Das Parlament: Wann wird nach Ihrer Einschätzung die EU-Verfassung in Kraft treten?
Roth-Behrendt: Ich hoffe auf das Jahr 2008 oder 2009.
Das Parlament: Das klingt mutig. Im Moment kann man aber fast den Eindruck haben, dass der Verfassungsprozess tot ist...
Dagmar Roth-Behrendt: Wieso soll der Verfassungsprozess tot sein? Nur in Frankreich und Holland gab es ein Nein. Die meisten EU-Staaten haben zugestimmt und die Ratifizierung ist noch nicht abgeschlossen. Man kann doch die Mehrheit der Mitgliedsländer nicht in Mithaftung nehmen für das Votum bei zwei Referenden. Der Streit um die Verfassung beleuchtet ein altes Problem: Auf der innenpolitischen Bühne wird die EU oft für billigen Populismus instrumentalisiert. Gerade vor Wahlen ist es populär, sich von der eigenen Verantwortung für die Brüsseler Politik zu distanzieren.
Das Parlament: Die Union hat sich doch bis jetzt auch ohne Verfassung weiterentwickelt ?
Dagmar Roth-Behrendt: Mit zwölf Staaten hat das funktioniert, mit 15 klappte es gerade noch so. Eine Gemeinschaft von 25 Nationen aber kommt ohne eine Verfassung, die Werte und auch Strukturen definiert, nicht aus. Der Verfassungsvertrag bringt konkrete Fortschritte. Verbrieft werden einklagbare Grundrechte. Aber auch dem EU-Parlament werden mehr Mitbestimmungsrechte zugestanden, nationale Parlamente besser beteiligt. Im Ministerrat sind nur noch in wenigen Fällen einstimmige Beschlüsse erforderlich, das macht die Brüsseler Politik effizienter. Volksbegehren ermöglichen den Bürgern mehr direkten Einfluss. Auch die gemeinschaftliche Außenpolitik erhält mit der Installierung eines EU-Außenministers neue Impulse.
Das Parlament: Wie lässt sich denn die Verfassung retten? Die Rede ist von einer "Verfassung light" ...
Dagmar Roth-Behrendt: Es darf auf keinen Fall eine Art Mini-Verfassung geben. Welche Aspekte soll man denn aus dem Text herausnehmen? Ein Irrweg wäre auch die Einberufung eines neuen Konvents. Vielleicht könnte man einige Aspekte der Verfassung stärker hervorheben, um so etwa die soziale Dimension der EU zu betonen.
Das Parlament: Was kann man ganz konkret tun?
Dagmar Roth-Behrendt: Nötig erscheint mir, die Politik Brüssels zu ändern, um so in der Bevölkerung mehr Zustimmung zur Union und damit auch zur Verfassung zu erreichen. Das Hauptproblem bei der Ratifizierung der Verfassung ist die miserable Vermittlung gegenüber den Bürgern. Auf nationaler Ebene fand keine nennenswerte öffentliche Debatte statt, es wurde, wenn überhaupt, in Hinterzimmern diskutiert. EP-Abgeordnete allein können dieses Defizit nicht ausgleichen.
Das Parlament: Halten sich nationale Regierungen und Parlamente zu sehr raus?
Dagmar Roth-Behrendt: Die Mitgliedstaaten sind gefordert, die Ratifizierung voranzutreiben und zum Beispiel mit Bürgerforen die Menschen für den Verfassungsvertrag zu gewinnen.
Das Interview führte Karl-Otto Sattler