Streitgespräch
DIALOG
Hilfe für Flutopfer
Die Finanzierung bleibt umstritten
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Das Hochwasser ist zurückgegangen, die Schäden bleiben immens. Die Koalitionsfraktionen von SPD und B'90/Die Grünen hatten kurz vor Ende der Wahlperiode des alten Bundestages ein Gesetz beschlossen, das den Großteil der Hilfe in der Höhe von rund zehn Milliarden Euro durch eine Verschiebung der zweiten Stufe der Steuerreform aufbringt. Die CDU/CSU-Fraktion will lieber den Bundesbankgewinn in Anspruch nehmen. Blickpunkt Bundestag führte darüber ein Streitgespräch mit den Finanzexperten von SPD und CDU/CSU, Joachim Poß und Peter Rauen.
Blickpunkt Bundestag: Herr Poß, wenn Sie Haus und Gut in den Fluten verloren hätten – wie würden Sie auf den Streit um die Kosten reagieren?
Joachim Poß: Ich hätte wohl wenig Verständnis dafür, denn als Betroffener hätte ich sicher andere Sorgen. Aber wir als politisch Verantwortliche sind nun einmal in einer anderen Situation und haben die Aufgabe, vernünftige Wege der Hilfe und ihrer Finanzierung aufzuzeigen. Für die SPD heißt dies zweierlei: schnelle und rasche Hilfe, aber nicht durch neue Schulden.
Blickpunkt: Und Sie, Herr Rauen?
Peter Rauen: Ich bin ja Mittelständler. Als geschädigter Unternehmer würde ich mich fragen müssen: Kann ich weiter machen oder muss ich zum Sozialamt gehen? Deshalb würde ich schnell wissen wollen, in welcher Form mir geholfen wird. Ein in seiner Existenz bedrohter Mittelständler kann nicht lange warten. Staatliche Hilfen und Kredite müssen rasch bereit stehen, das ist das Entscheidende.
Blickpunkt: Zehn Milliarden Euro sind sehr viel Geld – und doch nur gerade vier Prozent des Gesamtetats des Bundes. Warum ist es nicht möglich, durch Umschichtungen im Haushalt diese Summe aufzubringen?
Rauen: Das frage ich mich auch. Ich weiß aber auch die Antwort: Unter der rot-grünen Regierung haben wir das erhoffte Wachstum von vier Prozent in den letzten zwei Jahren nicht gehabt. Das bedeutet, dass uns 80 Milliarden Euro Wachstum fehlen, da wird es natürlich schwer, aus einem ohnehin angespannten Haushalt zehn Milliarden Euro herauszuschneiden.
Poß: So einfach ist das nicht! Die Haushalte von Bund und Ländern sind in der Tat auf Naht genäht. Da kann man nicht ohne weiteres solche Summen bewegen. Oder man müsste tiefe Einschnitte in den sozialen Bereich oder in die Infrastruktur machen; beides aber wäre eindeutig kontraproduktiv in der gegenwärtigen Lage.
Blickpunkt: Wenn die Politik sich bereits mit zehn Milliarden Euro Katastrophenhilfe so schwer tut, wie soll sie dann die ungleich teureren und schwierigeren Reformen – etwa bei Arbeitsmarkt und Gesundheit – schultern?
Poß: Also, wir haben ja bereits Erhebliches geschultert, denken Sie nur an die Halbierung der Neuverschuldung oder an den Solidarpakt II, der bis ins Jahr 2019 reicht. Deshalb haben wir keinen Grund, die Richtung zu ändern. Entscheidend für uns ist dabei: Was jetzt zu leisten ist, dürfen wir nicht auf die nächste Generation abwälzen.
Rauen: Alles hängt vom Wachstum ab, ohne Wachstum kann niemand Reformen in Deutschland durchführen. Deshalb gibt es zum Wachstum keine Alternative. Die einzige Ressource, die wir haben, ist der Fleiß und die Strebsamkeit der Menschen. Deshalb ärgert es mich ja so, dass die Chance vertan wurde, diesen Fleiß endlich mit niedrigeren Steuern zu belohnen und weiter anzufeuern. Nur so werden wir die schwierigen und teuren Herausforderungen der Zukunft meistern können.
Blickpunkt: Millionen Bürger haben sich in der Tat auf Steuersenkungen im kommenden Jahr gefreut. Ist die von der Regierung Schröder durchgesetzte Verschiebung der zweiten Stufe der Steuerreform wirklich alternativlos, Herr Poß?
Poß: Aus unserer Sicht ist es die richtige Antwort. Denn wir hatten ja bereits drei wichtige Steuerentlastungsschritte, von denen Millionen Arbeitnehmer, Familien und auch der Mittelstand profitiert haben. Deshalb scheint es uns vertretbar, die nächste Entlastungsstufe für ein Jahr zu schieben. Ich glaube auch, dass die Menschen dies so sehen, denn die Verschiebung ist ökonomisch, sozial und finanziell eine vernünftige Lösung mit Augenmaß.
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Im Gespräch: Peter Rauen (rechts) …
Rauen: Einspruch. Die Verschiebung der Steuerentlastung ist ein großer Fehler. Immerhin wird dem Markt und den kleinen Leuten 6,8 Milliarden Euro entzogen. Für den durchschnittlichen Arbeitnehmer heißt das konkret, er hätte im Monat 30 Euro mehr gehabt. Das entspricht immerhin einer Lohnerhöhung von drei Prozent. Mit Blick auf Arbeitsmarkt und Wachstum ist diese Entscheidung absolut kontraproduktiv. Wenn wir jetzt, was durchaus möglich ist, ein Prozent Wachstum weniger haben werden, ist mit Zitronen gehandelt worden, denn dann sind die durch die Verschiebung erhofften Milliarden gar nicht da. Bei dem von uns gewünschten Rückgriff auf den Bundesbankgewinn wären diese Gefahren nicht vorhanden, außerdem wäre das Geld sofort auszahlbar gewesen und hätte so schnell die Adressaten erreicht. Für viele Betriebe ist das existenzentscheidend.
Blickpunkt: Hat der Unionsplan, auf die Bundesbankgewinne zurückzugreifen und neue Schulden zu machen, nicht auch große Nachteile? Rauen: Nein, das sehe ich nicht so. Denn auch mit der Verschiebung der Steuerentlastung wird ja das Wachstum immer weiter nach hinten verschoben. Die Basis für den dringend nötigen Aufschwung wird damit immer kleiner. Da fragt man sich schon, was das geringere Übel ist.
Poß: Verehrter Kollege, das sehe ich total anders. Die Zinsen in Höhe von 41 Milliarden Mark auf die Schulden, die wir aus der Zeit der Kohl-Regierung haben, sind doch schon eine unzumutbare Belastung. Den Schuldenberg noch weiter zu erhöhen, wäre eine unglaubliche Zumutung für unsere Enkel. Die Schulden von heute sind ja immer die Steuererhöhungen von morgen; außerdem engen sie den Spielraum jeder Regierung ein. Die Gering- und Normalverdiener wurden im Übrigen durch die Erhöhung des Grundfreibetrages, die Senkung des Eingangsteuersatzes und die Erhöhung des Kindergeldes bereits kräftig entlastet. Die Spitzensteuersatzzahler können sicherlich ein Jahr auf die Absenkung von 48,5 auf 47 Prozent warten.
Rauen: Es geht doch gar nicht um die Spitzeneinkommen, sondern um die Masse der kleinen Leute. Deshalb sage ich: Natürlich dürfen wir nicht auf Dauer neue Schulden machen zu Lasten der nächsten Generationen; aber wenn wir eine Politik machen, die Wachstum verhindert und Arbeitsplätze vernichtet, haben wir etwas viel Schlimmeres getan. Denn dann haben wir auf allen Sektoren, auch bei den Sozialbeiträgen, eine Spirale, die immer mehr den kleinen Mann belastet. Der Teufelskreis zwischen zu geringem Nettoeinkommen der Menschen und den zu hohen Bruttoarbeitskosten muss endlich durchbrochen werden.
Poß: Also ich finde Ihre Befürchtungen und Berechnungen reichlich abenteuerlich. Wenn zum Beispiel Handwerkspräsident Dieter Philipp davon spricht, dass mit der Verschiebung 200.000 Arbeitsplätze vernichtet werden, hätte er vorher sagen müssen, dass mit der Steuerentlastung 200.000 Arbeitsplätze verbunden oder gesichert werden. Das habe ich von ihm nicht gehört. Ein bisschen sollte man schon bei der Logik bleiben. Ich bleibe dabei: Neue Schulden wären Gift und ein völlig falsches Signal, übrigens auch an die Europäische Zentralbank!
Blickpunkt: Wir haben jetzt über die Reparatur der Schäden diskutiert. Wie ernst nehmen Sie als Finanzpolitiker die Vorsorge?
Rauen: Natürlich muss man vorsorgen, Sünden der Vergangenheit beseitigen und etwa an die Renaturierung der Flüsse denken. Aber in engen Tälern wie im Erzgebirge können Sie relativ wenig Vorsorge treffen. Eine totale Sicherheit vor Naturgewalten gibt es eben nicht.
... und Joachim Poß.
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Poß: Einverstanden. Dennoch: Die Flutkatastrophe hat gezeigt, wie wichtig eine nachhaltige Umweltpolitik ist. Und damit die funktionieren kann, setzt die SPD auch auf eine nachhaltige und solide Finanzpolitik.
Rauen: Schön gesagt, aber Ihre Wirklichkeit sieht anders aus.