Angela Bulloch: Seats of Power - Spheres of Influence
Seats of Power - Spheres of Influence
© Kaernbach
Beim Betreten des Paul-Löbe-Hauses über den südlichen Eingang erblickt der Besucher oberhalb der Pforte acht Kugelleuchten in zwei Viererreihen übereinander. Einzelne der Lampen sind eingeschaltet und leuchten in den Primärfarben Rot, Gelb und Blau, den Sekundärfarben Grün, Orange und Violett oder - zwei von ihnen - in der Tageslichtfarbe Grau. Einige der Lampen verlöschen zeitweilig, andere leuchten dafür neu auf. Sie scheinen durch einen Regelungsmechanismus geschaltet zu werden, doch bleibt dem Betrachter dessen Systematik zunächst verborgen, sie ist offenkundig nicht vom Kommen und Gehen der Besucher bestimmt. Erst wenn er sich weiter in das Paul-Löbe-Haus hineinbegibt, entdeckt er beim Begehen von einer der Treppen, daß sich auf der Etage oberhalb der beiden Lampenreihen zwei Sitzbankreihen befinden und daß die Bänke mit Sitzpolstern in den Farben der Kugelleuchten belegt sind. Die Bänke stehen vor dem Sitzungssaal des Ausschusses für Angelegenheiten der Europäischen Union, und vielleicht läßt sich gerade - im Blick des Besuchers - ein Politiker auf einer der Bänke nieder: Mit einem Mal erschließt sich ihm, daß Bänke und Lampen gleicher Farbe durch Berührungskontakte miteinander verbunden sind, daß die Nutzung der Bänke die jeweils zugeordneten Lampen aufleuchten läßt.
Grenzen der eigenen Entscheidungsmöglichkeiten
Dadurch daß die Künstlerin beide Bereiche
voneinander getrennt hat, das farbige Lichtspiel einerseits, und
dessen Auslösung andererseits, sieht jedoch derjenige, der auf
den "Seats of Power" den
Mechanismus auslöst so wenig die Folgen seines Tuns, wie
derjenige in den "Spheres of
Influence" im Besucherrestaurant oder vor der
Pförtnerloge sich die Ursachen des Aufleuchtens der Lampen
erklären kann. Die Entdeckung von dessen Ursache oder Sinn
wird zusätzlich erschwert durch die Installation eines
Zufallsgenerators, der die Lampen auch dann schaltet, wenn die
Bänke längere Zeit nicht genutzt werden.
Mit dieser farbenfrohen und verspielten Installation will die
Künstlerin, gleichsam mit leichter Hand, eine der Grundfragen
unseres Lebens aufleuchten lassen, nämlich die des Handlungs-
und Entscheidungsspielraumes des Einzelnen, die des problematischen
Spannungsverhältnisses von Freiheit und Gesetz. Wie in
vergleichbaren Installationen für die Messe in Leipzig
("Belisha Beacon Indicator
System") oder die Sammlung der Südwest LB in Stuttgart
("Mat Light Pieces") ist der
Betrachter ihrer Installationen aktiver Teilnehmer in einem
offenkundig interaktiven Kunstwerk, gestaltet also mit, und ist
doch zugleich ihm unbekannten Rahmenbedingungen und
Regelungsmechanismen ausgesetzt, die seine
Handlungsmöglichkeiten vorherbestimmen. Die Frage nach den
Grenzen der eigenen Entscheidungsmöglichkeiten gewinnt ihr
besonderes Gewicht im Paul-Löbe-Haus, dem Haus, in dem die
Ausschüsse des Parlamentes tagen und Politik gestaltet wird.
Auch formal nimmt die Künstlerin auf dieses Haus Bezug,
verrät sich doch in der Zahl der acht Lampen eine Anspielung
auf die Zahl der acht Turmrotunden mit den
Ausschußsitzungssälen. Angela Bullochs Installation ist
eine Mahnung, die Grenzen des Gestaltbaren in der Politik zu
respektieren und sich der oft unvorhersehbaren Konsequenzen von
Entscheidungen bewußt zu werden.
Text: Andreas Kaernbach,
Kurator der Kunstsammlung des Deutschen Bundestages