Entgegen allen Gerüchten und Verleumdungen: Die EU ist ein leicht zu durchschauendes Konstrukt. Da ist zum Beispiel die Regionalpolitik: Die wirtschaftlichen und sozialen Ungleichgewichte zwischen den 25 Mitgliedsstaaten sind nach Meinung der Kommission so groß, dass dadurch die "Gesamtdynamik der EU untergraben" wird. Um diesen Effekt abzufedern und um "der europäischen Solidarität konkrete Gestalt zu verleihen", hat Brüssel die Kohäsions- und Strukturfonds aufgelegt. Nach diesem Prinzip geben die Reichen den Armen. Soweit logisch. Ein anderes Beispiel ist die Gemeinsame Landwirtschaftspolitik: Die meisten Bürger wollen hochwertige und günstige Lebensmittel sowie eine intakte Umwelt. Das hat seinen Preis, den die Union mit den Direkt- und Kompensationszahlungen an die Landwirte in einem erträglichen Rahmen hält.
Die EU ist demnach nicht nur, aber eben auch eine riesige Geldumverteilungs-Maschine. Frieden, Freiheit und Sicherheit: Das mögen für viele der zehn neuen Mitgliedsstaaten durchaus Motive für ihren Beitritt zur Union gewesen sein. Mindestens genauso wichtig waren für diese Nationen allerdings wirtschaftliche Aspekte, die in vielen alten EU-Ländern längst das Denken bestimmen. Sozialer Zusammenhalt hin, politische Integration her: Wie hole ich maximal viel Geld aus den Brüsseler Kassen heraus? So lautet die Frage aller Fragen, wenn auch nicht in den Feiertagsreden. Die EU-Subventionen sind der entscheidende Schmierstoff des europäischen Apparats: der Kitt, der nicht alles, aber vieles zusammenhält. "Der Haushalt ist in Teilen vollkommen degeneriert. Jeder Regierungschef starrt wie gebannt ausschließlich auf die Nettosalden", kritisiert Friedrich Heinemann vom Zentrum für europäische Wirtschaftsforschung (ZEW): "Der viel zitierte europäische Mehrwert, den die Beihilfen aus Brüssel bringen sollen, ist dagegen nur noch ein Nebenaspekt."
An diesem Zustand wird sich auf absehbare Zeit wohl nichts ändern. Aus einem einfachen Grund: Der EU treten immer mehr Länder bei, die von den Brüsseler Zuschüssen enorm profitieren. Das Subventionsrad lässt sich aber nur mit einem einstimmigen Votum ausbremsen. "Die Nettoempfänger sind und bleiben in der Mehrzahl", analysiert Alfred Steinherr, Europaexerte des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung: "Jeder kämpft für sich. Die EU braucht eine Reform, aber ich halte sie derzeit für unvorstellbar."
Auch die sogenannte Revisionsklausel, die Großbritanniens Premier Tony Blair als damaliger Ratspräsident bei der Einigung im Dezember 2005 über das EU-Budget von 2007 bis 2013 festschreiben ließ, dürfte nur wenig Bewegung in die Subventionspolitik bringen. Zu theoretisch, zu vage, heißt es unisono. Demnach wird die Kommission 2008 zwar einen Bericht vorlegen, mit dem der Einstieg in eine neue europäische Finanzarchitektur gelingen soll. Aber jeder, der den ritualisierten Kampf um vergleichsweise banale Dinge wie Milchquoten oder Dorsch-Fangquoten kennt, der weiß: Von diesem Ziel ist die EU so weit entfernt wie die drittklassige Nationalmannschaft Luxemburgs vom Gewinn der Fußball-Weltmeisterschaft.
Von 2007 bis 2013 bleibt alles wie gehabt: Mit 600 Milliarden Euro wendet Brüssel auch in der kommenden Finanzperiode knapp 70 Prozent seines 862-Milliarden-Etats für die Bereiche Strukturpolitik (307 Milliarden) und Landwirtschaft (293 Milliarden) auf. Wie weit Theorie und Praxis in der Union bisweilen auseinanderklaffen, zeigt der Etatansatz für die "Lissabon-Strategie", mit der sich die EU zur weltweit erfolgreichsten Wirtschaftsregion entwickeln soll: Von allen Regierungschefs und Kommissaren zur zentralen Zukunftsaugabe erklärt, stehen für die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit bescheidene 72 Milliarden Euro zur Verfügung - auf sieben Jahre verteilt, wohlgemerkt. Den deutlichsten Zuwachs über die gesamte Laufzeit gibt es zwar für die Asyl- und Einwanderungspolitik, für den Grenzschutz sowie für die Bekämpfung des Terrorismus und der illegalen Migration: Allerdings steigt dieser Etatposten in absoluten Zahlen nur von 600 Millionen Euro (2007) auf 1,3 Milliarden Euro (2013).
Wer es nicht gut meint mit der EU, der reduziert das Raumschiff Brüssel auf eine Ansammlung von Bürokraten, die Steuergelder mit der Gießkanne verteilen und dabei so manchen Unsinn bezuschussen. Dieses Schwarze-Peter-Spiel ist ebenso beliebt wie einfach und einseitig. Beliebt, weil sich auf diese Weise die eigenen Vorurteile bestätigen lassen. Einfach, weil es tatsächlich eine ganze Reihe fragwürdiger bis unsinniger Brüsseler Förderprojekte gibt. Aber eben auch einseitig, weil erstens jede Region und jedes Bundesland gierig auf EU-Zuschüsse spekuliert und weil zweitens zur Wahrheit über den gewaltigen Agrartopf auch die Feststellung gehört, dass die Landwirtschaft der einzige vergemeinschaftete Politikbereich ist, der somit allein aus EU-Mitteln bestritten wird. Würde man alle nationalen Geldspritzen in Bildung und Forschung streichen und diese Sektoren stattdessen allein aus Brüssel finanzieren, käme eine mindestens ebenso beeindruckende Summe zusammen. Jene, die heute vollmundig eine EU-Subventionsreform von Grund auf verlangen, stehen morgen mit großer Wahrscheinlichkeit in der ersten Reihe derer, die mehr Beihilfen aus Brüssel für ihren Wahlkreis fordern.
Wie sollte die Zukunft der EU-Subventionspolitik aussehen? In einem Punkt sind sich alle Diskutanten einig: Der Haushalt muss den Anspruch Brüssels widerspiegeln, dass sich die Union weniger um die Vergangenheit und mehr um die Zukunft kümmern soll. Zugespitzt formuliert: mehr Geld für Laptops als für Schweine und eine gezielte Förderung nur der wirklich bedürftigen Regionen. Friedrich Heinemann vom ZEW: "Überall hat die EU ein strenges Beihilfesystem eingeführt, um den unausweichlichen Strukturwandel abzufedern - nur im Agrarsektor nicht. Mit diesem schizophrenen System hemmt die EU den Strukturwandel mit möglicherweise fatalen Folgen: Plötzlich sind alle Polen EU-Befürworter, weil sie nur die Zuschüsse aus Brüssel im Auge haben - dabei kann die Landwirtschaft doch gar nicht die Zukunft Polens sein." Gleiches gelte für die Regionalpolitik, meint Heinemann: "Deutschland rühmt sich, weil es bei den Finanzverhandlungen einige Millionen für die bayerischen Grenzgebiete herausgeschlagen hat, Frankreich sorgt sich um seine Überseegebiete. Diese Dokumente triefen von politischen Deals, die Kohäsionsfonds sind alles andere als ein zielgenaues Förderinstrument."
Die Zeichen deuten in eine Richtung, die so manchem Brüsseler Diplomaten, Kommissar und Beamten vermutlich die Schweißperlen auf die Stirn treiben wird: Es mehren sich die Plädoyers für eine langfristig zumindest teilweise in Angriff zu nehmende Renationalisierung der Agrar- und Strukturpolitik, den beiden größten EU-Ausgabenblöcken. Zum einen zwingt die Welthandelsorganisation die EU dazu, die Stützungssubventionen für landwirtschaftliche Produkte drastisch zu reduzieren. Brüssel wird nicht umhin kommen, den Bauern nur noch ein Minimaleinkommen zu garantieren, das unabhängig von der Produktion und zeitlich befristet gewährt wird. Jedem EU-Staat sollte es in diesem Fall allerdings freistehen, seinerseits dieses Existenzminimum zu erhöhen. Zum anderen leuchtet angesichts der unübersichtlichen Größe der Union immer weniger Bürgern ein, warum ein zentralistisches Organ wie die EU und nicht die eigene Regierung darüber entscheidet, welcher Brückenbau gefördert wird und welcher nicht. Schließlich bekäme der EU-Haushalt eine Struktur, die nicht, wie derzeit von einem Großteil der Bevölkerung, als eher rükwärtsgewandt und veraltet abgelehnt wird.
Eine Rückverlagerung einiger EU-Kompetenzen in nationale Hände würde nicht das Ende der europäischen Integration einläuten. Im Gegenteil. Es gibt beispielswiese noch viel zu tun, damit die EU auf globaler Ebene den weltpolitischen Herausforderungen gerecht wird. Eine Konzentration auf die weitgehend unstrittigen Zukunftsaufgaben würde der Union zu mehr Schlagkraft und damit auch zu mehr Glaubwürdigkeit und Akzeptanz in der Bevölkerung verhelfen.
Norbert Robers ist Korrespondent der "Saarbrücker Zeitung" in Brüssel.