Auch im Arbeitsministerium Hinweise auf zu optimistische Annahmen
Berlin: (hib/KHB) Der Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages zum angeblichen "Wahlbetrug" der Bundesregierung vor der Wahl 2002 hat am Donnerstag den dritten Komplex aufgerufen, die Finanzlage der Rentenversicherung im vergangenen Sommer. Auch hier geht es darum, ob die Regierung für sie kritische Zahlen bewusst verschwiegen oder geschönt haben kann. Ministerialrat Jürgen Dabringhausen vom Bundesarbeitsministerium und Konjunkturforscher Gustav Adolf Horn standen dem Ausschuss am Donnerstag Rede und Antwort.
Auch im Arbeitsministerium hat es Hinweise aus der Finanzabteilung gegeben, die Annahmen zur Lage der Rentenversicherung seien womöglich zu optimistisch. Ähnlich skeptische Hinweise hatte es im Finanzministerium zur konjunkturellen Lage und im Gesundheitsministerium zur Lage der Sozialkassen gegeben. Einen solchen Vermerk hat im Arbeitsministerium im Juni Dabringhausen verfasst. Er schrieb Beitragszahlungen in die Rentenkasse fort und vermutete, der Beitragssatz für Rentenversicherte müsse 2003 von 19,1 auf 19,7 Prozent des Einkommens (die Hälfte zahlt der Arbeitgeber) steigen. Die Konjunkturforscher erwarteten zu dieser Zeit einen Anstieg auf 19,3 Prozent. Mit seinen Bordmitteln lag Dabringhausen näher an der Wirklichkeit als alle Konjunkturforscher.
Der Beamte konnte nicht sagen, ob sein Vermerk die Leitungsebene um Minister Walter Riester (SPD) damals aufgeschreckt hat; als einer, der seine Arbeit im Bonner Teil des Ministeriums tut, blieben ihm Reaktionen in der Berliner Zentrale zum Teil verborgen. Allerdings hat das Ministerium damals den Sachverständigenrat der fünf Konjunkturweisen zu Rate gezogen, sozusagen als Oberschiedsrichter. Der habe, erinnerte sich Dabringhausen, weiterhin an der Beitragsrate von 19,3 Prozent festgehalten, ebenso wie wenig später das Berliner "Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung". Dabringhausen fand die Anfrage an den Sachverständigenrat in Ordnung; damit sei "alles klar" gewesen. Schließlich hätten der Rat ebenso wie andere Konjunkturforscher weit mehr Daten als er zur Verfügung. "Ich bin nur Konsument solcher Daten!" Er habe zwar weiterhin Zweifel gehabt, doch die günstigen Zahlen im Juli über eingezahlte Rentenbeiträge schienen dem Rat Recht zu geben. "Ich habe keinen Anhaltspunkt, dass im Ministerium irgendwo manipuliert worden ist!" Unzulässiger Druck sei auch nicht auf ihn ausgeübt worden.
Der sachverständige Zeuge Horn vom Institut für Wirtschaftsforschung bedauerte, dass ihm Dabringhausens interner Vermerk damals nicht bekannt gewesen sei. Vielleicht wäre er dann in der eigenen Prognose zurückhaltender gewesen. Es komme immer mal wieder vor, dass individuelle Hochrechnungen näher an der tatsächlichen Entwicklung lägen als Prognosen der Konjunkturforscher. Über Jahre verlässliche Prognosen seien aber nur nach genauer Prüfung aller vorhandenen Zahlen möglich. Die falsche Prognose des Instituts vom Sommer 2002 sei auch dadurch entstanden, dass das Statistische Bundesamt seine Zahlen für das erste Quartal (Horn: "Unsere Basis") erst spät korrigiert habe und auch, dass gegen Ende des Jahres doch noch mehr Rentenzahler als erwartet Sonderzahlungen wie das Weihnachtsgeld zum Aufbau der privaten Altersvorsorge (so genannte Riesterrente) nutzten und sich so das Aufkommen für die Rentenzahlungen verringert habe.