche Gestaltung auch für kommende Generationen möglich zu machen."
Angela Marquardt (PDS):
"Das Büro für Technikfolgenabschätzung und sein Sachverstand sollten viel häufiger auch von einzelnen Abgeordneten genutzt werden. Die Berichte sind eine wichtige Grundlage für die parlamentarische Arbeit. Sie fassen das in der Wissenschaft vorhandene Wissen zusammen und helfen dabei, Entscheidungen abzusichern."
Axel E. Fischer (CDU/CSU):
"Das TAB ist ein wesentlicher Stützpfeiler für die wissenschaftliche Politikberatung der Abgeordneten des Deutschen Bundestages. Mit der Einrichtung wurde im Konsens aller im Bundestag vertretenen Fraktionen eine Institution geschaffen, die bislang erfolgreich und unabhängig von der Tagespolitik eine belastungsfähige Grundlage für die politische Entscheidungsfindung geschaffen hat. Für den Bundestag und seinen Abgeordneten wurde ein Stück Unabhängigkeit und Chancengleichheit mit der Bundesregierung verwirklicht."
Hans-Josef Fell (Bündnis 90/Die Grünen):
"Das TAB ist eine unverzichtbare Institution. Die Technikgläubigkeit der 50er bis 80er Jahre hat zu vielen gesellschaftlichen Fehlentwicklungen geführt, obwohl vor negativen Auswirkungen gewarnt wurde. Das TAB hat in seiner 10-jährigen Geschichte einige solcher Fehlentwicklungen überprüft und Fehlentwicklungen verhindert, aber auch unberechtigte Ängste vor neuen Technologien genommen."