Das Nein ist unmissverständlich. Die Idee einer Abgabe auf internationale Finanztransaktionen tauche immer mal wieder auf wie das "Ungeheuer von Loch Ness", geht Peer Steinbrück auf Distanz. Unterstützung findet der deutsche Finanzminister bei seinem französischen Kollegen Thierry Breton. Eine Absage erteilt Steinbrück dieses Mal nicht Oskar Lafontaine oder Attac, die wie viele Linke seit jeher eine Abgabe auf solche Geldgeschäfte verlangen, sondern einem konservativen Politiker: Der österreichische Kanzler Wolfgang Schüssel hat als EU-Ratspräsident vor dem Straßburger Parlament die Belastung von Finanztransaktionen als denkbare Variante der von ihm geforderten Europasteuer ins Spiel gebracht.
Trotz Steinbrücks Veto: Mit Schüssels Vorstoß, der angesichts des Geschachers um die Brüsseler Finanzausstattung auf deren grundlegende Reform zielt, nimmt die Debatte über die zuvor in den Schubladen schlummernde EU-Direktsteuer Fahrt auf. Das ist kein Projekt für heute oder für morgen, sondern für übermorgen - schließlich läuft die 2007 beginnende langfristige Haushaltsplanung mit einem Volumen von rund 860 Milliarden Euro, die momentan zwischen nationalen Regierungen, EU-Parlament und Kommission im Detail ausgehandelt wird, erst 2013 aus. Ohne Zweifel aber wird bei der für 2008/2009 avisierten Revision der Etatpolitik die Diskussion über eine Europasteuer auf die Tagesordnung kommen. Die Weichen für die Etatrunde von 2014 an werden frühzeitig gestellt. Den Begriff "Europasteuer" sucht Schüssel zu vermeiden: "Das ist ein Killerwort, das die Gegner einer solchen Idee ganz bewusst verwenden." Der Wiener Kanzler redet lieber von einer Erhöhung der "Eigenmittel" der EU. Die linguistische Finesse hat ihren guten Grund: Eine Europasteuer ist unpopulär. Monsieur Dupont in Frankreich und Otto Normalverbraucher in Deutschland denken sofort an zusätzliche Belastungen: Jetzt will uns Brüssel noch mehr in die Tasche greifen. Am Stammtisch und in der Boulevardpresse geht dabei unter, dass diese Abgabe aufkommensneutral sein soll, die Bürger also nicht zusätzlich zur Kasse gebeten würden.
Sicher ist bisher nur eines: Auf Dauer kann es so wie bisher mit der EU-Finanzpolitik nicht weitergehen. Bislang hängt Brüssel am Tropf der 25 Mitgliedstaaten. Deren Regierungschefs und "Kassenwarte" sichern mit ihren Überweisungen weithin den Haushalt der Union. Bei diesem Gerangel geht es zu wie auf einem "Basar", kritisiert Martin Schulz, Vorsitzender der sozialdemokratischen Fraktion im EU-Parlament. Gefeilscht wird unter den einzelnen Ländern um Höhe und Aufschlüsselung der Bruttozahlungen an Brüssel, die dann nach der Verrechnung mit zurückfließenden Subventionen als Nettozahlungen bilanziert werden.
So feiert es Kanzlerin Angela Merkel als Erfolg, dass zwischen 2007 und 2013 die Belastungen für die Deutschen nicht ganz so stark steigen wie ursprünglich geplant. Die Polen triumphieren, weil sie 100 Millionen Euro mehr für die Regionalförderung erhalten haben. Der Londoner Premier Tony Blair rettet weitgehend den berühmt-berüchtigten Briten-Rabatt. Jacques Chirac garantiert seinen Bauern die Agrarbeihilfen. Das Straßburger Parlament wiederum empört sich, dass zu viel Geld für die Landwirtschaft und zu wenig für Bildung und Forschung abgezweigt wird. Schulz: "Wir fördern den Rübenanbau, aber nicht die Technologien, die Europa im globalen Wettbewerb braucht." Wie stets in den vergangenen Jahrzehnten werden sich auch dieses Mal Rat, Kommission und Parlament zuletzt auf einen Kompromiss einigen müssen: Die Regierungen lassen noch etwas springen, zwischen einzelnen Etatposten wird etwas umgeschichtet, die Ausgabenpraxis wird "flexibilisiert".
An diesen für die Bürger ziemlich undurchsichtigen Beitragsschlachten mit Gewinnern und Verlierern dürfte sich erst etwas ändern, wenn Brüssel über eigene Einnahmen verfügt. Nur so kann die Union unabhängiger von den Regierungen werden. Schüssel erinnert daran, dass in der Gründungsphase der Europäischen Gemeinschaft die Hälfte der Beiträge für den EU-Haushalt aus Brüsseler Eigenmitteln stammten. Vorwiegend handelte es sich dabei um Zolleinkünfte der Union. Inzwischen machten die Eigeneinkünfte, kritisiert der Wiener Kanzler, nur noch etwa zehn Prozent des EU-Budgets aus. Und die Tendenz gehe weiter nach unten.
Eine Europasteuer könnte den Ausweg aus den Kalamitäten weisen. Mehrere Varianten sind in der Diskussion. Im Visier sind Finanztransaktionen an den Börsen. Auch in den Himmel und aufs Meer richten sich die Blicke: Niemand verstehe, meint Schüssel, "warum für Schiffs- und Flugtransporte die Treibstoffe steuerfrei sind". Die 25 Finanzminister könnten eine feste Quote ihrer Einnahmen aus der Körperschaft-steuer nach Brüssel schicken. Denkbar ist eine Umweltabgabe ebenso wie ein Aufschlag auf die Zins- oder Einkommensteuer. Im Gegenzug würden die EU-Staaten ihre Direktzahlungen an die Union reduzieren. So würden die nationalen Etats entlastet, was die Regierungen für Steuerermäßigungen im Inland nutzen könnten. Die Aufkommensneutralität der Europasteuer wäre garantiert, jedenfalls vom Prinzip her.
Es scheint, als entwickele die Europasteuer einen gewissen Charme. Blair sagt, diese Abgabe sei "etwas, was die Kommission untersuchen soll". Er habe eine europäische Steuer bisher nie befürwortet, "aber man muss sich die Frage nach der besten Art der Einnahmen stellen". Kommissionspräsident José Manuel Barroso plädiert dafür, den Brüsseler Etat unabhängiger von den Mitgliedstaaten zu machen. Reimer Böge, CDU-Haushaltspolitiker im Parlament, will ebenfalls die EU-Finanzierung von nationalen Überweisungen abkoppeln: Nur so könne man einen Dauerkonflikt um die Aufteilung der Lasten unter den einzelnen Ländern vermeiden.
Logik ist der Idee der Europasteuer nicht abzusprechen. Indes hat dieses Konzept eine machtpolitische Kehrseite: Je höher die Eigenfinanzierung Brüssels ist, desto geringer wird der Einfluss der 25 Regierungschefs auf die Gestaltung des EU-Budgets und damit auf die Verteilung der Gelder. Gewicht gewönnen hingegen Kommission und Parlament. Trotz Bundeskanzler Schüssels Vorstoß hält sich denn auch in den meisten Hauptstädten die Begeisterung für die Direktsteuer in Grenzen.
Karl Otto Sattler ist freier Journalist in Berlin.