Im Park des Europaparlaments in Brüssel leistet sich der Freistaat Bayern ein Schlösschen, das in Anspielung auf König Ludwigs Prachtentfaltung im bayerischen Volksmund Neuwahnstein genannt wird. Der gewaltige Schreibtisch aus poliertem schwarzen Granit, der dem Ministerpräsidenten vorbehalten ist, steht meistens leer. Am 21. März allerdings brachte der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber allerdings gleich sein ganzes Kabinett aus München mit - "zur ersten Sitzung eines Bayerischen Ministerrates im Ausland", wie er der mitgereisten Landtagspresse stolz erklärte. "Bayern ist ein starkes und selbstbewusstes Land, das sich in Europa einbringt und mitgestaltet."
Dass der Freistaat auf europäischer Ebene mitreden will, machte Stoiber auch Kommissionspräsident Barroso deutlich. Mit ihm vereinbarte er, dass sich Bayern aktiv an der Gesetzesfolgenabschätzung für europäi-sche Gesetze beteiligen will. Mit diesem Verfahren soll künftig im Vorfeld geprüft werden, welcher bürokratische Aufwand, welche Kosten und welche anderen Belastungen für den Standort Europa durch ein neues Gesetz entstehen könnten.
Stoiber schlug außerdem vor, das Frühwarnsystem zur Subsidiarität aus dem Verfassungs-Vertrag vorzuziehen. Es räumt den nationalen Parlamenten eine Sechs-Wochen-Frist ein, in der sie prüfen können, ob ein Gesetzesvorhaben wirklich in die europäische Zuständigkeit gehört. Ist ein Drittel der Parlamente der Ansicht, die Kommission habe ihre Kompetenzen überschritten, muss Brüssel den Entwurf überarbeiten.
Barroso nahm Stoibers Vorschlag zurückhaltend auf. Er sei offen für die Idee, doch gebe es bei einigen Mitgliedsländern Vorbehalte, Teile der Verfassung vorab umzusetzen. Bezogen auf die EU-Erweiterung lobte der Bayerische Ministerpräsident die jüngste Entschließung des EU-Parlaments. Sie betont, dass die Aufnahmefähigkeit der EU als Kriterium stärker ins Blickfeld rücken müsse. Ferner schlägt sie einen neuen Status vor, der Bewerber zwischen Mitgliedschaft und Assoziationspartnerschaft ansiedelt, vielleicht als Teil einer Freihandelszone.
Bei seinem Besuch äußerte sich der bayerische Ministerpräsident auch zur Frage der Erweiterung der Europäischen Union. "Ein EU-Beitritt der Türkei kommt nicht in Frage", erklärte der Ministerpräsident. Nach Bulgarien, Rumänien und Kroatien müsse Schluss sein. Auch die Aufnahme weiterer Balkanstaaten würde die Union überfordern, so Stoiber. Dem Kongo-Einsatz der Bundeswehr steht Stoiber positiv gegenüber, wenn die Rahmenbedingungen stimmen und ein Abzug nach vier Monaten gewährleistet ist. "Es muss jetzt aber auch sehr schnell entschieden werden, in welcher Weise die Bundeswehr bei der Fußball-WM eingesetzt werden kann." Den Menschen sei nicht zu vermitteln, warum deutsche Soldaten den Flughafen von Kinshasa sichern dürften, die deutschen Stadien aber nicht.
Beim Treffen mit Kommissionspräsident Barroso am Nachmittag mahnte Stoiber, die EU-Kommission müsse ihre Rolle als Hüterin des Binnenmarktes deutlicher wahrnehmen. Es sei nicht akzeptabel, "dass Länder wie Spanien oder Frankreich den Binnenmarkt für sich nach Belieben einfordern und gleichzeitig wichtige Übernahmeversuche wie bei E.ON blockieren." Damit spielte er darauf an, dass die spanische Regierung versucht, eine deutsche Übernahme des Energieversorgers Endesa zu verhindern. Frankreich wehrt sich gegen italienische Kaufangebote.
Bayern unterstütze zudem auch eine "stärker koordinierende Rolle der EU in der Energiepolitik", so Stoiber. Beim Thema Geld erinnert die Haltung des Bayern an Margaret Thatchers legendäre Auftritte in Brüssel. Mit den Worten "I want my money back" hatte die damalige britische Premierministerin einen Rabatt auf den britischen EU-Beitrag gefordert. Wenn ein Land wie Deutschland viel mehr einzahle, als es aus EU-Kassen zurück erhalte, müsste ein Rabatt eingeführt werden, fordert Stoiber.
Er rollte bei seinem Besuch in Brüssel auch die Debatte über Standortverlagerungen in die osteuropäischen Mitgliedsländer neu auf. Wie Wirtschaftsminister Glos verlangt er, dass "geleistete Strukturfondmittel bis zu sieben Jahre lang zurückgefordert werden können, wenn der geförderte Betrieb geschlossen oder verlagert wird." Bei einem Förderumfang von mehr als 25 Millionen Euro sollten die Mitgliedstaaten an der Entscheidung beteiligt werden. Schließlich soll die Strukturförderung komplett gestrichen werden, wenn ein Land durch extrem niedrige Körperschaftssteuern Unternehmen von anderen EU-Standorten weglockt. Diese Forderung ist neu und geht über das hinaus, was Wirtschaftsminister Glos kürzlich in einem Brief verlangt hat. Wo die Schmerzgrenze beim Steuersatz liegen soll, wollte Stoiber allerdings vergangene Woche in Brüssel nicht verraten.