Die nationalsozialistische Barbarei scheint auch heute noch den Blick auf die Tatsache zu verstellen, dass jüdische Deutsche vor 1933 - latentem wie offenem Antisemitismus zum Trotz - ganz selbstverständlich zur deutschen Gesellschaft gehörten und Führungspositionen in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft bekleideten. So war der Anteil Abgeordneter jüdischen Glaubens oder Herkunft mit rund drei Prozent an den 1.795 Weimarer Reichstagsabgeordneten dreimal so hoch wie der jüdische Bevölkerungsanteil. Dass es zum Erreichen dieser fragilen Normalität eines langen Weges und des Einsatzes mutiger Menschen bedurfte, belegt der Lebenslauf des jüdischen Politikers, Juristen und Publizisten Gabriel Riesser, dessen Geburtstag sich am 2. April zum 200. Mal jährt.
Aufgewachsen in einer angesehenen Familie in Hamburg, studierte Riesser Jura in Kiel und Heidelberg, wo er 1826 promovierte. Sein Plan, sich als Privatdozent zu habilitieren, scheiterte an den noch vielerorts für Juden geltenden Zulassungsbeschränkungen zum Staatsdienst. Diese diskriminierenden Erfahrungen, mit denen er sich wenig später bei seinen vergeb-lichen Versuchen, sich in Hamburg als Anwalt nieder-zulassen, erneut konfrontiert sah, haben Riessers entscheidend geprägt: Fortan galt sein gesamtes Streben der sozialen und politischen Gleichberechtigung der jüdischen Bevölkerungsminderheit.
Riesser entfaltete zunächst eine rege publizistische Tätigkeit. Bereits in seiner 1830 erschienenen Schrift "Über die Stellung der Bekenner mosaischen Glaubens in Deutschland, an die Deutschen aller Konfessionen" tat er seine Forderung nach einer Emanzipation der Juden kund. Auch die von ihm 1832 gegründete Zeitschrift "Der Jude. Periodische Blätter für Religion und Gewissensfreiheit" diente diesem Zweck. Getreu seiner Überzeugung, dass die Frage der Juden-emanzipation aufs Engste mit der Durchsetzung bürgerlicher Freiheits- und Gleichheitsrechte im Allgemeinen verbunden sei, betätigte er sich auch für nicht konfessionell gebundene Zeitungen. Auch sozial und politisch wirkte er auf verschiedenste Weise.
Es konnte nicht überraschen, dass der weit über die Grenzen Hamburgs hinaus bekannte, seit 1840 als Notar tätige Liberale im Revolutionsjahr 1848 ins Vorparlament nach Frankfurt am Main berufen und von den Wählern des Herzogtums Lauenburg in die Deutsche Nationalversammlung gewählt wurde. Schnell gewann der dem linken Zentrum angehörende Abgeordnete die Anerkennung seiner Kollegen. Als Vizepräsident des Parlaments, stellvertretender Vorsitzender des Petitionsausschusses und Berichterstatter im Verfassungsausschuss setzte sich der brillante Rhetoriker für konfessionelle Gleichberechtigung und bürgerliche Freiheitsrechte ein. Die Anerkennung der Judenemanzipation sowie die Durchsetzung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts in der Paulskirchenverfassung sind nicht zuletzt dem Wirken Riessers zu verdanken.
Sein Ausscheiden aus der Nationalversammlung im Mai 1849 bedeutete nicht das Ende der politischen Arbeit Riessers. Als Mitglied der Gothaer Versammlung (Juni 1849) und des Erfurter Unionsparlaments von 1850 versuchte er so viel wie möglich von der Frankfurter Reichsverfassung gegen die Restauration zu retten. Nach dem Scheitern dieser Bemühungen kehrte er nach Hamburg zurück, wo er - seit 1857 als Anwalt tätig - von 1859 bis 1862 als Abgeordneter und Vizepräsident der Hamburger Bürgerschaft maßgeblich an der Beratung einer neuen hamburgischen Verfassung beteiligt war.
Schließlich war es ihm vergönnt, mit der 1860 erfolgten Berufung zum Rat am hamburgischen Obergericht als erster jüdischer Richter in Deutschland zu wirken und seinen lebenslangen Kampf auch mit einem persönlichen Triumph zu krönen. Am 22. April 1863 starb Gabriel Riesser in seiner Geburtsstadt Hamburg.