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Was wird aus dem Schlossplatz?
Von Hermann Otto Solms, Vizepräsident des Deutschen Bundestages
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Wer heute den Weg vom Brandenburger Tor über den Pariser Platz nach Osten nimmt und sich "Unter den Linden" von prächtigen Gebäuden beeindrucken lässt, findet am Ende des Boulevards eine Ödnis vor. Dort, wo sich im Mittelpunkt jeder durch die Jahrhunderte gewachsenen Stadt meist ein markantes Bauwerk erhebt, stand in Berlin 500 Jahre lang das Stadtschloss. Es wurde 1945 bei einem Bombenangriff schwer getroffen und brannte zum großen Teil aus, hätte aber wieder aufgebaut werden können. Dennoch wurde es auf Anordnung von Walter Ulbricht 1950 für einen Aufmarschplatz abgerissen. Heute ist der Schlossplatz das letzte funktionslose Areal in der Mitte der Hauptstadt.
Nach nur einjähriger Arbeit hat kürzlich die internationale Expertenkommission zur historischen Mitte Berlins ihren Bericht vorgelegt. Sie plädiert für einen Neubau mit dem Grundriss und in den Maßen des Berliner Stadtschlosses. Dieser Neubau soll sich an der Struktur und am Erscheinungsbild des ehemaligen Stadtschlosses orientieren, um den historischen Zusammenhang zum Ensemble Unter den Linden und zum Lustgarten wiederherzustellen. Er soll die außereuropäischen Sammlungen aus Dahlem aufnehmen, die Zentral- und Landesbibliothek sowie die Sammlung der Humboldt-Universität und durch einen Veranstaltungsbereich ergänzt werden. Darüber hinaus plädiert die Kommission – allerdings mit knapper Mehrheit – dafür, die barocken Fassaden nach Norden, Westen und Süden zu rekonstruieren. Damit hat sich die Auffassung durchgesetzt, dass Berlin ebenso wie viele andere im Zweiten Weltkrieg zerstörte Städte in seiner historischen Mitte einer "Vergegenwärtigung seiner Geschichte" bedarf. Zeitgenössische Lösungen können diesem Anspruch kaum gerecht werden. Die Konsequenz dieses Vorschlags überrascht: nach einer heftigen und teilweise erbitterten Diskussion nicht, wie häufig üblich, ein Kompromiss, sondern ein Wagnis.
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Das Berliner Schloss im Jahre 1938.
Die Expertenkommission hat mit ihren zu Recht gelobten Empfehlungen eine überzeugende und tragfähige Grundlage für die Entscheidung des Bundestages in der letzten Sitzungswoche vor der parlamentarischen Sommerpause geschaffen. Die Abstimmung wird ohne "Fraktionszwang" erfolgen und unumkehrbar die architektonische Qualität des Berliner Zentrums beeinflussen. Bereits heute zeichnet sich ab, dass eine überwältigende Mehrheit den Vorschlägen der Expertenkommission folgen wird – abgesehen von der Fassadengestaltung. In dieser Frage gibt es zwei konträre Meinungen: Die einen plädieren dafür, die barocken Fassaden und außerdem den Schlüterhof wieder zu errichten, die anderen wollen lieber moderne Alternativen hierzu prüfen. Ich werbe mit Nachdruck dafür, sich bei der Abstimmung dem Vorschlag der Kommission anzuschließen. Wenn man sich für ein Gebäude in der Architektursprache unserer Zeit entscheidet, ähnelt es einer Reihe von bemerkenswerten Neubauten, die in Berlin nach dem Fall der Mauer entstanden sind – identitätsstiftend sind sie aber eher nicht. Marion Gräfin Dönhoff hat dieses Argument wie folgt zusammengefasst: "Ich bin für den Wiederaufbau des Berliner Schlosses, weil alles, was Geschichte deutlich wahrnehmbar werden lässt, für das Selbstverständnis der lebenden und der kommenden Generationen unentbehrlich ist."
Dass die Verbindung von alt und neu gelingen kann, hat das neu gestaltete Reichstagsgebäude eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Es ist für viele Bürger zu einer geglückten Attraktion im neuen Berlin geworden, zu einem architektonischen Erlebnis von Geschichte und Neuanfang und darüber hinaus zu einem Symbol unserer parlamentarischen Demokratie. Warum sollte Ähnliches nicht auf dem Schlossplatz gelingen?