Treffpunkte
Kleine Zwischenmahlzeit als lebenserhaltende Maßnahme
Den mobilen Fast-Food-Stand am Pariser Platz schätzen viele Abgeordnete. Vor allem diejenigen, die in der Hektik des Arbeitstages oft das leibliche Wohl vergessen.
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Wer in Berlin wohnt oder die Stadt besucht, begegnet ihnen hin und wieder auf einer der Straßen im Regierungsviertel. Oft haben sie es eilig, tragen große Taschen, telefonieren oder reden mit jemandem, der in der Lage ist, Schritt zu halten. Manchmal sieht man einen von ihnen auf einem Fahrrad. Mensch, denkt man, das ist doch, aber da ist er schon vorbei, und ganz sicher kann man sich auch nicht sein.
Es gibt aber auch Orte, da ist die Chance, Abgeordnete des Deutschen Bundestages zu treffen, etwas größer. Dort hat man auch Zeit, in Ruhe zu überlegen, ob man die Frau da hinten am Bistrotisch nicht letztens bei Sabine Christiansen gesehen hat. Eher nicht. Bei Christiansen sitzen doch fast immer Männer. Dann war es vielleicht bei Maybritt Illner?
Auch Abgeordnete haben hin und wieder Hunger, wollen manchmal abends noch ein Glas Wein trinken, müssen zwischendurch mal schnell etwas einkaufen gehen, holen sich im Vorübergehen einen "Coffee to go" und fegen in einer Sitzungspause mal flink durch die Reihen der Neuerscheinungen in einem Buchladen. In manchen Cafés, Zeitungsläden, Friseursalons und Bäckereien liegt deshalb auch der "Kürschner" unterm Ladentisch, das Handbuch des Deutschen Bundestages, in dem alle Parlamentarierinnen und Parlamentarier mit Foto und Kurzbiografie vorgestellt werden.
Einer dieser möglichen Begegnungsorte ist der Bratwurststand am Brandenburger Tor.
Den mobilen Fast-Food-Stand mit dem Namen "Pickway" gibt es schon eine ganze Weile. Und Frank Meyhack brät seitdem die Würstchen. Am Standort des Imbisses schieden sich schon viele Geister. Darf er oder darf er nicht in unmittelbarer Nähe des Brandenburger Tores auf dem Pariser Platz stehen? Die Frage ist bis heute nicht entschieden, aber es gibt inzwischen viele die – Vorschriften hin oder her – meinen, die Würstchenbude gehöre genau da hin, wo sie steht. Nicht, dass es an Restaurants, Bistros, Cafés mangelt im Revier. Den schnellen Imbiss zwischendurch aber nimmt man doch gern hier draußen, vor allem, wenn das Wetter schön ist.
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Die SPD-Abgeordneten Günter Graf und Hans-Peter Kemper, die sich für den Erhalt des Würstchenstandes einsetzen.
Dann guckt man auf das verhüllte Brandenburger Tor, auf dem versprochen wird "Im Internet ist alles möglich", schließt Wetten ab, ob der Doppeldecker es wirklich durch die schmale Tordurchfahrt schaffen wird, prüft den Stand der Bauarbeiten auf dem Pariser Platz und bestaunt die gläsernen Büros im Gehry-Bau auf der gegenüberliegenden Seite. Der Streit um diese Vorschriften interessiert die Hungrigen wenig. Vorschriften kann man nicht essen, und die Bratwurst ist gut.
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Friedbert Pflüger (links, CDU/CSU), Vorsitzender des Europaausschusses, mit einem anderen Berliner Würstchenesser.
Das jedenfalls finden auch jene Abgeordneten, die diese Möglichkeit für einen schnellen Imbiss schon längst schätzen gelernt haben und hin und wieder Gast bei "Pickway" sind. Die SPD-Abgeordneten Günter Graf und Hans-Peter Kemper machen hin und wieder kurze Rast am mobilen Fast-Food-Stand. "Wenn es darum geht, ihn zu erhalten, äße ich auch mal fünf Bratwürste am Tag", sagt Günter Graf, der sich regelmäßig bei den Bratwurstbratern nach dem Stand der Dinge erkundigt. Irgendwann haben die Besitzer denn auch ein Foto neben die Verkaufsfläche gestellt, auf dem Herr Graf und Herr Kemper zu sehen sind, wie sie eine Bratwurst essen.
"Der Stand passt hier bestens hin", sagt Hans-Peter Kemper, "zwischen Adlon und Brandenburger Tor. Das ist eine Bereicherung für den Platz, gehört zu einer Weltmetropole und ist vor allem wichtig für den Lebenserhalt der Abgeordneten, die im Zweifelsfall das Essen ganz vergessen, wenn die Termine zu dicht liegen."
Auch Friedbert Pflüger, Abgeordneter der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und Vorsitzender des Europaausschusses, weiß diesen Aspekt zu schätzen.
"Eigentlich bin ich ja Vegetarier", verrät er lächelnd, "nur bei Bratwurst mache ich eine Ausnahme. Ich bin sozusagen eine kulinarische Mischung aus Joschka Fischer und Gerhard Schröder." Diese Bemerkung lässt auch Frank Meyhack schmunzeln.
Friedbert Pflüger fragt ihn, ob in Sitzungswochen mehr verkauft werde als in anderen Zeiten. Dies sei schon so, bestätigt Meyhack. Denn die Abgeordneten, die es immer eilig hätten und nur schnell mal fünf Minuten Pause machten, gehörten dann einfach zum Bild. "Schön wäre ja", sagt der CDU-Abgeordnete dann, "wenn es hier noch mehr Verkaufsstände gäbe. Ich habe mir hier mal Anfang der Neunziger ein russisches Fernglas gekauft. Schönes Stück. So ein biss-chen Handel und Wandel täte dem Platz wirklich gut."
Trotz Regen und Wind kommt ein weiterer Kunde, der dem Abgeordneten kurz entschlossen die Hand gibt und "Guten Tag, Herr Pflüger!" sagt. "Sie kennen mich nicht, aber ich habe Sie schon oft im Fernsehen gesehen." Und so findet man noch ein paar Minuten Zeit, um über Politik und das Reichstagsgebäude zu reden, bevor sich Herr Pflüger gestärkt zum nächsten Termin aufmacht.
Je nach Bürostandort gibt es natürlich für viele Abgeordnete, die den kleinen Hunger nicht mehr ignorieren können und wollen, bevorzugte "Esspunkte". Monika Knoche von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mag den zum Imbiss umfunktionierten Bauwagen in der Luisenstraße. Da sei es intimer und privater als anderswo. "Man darf nicht unterschätzen, wie gern Abgeordnete auch mal privat sind. Oft wird Essen ja auch mit Arbeit verbunden. Heißt dann eben Arbeitsessen und ist nicht unbedingt stressfrei."
Aber auch am Pariser Platz stärkt sich Monika Knoche hin und wieder. Doch normalerweise lässt ihr der Terminkalender gerade mal Zeit für ein ordentliches Frühstück. Mit dem legt sie sozusagen die Grundlage für den Tag. Wenn es sein muss, sogar um vier Uhr morgens, kurz bevor der Flieger geht. "Unser Alltag kennt ja keinen Rhythmus", sagt sie, "deshalb versuche ich morgens auf jeden Fall gut zu essen. Rühreier, Tomaten, Saft und Kaffee. Marmeladenbrötchen gibt es bei mir nicht."
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Die FDP-Abgeordneten Birgit Homburger und Dirk Niebel.
Den PDS-Abgeordneten Gerhard Jüttemann überkommt am Würstchenstand ein kleines heimatliches Gefühl. Der gebürtige Thüringer aus Bischofferode freut sich über das Imbissangebot am Pariser Platz. Thüringen und Bratwurst gehören seit jeher zusammen. Wenn Gerhard Jüttemann zu Hause unterwegs ist, gesteht er, könne er an keiner Bratwurstbude ohne Zwischenstopp vorbeifahren.
"Ich kann nicht widerstehen, vor allem nicht in Oberhof, wo es die bes-te Bratwurst der Welt gibt. Und wenn ich hier in Berlin auf dem Weg in den Reichstag bin, dann kann ich auf die Schnelle am Pariser Platz Halt machen und eine Wurst essen. Ich bin auch unbedingt dafür, dass die Leute, die diesen Stand betreiben, hier bleiben können. Ich habe Bekannte, die in der Leipziger Straße in Berlin einen Schnellimbiss betreiben. Das ist schwere Arbeit, die nicht durch bürokratische Spitzfindigkeiten behindert werden sollte."
Den Beginn der schweren Arbeit kann man jeden Morgen beobachten, wenn der mobile Stand am Pariser Platz aufgebaut wird. Das Prinzip ist einfach und genial, und innerhalb weniger Minuten entsteht aus einem kompakten Würfel der kleine, überdachte Imbiss.
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Monika Knoche (Bündnis 90/Die Grünen) macht ab und zu ebenfalls hier Halt.
Auch der FDP-Abgeordnete Dirk Niebel ist kurzen kulinarischen Pausen nicht abgeneigt. Und wenn er noch eine Fraktionskollegin wie Birgit Homburger überreden kann, mal kurz innezuhalten und an Leib und Magen zu denken – umso besser. Frühstücken allerdings tut er nur, wenn es sich um ein Arbeitsfrühstück handelt. Den kleinen Imbiss am Pariser Platz finden er und seine Kollegin genau richtig. "Noch mehr Stände hier täten dem Platz nur gut", sagt Birgit Homburger, und Dirk Niebel gibt ihr Recht. "Gegenwärtig sieht es so aus, als könnte dieser Platz hier sehr steril werden. Aber solche Orte müssen nicht immer so sehr aufgeräumt sein."
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Der PDS-Abgeordneten Gerhard Jüttemann.
Birgit Homburger und Dirk Niebel lassen sich von Frank Meyhack eine Mischung aus Ketchup, Senf und Curry für die Bratwurst zusammenstellen. Das sieht bunt und eigenwillig aus. Auf ihre Lieblingsgerichte angesprochen, schwärmt Birgit Homburger von richtig guter Tomatensuppe, und Dirk Niebel gesteht, dass er für sein Leben gern grillt. Ohne Schürze, betont er auf Nachfrage. Aber Grillen sei eine ganz kommunikative Angelegenheit.
Frank Meyhack an seinem Bratwurstgrill sieht in diesem Moment aus, als überlegte er, ob man den Abgeordneten Niebel nicht mal engagieren könnte. Aber da ist der schon wieder fort. Wird wohl ein Zeitproblem geben.
Text: Kathrin Gerlof,
Fotos: studio kohlmeier