Essay
Medien im Wahljahr
... nun wieder der Bundestag
von Hans-Jürgen Krug
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Hans-Jürgen Krug.
Peter Struck raucht Pfeife, Otto Schily liebt Klassik, Edmund Stoiber schätzt gestreifte Krawatten und Angela Merkel geht zu einem bestimmten Berliner Friseur. So zumindest vermelden es die Medien – und ihr Interesse an dem Menschen Politiker nimmt zu. Das Private ist das Politische, sagt vor allem das Leitmedium Fernsehen – und setzt auf politischen Softtalk. Ob "Beckmann" (ARD) oder "Biolek" (ARD) oder "Maischberger" (n-tv): Persönliches, Unterhaltsames, Emotionales – und gern auch ein wenig Skandalöses – sind bei den Sendern gefragt. Und auch die Zuschauer mögen diese abendlichen Politiktalks.
Doch ist das noch Politik? Seit die früher stabilen religiösen sowie politischen Milieus in Deutschland schwächer werden, seit immer mehr Fernsehprogramme auf den engen Quotenmarkt drängen, hat sich der Umgang mit Politik und politischen Inhalten deutlich verändert. Gerade in den populärsten Programmen ARD und ZDF, RTL und SAT1 sind Unterhaltungselemente ins politische Gespräch eingegangen, haben es emotionaler und erregter gemacht. Komplexes wird zunehmend durch einfache Botschaften ersetzt – und längst geht es nicht mehr um politische Programme. Die stehen im Internet. Wenige populäre Köpfe fechten heute die eigentlichen Debatten aus. Hier diskutiert die Bundesliga. Stellvertretend – und immer wieder.
Dennoch verstellt das Starren auf die populären Abendprogramme den Blick. Denn es herrscht kein Mangel an traditioneller Politik im Fernsehen. Parlamentsdebatten sind zwar rar, politische Magazine verlieren an Bedeutung und Reportagen an Zuschauern. Doch hochseriöse politische Gesprächsendungen wie "Presseclub" (ARD) oder "halb 12 – Eser und Gäste" (ZDF) behaupten sich; die neuen Spezialprogramme PHOENIX, N 24, n-tv oder CNN senden sogar (fast) 24 Stunden Politik live und pur. Sie offerieren, mal brav, mal kritisch, von der Pressekonferenz bis zur Parlamentsdebatte Politikwelten, die vor Jahren wenigen Eingeweihten vorbehalten waren. Und vor der Bundestagswahl wurde die Zahl der Talks und talkenden Extrasendungen nochmals erhöht. In unzähligen "Kreuzfeuern" und "Duellen" warb die TV-Prominenz um die knappe Aufmerksamkeit der Menschen; Beobachter registrierten bereits eine "Dauerwerbesendung des Politischen".
Noch nie wurde im Fernsehen so ausgiebig und so unterhaltend um Politik gerungen wie im Wahljahr 2002. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik prägten Medien ganz offenkundig alle Formen des Wahlkampfes. Nicht mehr die Vor-Ort-Auftritte der Politiker, die Plakate an den Straßenrändern und die Wahlwerbespots erregten die Menschen, sondern zwei Fernsehereignisse in Berlin-Adlershorst. "Die TV-Duelle" zwischen Gerhard Schröder und Edmund Stoiber waren (auch in Radio, Zeitung, Internet) ganz offenkundig die Wahlhöhepunkte und vor allem moderne, unterhaltende Medienevents. Und wie beim richtigen Fußballendspiel wurden auch bei der Kandidatenbefragung Vorberichte, Nachbewertungen, Meinungsumfragen, kurz: "Firlefanz" (FAZ), fast so wichtig wie die eigentlichen Duelle. Denn wirklich Neues sagte kein Kandidat den mehr als 500 Journalisten vor Ort und den über 15 Millionen Zuschauern. Wie hätte er auch? Längst ist alles gesagt – und so diskutierte die veröffentlichte Meinung über Krawatten ebenso wie über Arbeit und Krieg. Fernsehdramatik ist eben eines, politische Differenz ein anderes.
Die Menschen wissen das natürlich längst – und sie reagieren deshalb gelassen. Der Bildschirm dient der (Nebenbei-)Unterhaltung; die wirklich wichtigen Erfahrungen aber machen auch Zuschauer noch immer in der Familie oder bei der Arbeit. Fernsehreiz, Wahlkabinenkreuz – diesen Mechanismus gibt es nicht.
Die "TV-Duelle" machten Politik erstmals wieder zum großen nationalen Gesprächsanlass. Die Wahl entschieden sie nicht, und der Einfluss von Fernsehtalks und -events sollte nicht überschätzt werden. Medien sind keine vierte Gewalt, ihr Einfluss ist bedeutend, doch begrenzt. Gerade jetzt. Denn der neue Kanzler wird vom Bundestag gewählt, Realität hier gesetzgeberisch gestaltet. Nun kommen wieder die Stunden des Parlaments – und Medien werden davon erzählen.
Hans-Jürgen Krug wurde 1952 in Niederdieten (Hessen) geboren und studierte Wissenschaft von der Politik, Germanistik und Pädagogik in Marburg an der Lahn. Er promovierte mit einer Arbeit über das Arbeitslosenhörspiel in der Weimarer Republik und lebt heute als Medienjournalist in Hamburg. Dieser Tage erscheint von ihm der Band "Radiolandschaften. Beiträge zur Geschichte und Entwicklung des Hörfunks".