Eine stabile Mehrheit für die sozial-liberale Koalition hatten die Meinungsforscher für Rheinland-Pfalz signalisiert. Der Wahlabend jedoch brachte auch für Eingeweihte eine Riesenüberraschung. Mit 45,6 Prozent erreichte die SPD entgegen dem Bundestrend nicht nur ihr bestes Wahlergebnis in der Geschichte des Landesverbandes, sondern mit 53 Sitzen auch die absolute Mehrheit der Mandate. Die CDU unterbot mit 32,8 Prozent noch ihr historisch schlechtes Ergebnis von 2001. Die FDP, die trotz Kooperationsangeboten aus der SPD in die Opposition geht, verbesserten sich auf acht Prozent. Zu den Wahlverlierern zählen neben der CDU auch die Grünen, die nur auf 4,6 Prozent kamen und damit nach 19 Jahren nicht mehr im Landtag vertreten sein werden. Auch die WASG scheiterte an der Fünf-Prozent-Hürde.
"Oh, wie ist das schön" singen die begeisterten Genossen am Sonntagabend zur Begrüßung, als der alte und neue Ministerpräsident in den Fraktionssaal einzieht. Es ist die dritte Landtagswahl, die Kurt Beck gewonnen hat. Schon kursiert im Mainzer Abgeordnetenhaus der Titel "König Kurt". Fast zwölf Jahre hat er an der Spitze einer sozial-liberalen Koalition gestanden, einem Bündnis, das, wie er zwei Tage später bilanzieren wird, "fair, anständig und am Konsens orientiert" das Land auch wirtschaftlich weit nach vorn gebracht hat. Die volle Übereinstimmung von Programm und Kandidat, sagen seine Anhänger, hat den Wahlsieg gebracht. Nun kann und muss die SPD die Regierungsarbeit ohne die FDP stemmen.
So ist der Wahlsieg für Beck nicht nur "der Höhepunkt seiner Karriere" und Garantie dafür, dass künftig seine Stimme in der Bundes-SPD noch mehr Gewicht haben wird, einer Partei, in der mittlerweile 30 Prozent schon als Erfolg gelten. Der 57-Jährige weiß auch: "Dieses Wahlergebnis nimmt uns in die Pflicht." Besonders bei jungen Leuten hat seine Partei gut abgeschnitten. Dies zeige, so der Ministerpräsident, dass die Landesregierung mit ihren Themen Frühförderung von Kindern und Ganztagsschulen auf dem richtigen Weg sei. Auch künftig solle Rheinland-Pfalz ein mittelstandsfreundliches Land bleiben, betont Beck. Dieses Ziel jedoch muss die SPD nun ohne ihren liberalen Partner umsetzen, der bislang für die Wirtschafts- und Justizpolitik verantwortlich war.
Noch am Wahlabend sendet Beck zwar ein Gesprächsangebot in Richtung FDP aus. Doch schon bald wird klar, dass die Liberalen sich eher auf die Opposition einstellen als auf eine Rolle als geduldeter Juniorpartner. Während der Vorsitzende der Landespartei, Rainer Brüderle, seit fünfzehn Jahren und auch von Berlin aus noch einer der Motoren des sozial-liberalen Bündnisses, sich nur unverbindlich äußert, erklärt der FDP-Landtagsabgeordnete Reinhold Hohn bereits unverhohlen auf die Frage nach einer möglichen Zusammenarbeit mir der SPD: "Das kann ich mir ehrlich gesagt nicht vorstellen." Am Abend des 27. März führen Beck und Brüderle schließlich ein "offenes und freundschaftliches" Gespräch mit dem Ergebnis, dass es angesichts des eindeutigen Wählervotums eine Neuauflage der Koalition nicht geben wird.
Um Regieren oder Nichtregieren geht es bei der FDP. Dieses Problem steht bei der rheinland-pfälzischen CDU längst nicht mehr im Vordergrund. Zum zweiten Mal hat Becks Herausforderer Christoph Böhr die Partei, die unter ihrem Spitzenkandidaten Helmuth Kohl in den 70er-Jahren für 53,9 Prozent gut war, in eine schwere Niederlage geführt - trotz Merkel-Bonus, trotz des allgemeinen Aufwinds der Christdemokraten in Deutschland. Die schlechte Wahlbeteiligung von 58,2 Prozent geht vor allem zu Lasten der CDU. Eine halbe Stunde nach Bekanntwerden der ersten Prognose zieht Böhr die Konsequenzen, tritt von seinen Ämtern als Partei- und Fraktionschef zurück, bedankt sich bei allen und hinterlässt nach drei kurzen Sätzen seine völlig ratlosen Parteifreunde. In den Wahlveranstaltungen sei ein solches Ergebnis nicht spürbar gewesen, sagt die Bundestagsabgeordnete Julia Klöckner. "Ich hatte das Gefühl, dass die Basis mobilisiert ist." Von einer "selbsterfüllenden Prophezeiung" spricht gar die Landtagsabgeordnete Helga Hammer - wie Klöckner Mitglied in Böhrs Kompetenzteam - mit Blick auf die Umfragen. "Maßlos enttäuscht", zeigt sich Hammers Kollege Hermann-Josef Bracht. Er hatte zumindest einen Stimmenzuwachs erwartet.
Nun muss die Partei das nachholen, was sie in den vergangenen fünf Jahren zweimal versäumt hat. Trotz aller Erbitterung hatte es nach der Wahlschlappe 2001 mangels personeller Alternativen keinen Neuanfang gegeben. Selbst als im Herbst 2004 eine von den Bezirksvorsitzenden angeführte offene Revolte gegen den Parteichef ausbrach, konnte Böhr seinen Kopf retten. Und mehr noch: In einer Mitgliederbefragung setzte sich der 52-Jährige erneut als Spitzenkandidat durch. Nun sind andere Köpfe an der Spitze gefragt. In dieser Woche will die Fraktion einen neuen Vorsitzenden wählen. In einer Kampfkandidatur wollen der 38-jährige Landtagsabgeordnete Christian Baldauf und der Vorsitzende des Parteibezirks Trier, Michael Billen, gegeneinander antreten. Am 12. Mai soll dann auf einem Parteitag der Landesvorstand komplett neu gewählt werden.
Zu den Verlierern des 26. März gehören auch die rheinland-pfälzischen Grünen. Seit 19 Jahren im Landtag waren sie selbst auf dem Höhepunkt rot-grüner Politik für ein Bündnis nie in Frage gekommen. "Wir gaben unser Bestes in diesem Wahlkampf", erklärt die Fraktionsvorsitzende Ise Thomas, als klar ist, dass die Ökopartei den Wiedereinzug in den Landtag nicht schaffen wird, "aber wahrscheinlich haben die Wähler es nicht gewollt". Gleich am Tag nach der Wahl beginnt die Fraktion ihre Koffer zu packen. "Charakter" sollen sie jetzt beweisen, gibt Parteichef Reinhard Bütikofer ihnen noch mit auf den Weg, und "sich nicht ins Chaos treiben lassen". Beck hingegen geht pragmatischer mit dem Problem um. Er habe, erklärt der Ministerpräsident, den Chef der Staatskanzlei gebeten, nach "neuen Beschäftigungschancen" für die Mitarbeiter der Grünen-Fraktion zu suchen.