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DER BUNDESTAG UND DIE STAMMZELLENFORSCHUNG
Antwort auf ein Dilemma
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Unter dem Elektronenmikroskop: Stammzellen, die aus dem Blut der Nabelschnur gewonnen wurden.
Den Abgeordneten erging es in dieser Gewissensfrage der Biomedizin wie vielen gesellschaftlichen Gruppen: Sie zögerten, sie zweifelten, sie wogen ab – und mussten am Ende doch eine Entscheidung fällen: Unter sehr eng umrissenen Auflagen wird die Einfuhr menschlicher embryonaler Stammzellen nach Deutschland zugelassen. Nach monatelanger ernster Debatte entschied sich die Mehrheit des Bundestages für diesen Weg. Es ist eine Art Mittelweg – die Urheber des Antrags verstehen ihn nicht als klassischen Kompromiss, sondern als Antwort auf ein ethisches Dilemma: Die langfristige Erschließung von Heilungschancen für Schwerkranke soll nicht verbaut, aber gleichzeitig die Tötung weiterer Embryonen zur Gewinnung der Zellen verhindert werden. Deshalb müssen die Stammzellen vor einem noch genau festzulegenden Stichtag gewonnen worden sein.
Warum war die Entscheidung notwendig? War sie überhaupt notwendig? Die Frage stellte sich im Sommer 2000, als der Bonner Hirnforscher Oliver Brüstle bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) einen Förderantrag einreichte. Der heute 39-Jährige möchte mit menschlichen embryonalen Stammzellen arbeiten, um Möglichkeiten der Reparatur von erkranktem Hirngewebe zu erkunden. Mit embryonalen Stammzellen von Mäusen arbeitet er schon. Für die Fortführung des Projekts will er menschliche embryonale Stammzellen aus Haifa (Israel) importieren.
Strikt nach Gesetzeslage hätte Brüstle sein Projekt vielleicht umsetzen können. Doch schnell setzte sich die Einschätzung durch: Ein solcher Import könnte dem "Geist" des Embryonenschutzgesetzes von 1990 widersprechen. Dieses Gesetz verbietet Erwerb und Einfuhr von Embryonen zu einem Zweck, der nicht ihrem Erhalt dient ("verbrauchende Embryonenforschung"). Zellen, aus denen noch ein Embryo werden kann (totipotent), sind Embryonen gleichgestellt. Anders ist die Lage bei embryonalen Stammzellen im etwas späteren Stadium, aus denen nicht mehr Menschen, sondern nur noch verschiedene Gewebearten werden können (pluripotent). Die Gewinnung dieser Zellen zu Forschungszwecken ist zwar verboten, die Einfuhr (und die spätere Forschung) lässt das Gesetz aber zu.
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Stammzellen während der Teilung.
Wie also ist das Vorhaben Brüstles zu bewerten? Die Enquete-Kommission des Bundestages "Recht und Ethik der modernen Medizin", die bereits im März 2000 eingesetzt wurde, machte die Frage zu einem Schwerpunkt ihrer Arbeit. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) berief zudem im Mai 2001 als neues Gremium den Nationalen Ethikrat. Das Ziel auch hier: Hilfe bei der Entscheidungsfindung. Der Bundestag wollte vor seinem Votum die Empfehlungen der Enquete-Kommission und des Ethikrats kennen. Auch die DFG erklärte sich bereit, vor der Entscheidung über Brüstles Antrag die politischen Signale abzuwarten.
Die Politiker taten sich schwer. Dass die Fraktionsdisziplin bei Gewissensfragen dieses Kalibers aufgehoben wird, hat Tradition: Bei den Entscheidungen über die Abtreibung (1993) und über das Transplantationsgesetz (1997) wurde ähnlich leidenschaftlich über politische Grenzen hinweg diskutiert. In der Frage, wann Leben beginnt, wann es endet und ob das eine Leben gegen das andere abgewogen werden darf, waren die Abgeordneten völlig frei in ihrem Abstimmungsverhalten.
Guter Rat? Es gab ihn reichlich, aber er fiel unterschiedlich aus. Zunächst: Die Enquete-Kommission sprach sich gegen die Zulassung des Imports aus. Mehrheitlich, nicht einstimmig. Der Ethikrat sprach sich dafür aus. Mehrheitlich, nicht einstimmig. Diese Signale vermittelten einen Vorgeschmack auf die Folgezeit: Naturwissenschaftler gaben unterschiedliche Voraussagen zu den therapeutischen Perspektiven ab. Deutsche Nobelpreisträger warben für die Unterstützung des neuen Feldes. Die Bundesärztekammer hielt ein klares "Nein" dagegen – was keineswegs ausschloss, dass das Meinungsbild in der Ärzteschaft gespalten war. Beide christliche Kirchen warnten vor dem Import – prominente Theologen vertraten prompt andere Auffassungen. Auch die Einschätzungen im Bundeskabinett waren unterschiedlich. Selten waren die Grenzen der politischen Lager so klar aufgebrochen. Mit einem Schema "rechts" und "links" ließ sich das Meinungsbild nicht ordnen, wie auch der Kanzler in der Debatte betonte. Er selbst bildete zum Beispiel eine ungewohnte Allianz mit CDU-Chefin Angela Merkel – als Befürworter des Kompromiss-Antrages, der am Ende beschlossen wurde.
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Kultur mit Stammzellen von Mäusen.
Kernpunkte: Die Antragsteller möchten den "Verbrauch" weiterer Embryonen verhindern, aber Ausnahmen vom grundsätzlichen Importverbot für embryonale Stammzellen zulassen. Ein Schlüsselsatz dieses Antrags: "Eine Tötung von Embryonen zu Forschungszwecken muss verboten bleiben. Menschliche embryonale Stammzellen sind jedoch keine Embryonen ..."
Auch auf der Seite der vorbehaltlosen Gegner des Imports gab es ungewohnte "Bündnisse": So fanden sich zum Beispiel Grünen-Politikerin Monika Knoche und der CDU-Parlamentarier Hermann Kues, Parlamentspräsident Wolfgang Thierse (SPD) und dessen Vize Petra Bläss von der PDS zusammen. Ihr Ausgangspunkt: "Kriterien des Embryonenschutzes können für Embryonen außerhalb Deutschlands und solchen aus Deutschland ethisch nicht unterschiedlich betrachtet werden."
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Stammzellen aus menschlichem Gewebe.
Mit dem Wunsch nach weiter gehender Forschung an embryonalen Stammzellen zogen FDP-Fraktionschef Wolfgang Gerhardt und .der frühere CDU-Chef Wolfgang Schäuble an einem Strang. Sie fassten ihre Abwägung so zusammen: "Hierbei stehen sich zwei hochwertige Güter gegenüber: ein umfassender Schutz von künstlich erzeugten Eizellen außerhalb des Mutterleibs sowie die Heilungschancen zukünftiger Generationen."
In einem Punkt übrigens waren sich die Abgeordneten einig: Die Forschung mit Stammzellen Erwachsener, die in letzter Zeit beachtliche Erfolge gebracht hat, sollte mit aller Kraft vorangetrieben werden. Darüber hinaus galt: Die "freie Wahl" ohne Fraktionszwang war eine dramatisch schwere Wahl.
Margarete van Ackeren
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Embryonale Stammzellen.
Stammzellen: Zellen, die sich durch Zellteilung selbst erneuern und in einzelne oder mehrere Zelltypen ausreifen können. Als Stammzelllinien werden Stammzellen bezeichnet, die in bestimmten Nährmedien über längere Zeiträume kultiviert werden, sich durch bestimmte Merkmale und Zellfunktionen auszeichnen und daher für den Zell- und Gewebeersatz geeignet sein könnten. Es werden unterschieden:
Embryonale Stammzellen werden aus Embryonen gewonnen, die bei der Befruchtung im Reagenzglas entstanden sind. Diese Stammzellen gelten im undifferenzierten Zustand u.a. als prinzipiell unbegrenzt vermehrungsfähig und können sich in verschiedene Zellen unterschiedlicher Gewebetypen entwickeln.
Adulte Stammzellen sind noch nicht endgültig differenzierte Körperzellen, die zur körpereigenen Geweberegeneration dienen. Solche Zellen kommen z.B. im Knochenmark, in der Leber, in der Haut und in der Darmwand vor. Mittlerweile wurden etwa 20 Haupttypen adulter Stammzellen gefunden.
Totipotente Zellen: Es handelt sich um Zellen nach den ersten Teilungen der befruchteten Eizelle, aus denen ein Embryo entstehen kann. Bis zum 8-Zell-Stadium ist dies vermutlich der Fall. Nach deutschem Embryonenschutzgesetz sind sie einem Embryo gleichgestellt.
Pluripotente Zellen: Sie können sich zu verschiedenen Gewebetypen entwickeln, nicht aber zum vollständigen Embryo.
Was machen die anderen?
USA:
In einigen Bundesstaaten ist es Unternehmen erlaubt, zu Forschungszwecken Stammzellen aus Embryonen zu gewinnen. Auch mit Spendersamen und bezahlten Spenderinnen für Eizellen wurden Projekte umgesetzt. Die Forschung mit öffentlichen Mitteln erfolgt unter strengen Auflagen: Nur embryonale Stammzellen, die vor dem 9. August 2001 gewonnen waren, dürfen verwendet werden.
Schweden:
Hier ist seit 1991 Forschung an bis zu 14 Tage alten Embryonen erlaubt. Die Regierung will bald Voraussetzungen für therapeutisches Klonen schaffen.
Frankreich:
Die Nationalversammlung hat der Forschung an "überschüssigen Embryonen" zugestimmt. Vorbehalt: Die abschließende Beratung ist im Juni – nach der Wahl.
Großbritannien:
Bis zum 14. Tag ist Forschung an Embryonen unter Auflagen zulässig. Seit einem Jahr ist auch therapeutisches Klonen zur Stammzellgewinnung erlaubt.
Spanien:
Forschung mit menschlichen embryonalen Stammzellen ist verboten. Eine Lockerung wird diskutiert.
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Embryonale Stammzellen.