Rede von Bundestagspräsident Dr. Norbert Lammert zur Eröffnung des Bode-Museums in Berlin
Herr Bundespräsident Scheel,
Herr Staatsminister Neumann,
Herr Regierender Bürgermeister Wowereit,
sehr geehrter Herr Präsident Lehmann,
Herr Generaldirektor Schuster,
Herr Direktor Effenberger,
Exzellenzen,
liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Deutschen Bundestag,
dem Berliner Abgeordnetenhaus,
verehrte Gäste,
die im Umfang und Tonlage außerordentliche Vorberichterstattung zur Wiedereröffnung des Bode-Museums könnte Zweifel erzeugt haben, ob es dieser Veranstaltung überhaupt bedarf, um auf die überragende Bedeutung dieses Museums und seiner Sammlung aufmerksam zu machen. Sowohl der Stellenwert der Museumsinsel, die - buchstäblich auf der Bahnstrecke zwischen Paris und Moskau - in unüberbietbarer Weise das kulturelle Erbe der Menschheit dokumentiert, als auch die herausragende Bedeutung dieses Museums sind in einer geradezu hymnischen Weise besungen worden, so dass es einer Ergänzung oder gar Bestätigung sicher nicht bedarf. Schon gar nicht von Repräsentanten der Politik, denen gegenüber die Vermutung weit verbreitet ist, dass es eine ärgerliche Diskrepanz zwischen geringem Sachverstand und großem Einfluss gäbe. Deswegen wird möglicherweise die einzige Frage, an deren Antwort viele von Ihnen interessiert sein könnten mit Blick auf die Repräsentanten des Staates die sein, ob wir die Wertschätzung denn wohl teilten, die in dieser Berichterstattung deutlich geworden ist und die uns in ultimativer Weise nachher ganz sicher durch Herrn Schuster und Herrn Effenberger noch mal erreichen.
Ich will mich vor diesem Thema nicht drücken und eher vorsichtig den damit verbundenen Fragen annähern. Dabei muss ich der guten Ordnung halber darauf hinweisen, dass bei der Eröffnung dieses Museums 1904 noch ein leibhaftiger Kaiser persönlich zugegen war, mit dem wir heute nicht mehr dienen können. Unter den gründlich veränderten Bedingungen einer gründlich neuen Verfassung ist das Volk nicht mehr der Untertan, sondern der Souverän, den hier zu vertreten eine besondere Freude, wenn auch ein vergleichsweise riskantes Unternehmen ist.
Damals, im 19. und 20. Jahrhundert, haben die preußischen Könige und deutschen Kaiser ihre Museen in der Nähe der Residenzen gebaut. Heute suchen immerhin deutsche Kanzler ihre Wohnungen in der Nähe dieser Museen. Das eine ist nicht weniger aufschlussreich als das andere. Dass die amtierende Kanzlerin übrigens entschieden lieber hier wäre als bei einer Debatte der eigenen Fraktion über die Gesundheitsreform, werden Sie mir und ihr aufs Wort glauben. Mit solchen Debatten hatte der damalige Souverän wenig zu tun.
Nun hat der Prof. Lehmann in seiner Begrüßung schon freiwillig die Kosten dieses Museums angesprochen und sich damit in die unmittelbare Nähe einer der wenigen Fragen begeben, für die nicht mehr die Experten, sondern die Kultur- und die Haushaltspolitiker verantwortlich sind, die am Ende nach dem Votum der Fachleute die Frage beantworten müssen, ob das denn eigentlich angemessen und zu vertreten sei. Ich zögere keinen Augenblick zu sagen, jawohl die Kosten sind hoch, aber sie sind Euro für Euro angemessen.
Und ich erlaube mir mit Hinweis nicht nur auf anwesende Mitglieder des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages den ebenso irreführenden wie zielführenden Hinweis, dass auch dann, wenn es uns hoffentlich gelungen ist, die etwa 60 Millionen Euro für das Besucherzentrum zusätzlich zu mobilisieren, diese Kosten, addiert mit denen des Museumsumbaus, immer noch unter den Kosten des Umbaus des Berliner Olympiastadions liegen würden. Und der zweifellos dringend notwendige Ausbau des Flughafens Berlin-Schönefeld wird deutlich mehr kosten als die häufig beschworenen "gigantischen" Kosten für die Instandsetzung der gesamten Museumsinsel. Nun ist das eine so nötig wie das andere und niemand wird auf die Idee kommen, ich wolle das eine gegen das andere ausspielen. Aber darauf möchte ich schon bestehen: Der Aufwand für die kulturelle Infrastruktur einer Gesellschaft ist nicht weniger wichtig als für ihre Verkehrsinfrastruktur.
Die Wiedereröffnung dieses Museums ist eine wunderschöne Gelegenheit, meine Überzeugung zu bekräftigen, die ich auch bei anderen Gelegenheiten vorgetragen habe, dass entgegen einer landläufigen Vermutung Kunst und Kultur nicht eine besonders sympathische Nebensache der Politik sind, sondern die Hauptsache. Was von dieser Generation, wie von früheren Generationen im Gedächtnis dieses Landes, wenn's gut geht im Gedächtnis der Menschheit zurückbleiben wird, sind nicht unsere Bahnhöfe und unsere Flughäfen, auch nicht unsere Steuergesetze, nicht einmal das Niveau unserer sozialen Sicherungssysteme, es sind Kunst und Kultur. Dabei haben wir im Verständnis von Staat und Gesellschaft über den Stellenwert dieses scheinbaren Randbereichs nach meiner Überzeugung durchaus beachtliche Fortschritte gegenüber der Zeit gemacht, die gerade mal hundert Jahre zuvor noch bei Gründung dieses Museums anzutreffen waren. Von Kaiser Wilhelm ist der denkwürdige Satz überliefert, "Eine Kunst, die sich über die von mir bezeichneten Gesetze und Schranken hinwegsetzt, ist keine wirkliche Kunst mehr. Sie ist Fabrikarbeit, ist Gewerbe, das darf nie Kunst werden". Eine solche Anmaßung dürfte und würde sich heute weder ein Staatspräsident noch ein Regierungschef erlauben und für das Amt des Kulturstaatsministers käme schon nicht einmal mehr in Betracht, wer von dieser Versuchung auch nur geplagt wäre.
Herr Prof. Lehmann weiß, dass ich in ähnlichen oder anderen Zusammenhängen mich immer gegen den leider weit verbreiteten, aber unsäglichen Begriff der "Kulturhoheit" gewandt habe, der nach meiner festen Überzeugung weder das Verhältnis zwischen Bund und Ländern noch das Verhältnis des Staates gegenüber Kunst und Kultur angemessen zum Ausdruck bringt. Ein Staat, der Kunst und Kultur mit hoheitlicher Gebärde begegnet, ist sicher kein Kulturstaat.
Ich möchte gerne einen Aspekt aufgreifen und unterstreichen, der in der Begrüßung des Präsidenten der Stiftung notwendigerweise eher am Rande Erwähnung gefunden hat, obwohl er in das Zentrum der Beschäftigung mit diesem Museum und dieser Museumsinsel gehört, nämlich die Verbindung von öffentlichem und privatem Engagement. Dieses Museum und dieser gesamte Museumskomplex wären ohne staatliche Finanzierung nicht entstanden, aber ohne private Förderer, ohne bürgerschaftliches Engagement auch nicht. Ohne dieses ganz außergewöhnliche bürgerschaftliche Engagement wären bestenfalls die Museen zustande gekommen, nicht aber die Sammlungen, die in diesen Museen einen einzigartigen Platz gefunden haben. Beides bleibt auch für die Zukunft unverzichtbar. Und soweit es sich hier um staatliche Verantwortung handelt, möchte ich alle Kolleginnen und Kollegen, die ja auch in Zukunft unvermeidlicherweise mit Folgeentscheidungen befasst sein werden, ausdrücklich ermutigen, im doppelten Sinn des Wortes mit dem notwendigen Blick für Proportionen die notwendigen Entscheidungen zu treffen. Und auch auf die Gefahr hin, dass ich einen beachtlichen Teil der Historiker gegen mich aufbringe, erlaube ich mir die ganz private Vermutung, dass aus der Regierungszeit von Wilhelm II. kaum etwas anderes in Erinnerung geblieben ist, das in ähnlicher Weise unzweifelhaft Dank und Anerkennung verdient wie die Gründung dieses Museums.
Deswegen spricht manches dafür, dass wir die Verbindung vom öffentlichen, vom staatlichen Engagement und von bürgerschaftlicher Initiative für die weitere Entwicklung dieses grandiosen Ensembles von Museen genauso dringend brauchen, wie es ein unverzichtbarer Bestandteil für die Gründung dieses und der anderen Museen war.
Meine Damen und Herren, in einer großen Wochenzeitung habe ich am vergangenen Sonntag gelesen, "ein Besuch im Berliner Bode-Museum ersetzt alles Podiumsgerede über Leitkultur". Das hat mir - wie Sie sich denken können - gut gefallen. Man könnte dieses Museum übrigens auch für die schönste denkbare, jedenfalls aktuellste Bestätigung dieses Zusammenhangs halten. Jede Kultur, die sich ernst nimmt, ist insoweit eine Leitkultur. Und dass Kunst und Kultur dieses Landes und dieses Kontinents wie die Verfassung dieses Landes und die künftige Verfassung dieses Kontinentes auch und gerade und unablösbar auch etwas mit Religion und religiösen Überzeugungen zu tun haben, davon können Sie sich beim Gang durch die Ausstellungssäle einen im wörtlichen Sinne handfesten Eindruck verschaffen. Dieses grandiose Museum und seine herausragenden Exponate, vor allem der Geist, den sie ausdrücken und vermitteln, bestätigen den Rang nicht nur von Kunst und Kultur im Allgemeinen, sondern nicht zuletzt auch des Kulturkreises, in dem sie entstanden sind. Das kann man meinetwegen nennen, wie man will, aber offen vertreten darf man das allemal.
Dies, meine Damen und Herren, ist ein besonders schöner Tag, um Dank zu sagen und Glückwünsche auszusprechen. Dank zu sagen an alle diejenigen, die mit einem bewundernswerten Einsatz diesen Umbau und diese Wiederauferstehung möglich gemacht haben und alle zu beglückwünschen, die dieses Geschenk neu erhalten. Diese Stadt und dieses Land dürfen sich beglückwünschen, dass es dieses Museum wieder gibt.