Sachverständige warnen vor Populismus beim Thema "Bürokratieabbau"
Berlin: (hib/WOL) "Die zum Teil heftige Kritik an der Gesetzgebung und vor allem der Vorwurf einer ständig steigenden Gesetzesflut und mangelnder Steuerungsfähigkeit verkennt die Wirklichkeit und ist eher populistisch als zielführend". So zitierte Rechtsanwalt Ortlieb Fliedner am Montagmorgen in der Anhörung des Innenausschusses aus einer Analyse zur Verwaltungspolitik aus dem Jahr 2001. Fliedner erklärte weiter, der Verzicht des Rechtsstaates auf den Erlass von Gesetzen wäre gleichbedeutend mit dem Verzicht, auf bestimmten Gebieten Politik zu machen und diese umzusetzen. Der Ansatzpunkt für Verbesserungen liege unter anderem in einer getrennten Diskussion über die politischen Ziele und Inhalte und ihrer gesetzgebungsfachlichen Umsetzung. Professor Hans Peter Bull von der Universität Hamburg legte dar, die Annahme, dass etwa mit dem Abbau durch Privatisierung von Aufgaben keine Rechtsnormen mehr benötigt würden, sei falsch. Im Zuge der großen Privatisierungen von Post und Bahn seien vielmehr umfangreiche neue Regelwerke und neue Behörden erforderlich geworden, die ihrerseits einen ganz neuen Verwaltungszweig der Regulierungsbehörden begründet hätten. Eine solche Reregulierung im Anschluss an die Deregulierung "ist unvermeidlich, wie auch die Erfahrungen Großbritanniens belegt hätten". Zur Frage der Rechtsbereinigung sagte Bull, hinsichtlich der quantitativen und qualitativen Vorgehensweise könne es sein, "dass ein einziges Gesetz mehr Ärger und Schaden anrichte als 100 andere, auf die man verzichtet." Umgekehrt könne ein großes Reformpaket aus einer großen Zahl von Einzelgesetzen nützlicher sein als ein Gesetz oder viele Gesetze, die bei dieser Gelegenheit aufgehoben werden. Eine einzige umfassende Richtlinie könne zwar Dutzende von Einzeltatbeständen ersetzen, aber über ihre Eignung zur Problembewältigung sei damit in keiner Weise entschieden.
Professor Werner Jann von der Universität Potsdam betonte ebenfalls, Bürokratieabbau sei ein klassisches Thema der Staats- und Verwaltungsmodernisierung, das mit "schöner Regelmäßigkeit" auf der politischen Agenda auftauche. Er verwies dabei auf Initiativen zur Entbürokratisierung von der Weimarer Republik bis heute und erklärte, "bei den Themen Bürokratie, Bürokratisierung und Bürokratieabbau handelt sich um sehr unterschiedliche Probleme, folglich könne es keine einfache Lösung für alle Probleme geben". In den letzten Jahren sei Bürokratisierung zu einem sehr populären Konzept "verkommen, dass zur Unterstützung und sehr unterschiedlicher politischer Ziele genutzt wird, um eine einfache und oberflächige Erklärung für jede Art von Unvermögen und Versagen zu liefern". Erfahrungen aus einem Modellversuch berichteten Staatssekretär Hans Krings vom Innenministerium Nordrhein-Westfalen und Andreas Wiebe, Regierungspräsident in Detmold. Laut Krings hat die nordrhein-westfälische Landesregierung Ende 2002 eine umfassende Erlassbereinigung beschlossen, mit der die Zahl der Erlasse von 3.300 auf etwa 1.700 reduziert wurde. So enthielten die "überlebenden" Erlasse nur noch das zwingend notwendige Maß an Anweisung und Vorgaben und im Zuge dieser Bereinigung verfüge NRW nun über eine vollelektronische Erlasssammlung, die in ihrem Inhalt fast tagesaktuell ist und im Internet und Intranet zur Verfügung steht. Übergeordnetes Ziel des Bürokratieabbaus sei die umfassende Prüfung aller staatlichen Aufgaben auf Wegfall oder Übertragung auf Dritte oder die Kommunen. Die Bündelung verbleibender staatlicher Aufgaben gewährleiste eine Konzentration des Verfahrens, die beschleunigte Bearbeitung und den Ausgleich unterschiedlicher Interessen.
Wolf Kroker vom Institut der Deutschen Wirtschaft, Köln, und Christoph Zschocke von der Arbeitsgemeinschaft Selbständiger Unternehmer beklagt dagegen die zunehmende Bürokratie als "eine der Ursachen für die derzeitige strukturelle Wachstumsschwäche in Deutschland". Sie werde von den Unternehmen als eine schwere Bürde empfunden". Danach fühlen sich 52,6 Prozent Unternehmen in den neuen Bundesländern durch staatliche Bürokratie stark behindert und in Westdeutschland 55,7 Prozent. Zu den volkswirtschaftlichen Folgekosten heißt es, "in dem Maße, wie staatliche Bürokratie zu Innovations- und Investitionsbremse wird; behindert sie den Strukturwandel und kostet wirtschaftliche Dynamik. Die Folgen seien in der Arbeitsmarktstatistik nachzulesen.