Donnerstagnachmittag, 15:15 Uhr: Die ersten Nachwuchsspieler kommen aus den Kabinen am Kölner Geißbockheim, dem Clubhaus des 1. FC Köln. Ihre Stollenschuhe klickern auf dem grauen Asphalt. Die jungen Männer im blau-roten Sportdress schlendern rüber zum Trainingsplatz, einer nach dem anderen. Die Aprilsonne scheint, aber der Rasen ist noch feucht vom langen Winter. Es ist kalt. Pünktlich um 15:30 Uhr steht die U23, die Nachwuchsmannschaft des Kölner Erstligisten, auf dem Platz bereit: Warmlaufen und Schnelligkeitstraining stehen auf dem Plan, zudem Technik, Taktik, Spiel. Ein paar Spaziergänger bleiben stehen und schauen zu, wie die 20- bis 23-jährigen Talente sprinten, dribbeln, schwitzen: Fünf mal die Woche, 280 mal im Jahr.
Die meisten von ihnen spielen Fußball seit sie Kinder sind, haben als Sieben- oder Achtjährige angefangen. Wer es bis hier in die zweite Mannschaft eines Bundesligisten geschafft hat, hinter dem liegt bereits eine richtige Fußballer-Laufbahn. Bei den Kleinen können noch viele mithalten. Weiter oben wird die Auswahl härter, Druck und Konkurrenz nehmen zu. Und trotzdem träumen die 20 jungen Spieler, die dort über den Rasenplatz rennen, alle nur von einem: einer Karriere im Profi-Fußball.
"Jeder, der in unserem Alter Regionalliga spielt, versucht richtig weit nach oben zu kommen", sagt Sebastian Zinke, einer der Kölner Nachwuchsspieler. Der 21-Jährige wuchs in Hessen auf und spielte dort beim KSV Baunatal Landes- und Oberliga. Vor drei Jahren wurde er während eines Turniers von Spielerbeobachtern des 1. FC Köln gesichtet. Man machte ihm ein Angebot. Er wechselte an den Rhein.
Schon länger ist Alaattin Tosun dabei. Der Kapitän der U23 lebt in Wuppertal. Seit elf Jahren pendelt er zum Training nach Köln. Zuerst nahm er den Spieler-Fahrdienst in Anspruch, jetzt das eigene Auto. Die Fahrerei macht ihm nichts aus. Auch nicht, dass er für den Sport auf so manche Party und das, was einige Bekannte "Spaß" nennen, verzichten muss: "Die guten Freunde erkenne ich daran, dass sie mich nicht zum Trinken überreden wollen", sagt Alaattin. Der 22-Jährige kann bereits vom Fußballspielen leben. Doch liegt das, was er als Amateur an Aufwandsentschädigungen erhält, weit unter dem, was Spitzensportler mit Vertrag in der Bundesliga verdienen. Der Gedanke ans große Geld spielt eine Rolle, das gibt Alaattin zu. Aber das Wichtigste bleibe der Spaß am Spiel: "Wenn man sein Hobby zum Beruf machen kann, ist das die schönste Sache."
Das meint auch Christoph John. Und der erfahrene Nachwuchs-Trainer weiß, wovon er spricht: Seine jungen Spieler haben in dieser Saison viele Misserfolge und viel Kritik einstecken müssen. Der Abstieg von der Regional- in die Oberliga droht. Gerade in schwierigen Situationen müsse man sich aber die Freude am Spielen erhalten. "Das gibt Kraft, solche Phasen durchzustehen".
Doch Fußball ist zunehmend mehr Geschäft als Spaß. Die Spieler werden immer jünger. "Heute haben schon 14-jährige Kinder eigene Berater", sagt John. Er betrachtet diese Entwicklung skeptisch. Der Traumberuf fordert viel von den jungen Talenten. Ihr Trainingsaufwand unterscheidet sich kaum noch von dem im Profibereich. Fleiß und Ausdauer sind gefragt. Und in manchen Vereinen werden die jungen Kicker zu früh auf Leistung getrimmt. Der neu ernannte DFB-Sportdirektor Matthias Sammer sagte dazu in einem Interview mit der FAZ: "Wir müssen aufpassen, dass wir mit der Spezialisierung nicht zu früh beginnen."
Was braucht ein Spieler also auf dem Weg zum Erfolg? Nach Ansicht Johns gehört ein professionelles, möglichst früh einsetzendes Training ebenso dazu wie Durchsetzungsvermögen, Lernfähigkeit und Charakter. "Aber nicht immer hat der Talentierteste den größten Erfolg", sagt er. Ein Mannschaftssportler müsse sich integrieren können und an Regeln halten. "Wir wollen nicht nur den perfekten Fußballer, der mit links und rechts die Tore schießt, sondern auch jemanden, der sich in allen Situationen korrekt zu benehmen weiß."
Auf soziale Kompetenz legt man auch beim Schalker Nachwuchs Wert. Die A-Jugend des Gelsenkirchener Vereins führt derzeit in der Junioren-Bundesliga West. Ein hoffnungsvolles Talent ist der 17-jährige Ralf Fährmann, der im Leistungszentrum des Vereins wohnt. Nur wirkliche Top-Spieler wie er, der Jugend-National-Torhüter, werden aufgenommen. Mit 14 Jahren zog er von Chemnitz, wo er bereits ein Fußballinternat besuchte, in die Ruhrgebietsstadt. Er fühle sich "super wohl", sagt er. Auch weil in Gelsenkirchen alles optimal organisiert werde.
Um die schulische und die fußballerische Ausbildung zu vereinbaren, hat Schalke 04 mit der in Nachbarschaft liegenden Gesamtschule Berger Feld vor sechs Jahren die "Fußballschule" gegründet. "Wir stricken die Stundenpläne der Fußballklassen so, dass die Spieler vier Mal pro Woche morgens trainieren können", erklärt Arthur Preuß, Fußball-Koordinator der Schule. Für die Jungs ist das hart: Sie pendeln zwischen regulärem Unterricht, Training und Spielen am Wochenende. Freizeit bleibt da kaum. Preuß weiß: "Die stehen richtig unter Druck."
Ralf ist einer von ihnen. Er steht kurz vor dem Abitur. Und obwohl er den Sport liebt, tut es gut, meint er, wenn er nach drei Monaten Internat am Stück mal wieder nach Hause fahren, den Fußball für einige Tage vergessen kann. Die Lehrer versuchen die Spieler durch Nachhilfe, Betreuung und Kompensationsstunden zu entlasten. Erlassen können sie ihnen - außer den Sportstunden - aber nichts.
Konzepte wie dieses in Schalke, mit Internaten, Teil-Internaten oder Schulprojekten zur Nachwuchsförderung, sind inzwischen zumindest bei den ersten Bundesligavereinen die Regel. Aber auch die Zweitligisten investieren mehr in die Jugendarbeit, als noch vor einigen Jahren. "Mittlerweile haben alle erkannt, dass das sinnvoll ist", sagt Trainer John. Der Umschwung hat auch rechtliche Gründe: Die FIFA schreibt den Vereinen beispielsweise vor, dass mindestens vier Lizenzspieler aus dem eigenen Nachwuchs kommen müssen. Für Sebastian, Alaattin und Ralf sind das gute Aussichten.
Und was ist wichtiger, die Schule oder der Fußball? Ralf will auf jeden Fall sein Abitur machen. "Die Chance, dass man Fußballprofi wird, ist relativ klein", bemerkt er nüchtern. Er nimmt seine schulische Ausbildung ernst, weil er weiß, dass eine Profikarriere durch eine Verletzung auch schnell wieder zu Ende sein kann. Ab Mitte 30 scheide man sowieso aus Altersgründen aus.
Sebastian macht nebenbei eine Ausbildung als Sport- und Fitnesskaufmann. Vereinbar mit dem Fußball ist das nur, weil sein ausbildender Betrieb der 1. FC Köln selbst ist. Dort nimmt man auf seine Trainingszeiten Rücksicht.
Alaattin dagegen ist risikofreudig. Über Alternativen zur Profikarriere denkt er nicht nach. Einen Hauptschulabschluss hat er zwar, aber keine Berufsausbildung. Sorgen macht er sich aber nicht. Vermutlich steht dem jungen Spieler ein neuer Vertrag ins Haus. Wohin genau, das will er nicht sagen. Nur so viel: "Man muss sich alle Optionen frei halten, wenn man Profi werden will."