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„Um die Ecke meiner Berliner Wohnung in Kreuzberg liegt der „Zickenplatz”, wie der Hohenstaufenplatz im Berliner Volksmund genannt wird. Da sitze ich sehr gern und schaue dem bunten Treiben zu. Es gefällt mir, dass dort Menschen aus vielen verschiedenen Ländern herumlaufen und niemand fragt, wo man herkommt. Dieses Sprachenwirrwarr, dieses selbstverständliche Nebeneinanderseindürfen vieler Nationen — das ist für mich Europa.
Vielleicht nehme ich solche Dinge etwas anders, bewusster wahr als viele Menschen, die hier aufgewachsen sind. Denn ich weiß, was Krieg bedeutet. Als Kind habe ich den gesamten Iran-Irak-Krieg erlebt. Ich war zwölf Jahre alt, als uns ein Lehrer, ein fanatischer religiöser Eiferer, auf Klassenfahrt an die Front geschleppt hat. Dort haben wir mit Kanonen auf die feindlichen Stellungen geschossen. Unsere Eltern wussten davon natürlich nichts.
Ein Jahr später sind meine Eltern mit meiner Schwester und mir nach Deutschland gezogen. Hier war alles so friedlich, so schön. Doch vielen Leuten ist das gar nicht aufgefallen. Die haben oft gar nicht gemerkt, in was für einem Paradies sie leben. Natürlich wünsche ich niemandem die Erfahrung eines Krieges. Aber ich glaube, dass viele Menschen in Deutschland das Wunder des Friedens und die Errungenschaften der Demokratie für allzu selbst verständlich halten.
Dabei kann man den Erinnerungen an die beiden Weltkriege in Deutschland doch gar nicht entgehen: überall Mahnmale für die deportierten Juden, die gefallenen Soldaten, die Bombenopfer. Dass die Deutschen heute in Frieden mit ihren Nachbarn leben, das haben wir der europäischen Einigung zu verdanken.
Dass die EU auf viele Menschen so langweilig wirkt, tut mir deshalb manchmal fast ein wenig weh. Ich träume davon, dass es irgendwann eine richtige europäische öffentlichkeit gibt. Da ist noch viel zu tun. Man könnte zum Beispiel im deutschen Fernsehen Debatten aus dem Europäischen Parlament live übertragen.
Zum Glück gibt es aber heute schon gerade unter den Jüngeren viele, die sich für den europäischen Gedanken begeistern und engagieren. Zum Beispiel die Jungen Europäischen Föderalisten (JEF). Bei denen bin ich seit einigen Jahren Mitglied, weil ich es phantastisch finde, dass es eine solche Lobbygruppe junger Menschen für Europa gibt. Wir JEFler setzen uns für ein starkes Europa mit einer starken europäischen Identität ein, weil dies die einzige Garantie gegen nationale Wahnphantasien ist.”
Omid Nouripour (Bündnis 90/Die
Grünen), Jahrgang 1975, ist Mitglied des Deutschen
Bundestages seit dem 1. September 2006 (nachgerückt für
den ausgeschiedenen Abgeordneten Joschka Fischer) und dort
ordentliches Mitglied im Ausschuss für die Angelegenheiten der
Europäischen Union. Er ist Mitglied bei den Jungen
Europäischen Föderalisten, engagiert sich in der
Europa-Union. Gemeinsam mit dem ehemaligen JEF-Bundesvorsitzenden
Jan Seifert und der jüngsten MdB Anna Lührmann hat er
einen Entwurf für eine europäische Verfassung
geschrieben.
omid.nouripour@bundestag.de
www.nouripour.de
Junge Europäische Föderalisten e.
V.
Es war eine spektakuläre Aktion: 1950 zersägten junge
Menschen Schlagbäume an der deutsch-französischen Grenze,
um für ein vereintes Europa zu demonstrieren; die Bilder
gingen um die Welt. Für ihr Ziel — ein demokratisches
und bürgernahes Europa — setzen sich die Jungen
Europäischen Föderalisten Deutschland e. V. (JEF) bis
heute ein. Mit der Europa-Union Deutschland und dem Netzwerk
Europäische Bewegung Deutschland arbeitet der parteipolitisch
unabhängige Jugendverband, dem in Deutschland etwa 3.500
Mitglieder angehören, eng zusammen.
www.jef.de