Und er weiß viel: Auf allein 900 Fragen zur Bundestagswahl fällt ihm direkt eine Antwort ein. Das gelingt dank einer großen Datenbank, die nach Begriffen und bestimmten Wortkombinationen abgesucht wird. Hinter so einem Avatar, wie diese grafischen Stellvertreter einer echten Person in der virtuellen Welt genannt werden, steckt natürlich immer ein kreativer Kopf. Hartwig Bierhoff, Leiter des Referates Onlinedienste in der Bundestagsverwaltung, lässt das virtuelle Federvieh "füttern", damit es auf so viele Fragevarianten von Netzbesuchern wie möglich reagieren kann. Etwa 50 Prozent der Besucher wollen mit dem grafischen Symbol des Bundestages einen Smalltalk führen. Auf unterhaltsame und persönliche Art und Weise werden so Informationen über Parlament und Demokratie vermittelt. "Das ist eben etwas anderes als eine Suchmaschine", so Bierhoff. Menschen, die mit dem Netz noch nicht so vertraut sind, fänden über so einen Avatar einen leichteren Einstieg in Themen. Schüler, das zeigen die anonymisierten Protokolle, geben bei diesem Recherchewerkzeug gerne Fragen aus dem Hausaufgabenbereich ein.
Doch geht es bei aller Freude am spielerischen Austausch auf der Plattform des Bundestages in erster Linie um kompakte, schnell auffindbare Informationen aus der parlamentarischen Arbeit. Von der Tagesordnung über die Plenarprotokolle bis zur Live-Übertragung via Parlamentsfernsehen aller Plenarsitzungen. Als Web-TV kann die parlamentarische Arbeit direkt von den Bürgerinnen und Bürgern mitverfolgt werden. Bekanntermaßen sind die Ausschüsse das Herzstück der Parlamentsarbeit. Auch ihr politisch-parlamentarischer Meinungsbildungsprozess ist im Netz nachvollziehbar. Zahlreiche Gremien stellen ihre Arbeitsergebnisse, Beratungen und Diskussionen ein. Oder sie halten Online-Konferenzen ab und kommen damit in direkten Kontakt mit den Bürgern.
Das multimediale Angebot des Deutschen Bundestages ist das Ergebnis einer zehnjährigen Entwicklung, die 1996 mit der Einrichtung der Enquete-Kommission "Neue Medien - Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft" begann. Die zweimalige Neugestaltung und kontinuierliche inhaltliche Verbesserung schlägt sich offenbar in der Akzeptanz nieder. Griffen 2004 noch 6,5 Millionen Nutzer zu, so waren es 2005 bereits 9,7 Millionen. Allein im September 2005, also im Wahlmonat, gab es eine Million Zugriffe. Am meisten interessiert der Button "Abgeordnete". Dort können Biografien und die Wahlkreisergebnisse abgerufen werden. Auf Platz zwei liegt das "Informations-Center" mit den umfangreichen "Datenbanken". Dieses Angebot dokumentiert unter anderem die öffentlich zugängliche Arbeit von Bundestag und Bundesrat, wie sie sich in Drucksachen und Plenarprotokollen darstellt.
In der Fülle an schnell verfügbaren Informationen sieht Hans-Peter Neumann, zuständig für Onlinedienste und Parlaments-TV, den Mehrwert des Internet-Auftritts des Bundestages. Bürgerwünsche, im Frühjahr 2005 durch eine Online-Konsultation ermittelt, fließen in Neu- und Weiterentwicklungen ein. Eine der Schlussfolgerungen: Die Suchfunktion optimieren. An einem Terminkalender auch mit außerparlamentarischen Veranstaltungen wird gearbeitet. Und in diesem Jahr soll noch ein Kinderbereich eingeführt werden, weil ein großer Bedarf an kindgerecht aufbereiteten Informationen ermittelt wurde.
Das interaktivste Instrument des Bundestages ist das Jugendforum www.mitmischen.de. Knapp 5.000 registrierte Jugendliche bilden dort eine Community. Sie verständigen sich durch eine Wahl auf ein Diskussionsthema. Dossiers, zum Beispiel Anfang März zu "Generationengerechtigkeit" und Ende März zu "Volksentscheide", helfen den Teilnehmern zwischen 14 und 21 Jahren, sich auf die Foren vorzubereiten. "Jugendliche werden als Einzelperson Ernst genommen", erläutert die zuständige Referentin Nathalie Hillmann-Weis. Jeder könne dabei sein, ohne einer Partei oder einer Organisation anzugehören, um die persönliche Meinung und Position einzubringen. Mitmischen.de ist oft ihre einzige Möglichkeit, sich auszutauschen und einzubringen. Die Jugendlichen haben den Eindruck, dass sie zu den Abgeordneten durchdringen. In bis zu zehn Chats jährlich kommen sich junge Menschen und Parlamentarier näher.
Auch die Arbeit der Länderparlamente kann im Netz verfolgt werden. Die Auftritte sind, was Service, Interaktivität, Navigation und Erreichbarkeit angeht, von unterschiedlicher Qualität. Basisinformationen über die Aufgaben des Landesparlaments, die Arbeit der Abgeordneten in den verschiedenen Gremien und die Rechtsgrundlagen sind beinahe auf jeder Website vorhanden. Heraus sticht Schleswig-Holsteins Website, wo die Inhalte kommender Plenarsitzungen sowie sämtliche relevante Dokumente redaktionell in "Plenum Online" aufbereitet werden. Die Landtage in Hessen, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen punkten durch ein fundiertes inhaltliches Angebot. Defizite tauchen bei allen Plattformen im Bereich der Interaktivität auf, wobei einige auf ihren Jugendseiten erste Ansätze mit Quizfragen und Gästebüchern erkennen lassen. Rheinland-Pfalz liegt mit seinen Foren und Chats mit dem "Schülerlandtag" gut im Rennen.
Die meisten Parlamente in Deutschland haben sich in den vergangenen zehn Jahren in ihrer Online-Kommunikation vor allem auf die Außendarstellung konzentriert. Das bedeutete ein Wechsel der Perspektive, weg von hausinternen Nutzern hin zur Öffentlichkeit. Das war ein schwieriger Prozess, weil, so der Politikwissenschaftler Christoph Bieber von der Universität Gießen, Parlamente sehr komplexe Organisationen seien und eine zentrale Steuerung damit kaum möglich war. Im Vergleich mit anderen politischen Akteuren, die homogener organisiert sind, hätten Parlamente höhere Hürden bei der Implementierung neuer Technologien überwinden müssen. Er stellt auf breiter Front Fortschritte fest. Doch wirkten ihre Online-Angebote im Vergleich mit Parteien oder Nichtregierungsorganisationen oft noch etwas weniger modern.
Die Frage, ob es mit den aktuellen Angeboten der Plattformen gelingt, den politischen Diskurs in der Breite zu vertiefen, beantwortet Bieber mit ja. Allerdings müssten dafür auch die Nutzer etwas tun. "Denn insgesamt bieten die Informationsangebote der Parlamente zwar einen direkteren Zugriff auf die parlamentarische Arbeit - allerdings müssten die Onliner dann die nicht ganz einfache Arbeit der Informationsfilterung leisten. Wer sich darauf einlässt, kann sehr viel über den öffentlich häufig nicht so sichtbaren Alltag eines ,Arbeitsparlamentes' lernen."
Ohne Zweifel hat das Internet die Außendarstellung der Parlamente revolutioniert. Die Stärke der Netzauftritte liegt im Dienstleistungscharakter. Bei allen Fortschritten sind jedoch noch Defizite in der Interaktivität festzustellen, die die Betreiber allerdings erkannt haben und die Zug um Zug abgebaut werden sollen.
Ines Gollnick arbeitet als freie Journalistin in Bonn.
www.bundestag.de
www.mitmischen.de