Wenn in der Disco die Technobässe wummern, im Kino die neue Filmmusik von Starkomponist Hans Zimmer beeindruckt oder im Wiener Burgtheater geprobt wird, ist häufig unbemerkt der Name "Ableton" im Spiel. Die junge Berliner Firma liefert Discjockeys, Künstlern und Produzenten die Musiksoftware "Live", die viel teure Technik ersetzen kann. "Wir unterstützen kreative Menschen mit moderner Technologie", sagt stolz Gerhard Behles, Chef des mehrfach ausgezeichneten Multimedia-Unternehmens. Beim Start brauchte die Firma aber erst mal selbst Hilfe. Ein Experte des Technologie Coaching Centers (TCC), einer zur Hälfte von der EU finanzierten Beratungseinrichtung der landeseigenen Investitionsbank Berlin, half bei der Finanzplanung und beim Einstieg von Risikokapitalgebern. "Das war eine große Hilfe", lobt Ableton-Vorstand Jan Bohn. Inzwischen haben sich die Berliner weltweit auf dem Markt etabliert und fast 50 Arbeitsplätze geschaffen. Die TCC gilt an der Spree als Vorzeigebeispiel für erfolgreiche Förderpolitik. Seit der Gründung vor neun Jahren kümmert sich die Anlaufstelle pro Jahr um rund 150 Betriebe, die innovative Produkte entwickeln und herstellen. Wer Unterstützung bei der Existenzgründung oder Sanierung braucht, bekommt einen von 47 freien Fachberatern vermittelt.
"Die beiden ersten Beratungstage sind kostenlos, danach werden pro Tag nur 150 Euro fällig", erläutert TCC-Expertin Ines Kretschmar. Den Großteil des Honorars übernimmt die Fördereinrichtung. Wie im Fall Ableton zahlt sich die Hilfe offenbar häufig aus: "97 Prozent der betreuten Unternehmen sind laut Befragung mit der Betreuung zufrieden", so Kretschmar. Das belegten regelmäßig erstellte Kontrollberichte. Die TCC wird wie derzeit hunderte Projekte in der Hauptstadt aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) unterstützt. Dieser seit 1975 existierende EU-Topf ist der größte der vier Strukturfonds, mit denen Brüssel benachteiligten Regionen in den Mitgliedsstaaten unter die Arme greift: Diese Gelder sollen das soziale und wirtschaftliche Gefälle in der Union verringern. Allein in der Förderperiode 2000 bis 2006 stellt Brüssel EU-weit insgesamt 213 Milliarden Euro bereit. Von den auf Deutschland entfallenden 30 Milliarden Euro fließen fast 22 Milliarden in die neuen Länder, die flächendeckend als "Ziel-1-Region" eingestuft sind: Solchen Gebieten steht der Großteil der Gelder zu, da dort die Wirtschaftsleistung pro Kopf weniger als 75 Prozent des EU-Durchschnitts ausmacht. Ein Sonderfall ist Berlin, das in der jetzigen Förderphase rund 1,2 Milliarden Euro erhält. Als einzige EU-Region bekommt die deutsche Hauptstadt Mittel aus allen Brüsseler Strukturfonds. In die Ostberliner Bezirke geht der Löwenanteil dieser Gelder. Das ehemalig hochsubventionierte West-Berlin, das unter dem Wegzug vieler zu Mauerzeiten subventionierter Betriebe leidet, bekommt mit einem Betrag von 587 Millionen Euro gleichwohl aber fast die Hälfte der Gesamtsumme.
Wer durch Berlin spaziert, stößt fast an jeder Ecke auf Projekte, die Brüssel mit angestoßen hat. Das Kindermuseum "MachMit!", das Künstlerheim Luise oder das Kulturzentrum Genezareth-Kirche. Und auch das Öko-Museum oder der chinesische Garten profitiern von den Fördergeldern. Das EFRE-Siegel "Aufschwung durch Europa!" findet sich bei vielen erfolgreichen Vorhaben. Das eindrucksvollste Beispiel ist Adlershof. Der größte deutsche Wissenschafts- und Technologiepark mit 714 Unternehmen, 18 Forschungseinrichtungen und fast 12000 Beschäftigten erhielt seit 1991 rund 1,3 Milliarden Euro aus öffentlichen Kassen, wobei ein beträchtlicher Teil aus EU-Töpfen stammte - etwa für die Strahlenforschungsanlage Bessy.
Trotz solcher Leuchttürme ziehen viele Experten eine teils sehr kritische Bilanz der bisherigen EU-Hilfen beim Aufbau Ost. "Erstens wurde bei der Förderung durch Bund und Länder, die ja meist durch die EU-Förderung ergänzt wird, zu viel Geld einfach mit der Gießkanne verteilt und versickerte nutzlos", urteilt Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Zweitens seien viele Subventionen für Unternehmen bis heute an die Investitionshöhe geknüpft: So entstünden zwar teure Produktionsanlagen, aber zu wenig Arbeitsplätze. Die sachsen-anhaltinische Chemieindustrie brachte es umgerechnet auf 500.000 Euro Zuschuss pro Arbeitsplatz. "Drittens schließlich", moniert Brenke, "verführt das Fördersystem Bund, Länder, Kommunen sowie Unternehmer dazu, Projekte nur deshalb anzupacken, weil es Fördermittel gibt - ganz egal, wie sinnvoll die Sache ist". An krassen Beispielen für derart missratene Vorhaben fehlt es wahrlich nicht. Die Rennstrecke Lausitzring und die zahlreichen Spaßbäder in den neuen Ländern nennt der DIW-Forscher als Mahnmale, die viel gekostet und wenig bewirkt haben, dem Steuerzahler aber nun durch hohe Betriebskosten auf der Tasche liegen.
Bei der EU verweist man angesichts solcher Kritik gerne auf die Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten bei der Zuteilung der Fördermittel. "Die Schwerpunkte setzen die Länder ja selbst", erklärt Matthias Rumpf von der Vertretung der Brüsseler Kommission in Berlin. Die Leitlinien für die Vergabe der Gelder formuliert jedoch die EU, die den Erfolg ihrer Regionalpolitik regelmäßig überprüft. Beim Aufbau Ost kann eine ehrliche Bilanz kaum sonderlich positiv ausfallen - und dies, obwohl allein zwischen 1994 und 1999 jeder Ostdeutsche im statistischen Schnitt gut 800 Euro Finanzhilfe allein aus Brüssel erhielt, das ist mehr als das Fünfzigfache des Zuschusses im Westen. Eine wirtschaftliche Angleichung an den EU-Durchschnitt und vor allem an das Niveau der alten Bundesländer ist bislang nicht in Sicht. "Die Schere zwischen Ost und West schließt sich momentan nicht", konstatiert der zuständige Bundesminister Wolfgang Tiefensee nüchtern. Im Gegenteil: Das Wachstum in den alten Ländern ist seit Jahren wieder höher als im Osten. Die ökonomische Kluft wird größer statt kleiner, und Letzteres ist ja eigentlich das Ziel der EU-Förderpolitik.
Die Daten sind alarmierend. So ist die Arbeitslosenquote zwischen Elbe und Oder mit fast 20 Prozent doppelt so hoch wie im Westen. Die Einkommensunterschiede wachsen. Viele Regionen bluten allmählich aus. Seit der Wende sind aus Ostdeutschland 1,5 Millionen Bürger abgewandert. Forscher erwarten, dass sich bis 2020 in strukturschwachen Grenzregionen wie etwa in der Lausitz der Bevölkerungsschwund weiter fortsetzt.
Das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) macht für die Misere Ost maßgeblich eine verfehlte Wirtschafts- und Förderpolitik verantwortlich. Die neuen Länder steckten in der "Subventionsfalle", kritisiert IfW-Präsident Dennis Snower. Auf rund eine Billion Euro taxiert das Kieler Institut die bisherig Unterstützung für den Aufbau Ost: Auf diese Weise seien "massive Fehlanreize" für Beschäftigte und Unternehmen gesetzt worden.
Kritik an mangelnder Effizienz vieler Förderprogramme ist auch in den EU-Prüfberichten nachzulesen, meist jedoch verklausuliert und an eher versteckten Stellen. Doch die geplante Neuausrichtung der Brüsseler Hilfen kommt nicht von ungefähr: In der Förderperiode 2007 bis 2013 sollen die Gelder stärker auf Wachstumskerne, auf innovative Produkte und auf die Schaffung von Arbeitsplätzen konzentriert werden - was als indirektes Eingeständnis gewertet werden kann, dass es genau daran bisher gemangelt hat.
Brandenburg hat als eine der ersten Regionen sein Konzept bereits den neuen EU-Vorgaben angepasst. "Wir setzen künftig massiv auf Branchenschwerpunkte", kündigt Wirtschaftsminister Ulrich Junghanns an. Nur noch 16 innovative Wirtschaftszweige wie etwa die Luftfahrtindustrie stehen in der neuen Richtlinie zur Verbesserung regionaler Strukturen. Außerdem werden die Zuschüsse regional differenziert und vermehrt daran orientiert, ob neue Jobs entstehen. Für Joachim Ragnitz vom Institut für Wirtschaftsforschung in Halle wiederum fällt der Kurswechsel viel zu zaghaft aus. "Die EU sollte die Förderung noch stärker auf die neuen, wirklich bedürftigen Mitgliedsstaaten in Osteuropa ausrichten", meint der Experte.
Unterm Strich zieht der Wirtschaftsforscher ein durchwachsenes Fazit der EU-Förderung beim Aufbau Ost: "Wenn durch die Brüsseler Zuschüsse die Landesprogramme nicht kofinanziert worden wären, hätten womöglich Leuchttürme wie das neue BMW-Werk in Leipzig oder die Chipproduktion in Dresden so nicht entstehen können". Leider, kritisiert Ragnitz, sei aber mangels Kontrolle auch "jede Menge Blödsinn" gemacht worden.
Thomas Wüpper arbeitet als Wirtschaftskorrespondent mehrerer Zeitungen in Berlin.