Andreas Altmann, der für renommierte Magazine und Wochenzeitungen geschrieben hat, legt keinen Reisebericht vor; er hat die Gabe, tief in die Mentalität der Menschen einzutauchen. Dies vermittelt ihm Erkenntnisse, die dem von Reisebüros gesteuerten Touristen verschlossen bleiben müssen. Erkenntnisse und Erlebnisse, die wiederum eine Brücke sind für den Leser, der auf diese Weise mehr über diesen Teil der Welt erfährt, als es ein Reiseführer ihm je nahe bringen könnten. Altmann ist ein exzellenter Schreiber, der seine Eindrücke wie in einem Brennglas verdichten kann, der über Unerwartetes reflektiert und das für Westeuropäer Unbegreifliche und Unfassbare aus dem asiatischen Kontext erklärt.
Altmann belässt es nicht dabei, das Erlebte zu be-schreiben. Er bringt sich emotional ein, aber auch, wenn es sein muss oder wenn er es für wichtig erachtet, als bedingungslos zupackender Helfer. Dass er dabei die Rolle des beobachtenden Journalisten beibehält, macht sein Engagement nicht unglaubwürdiger.
Unmittelbar nach der Tsunami-Katastrophe reist er nach Phuket, um nach einem Freund zu suchen, der nach der verheerenden Flutwelle verschollen ist. "Nur unter dem Einfluss von Drogen oder getrieben von der Fürsorge um Freunde scheint mit der Ort betretbar", beschreibt der Autor Phuket als "größtes Open-Air-Eroscenter" von Thailand.
Minutiös notiert Altmann die Katastrophe nach der Katastrophe, die Mühen der Retter, den grauenhaft hässlichen Tod, die verzweifelte Suche nach Überlebenden, nach Angehörigen. Während einige hundert Meter weiter in den Bierlokalen die Musik pausenlos weiter dröhnt und die thailändischen "working girls" neben westlichen Männern stöckeln. Auch ein Tsunami werde an der Hausordnung nicht rütteln, resümiert Altmann, der wenige Stunden nach der Schreckenswelle hilft, wo Hilfe nötig ist. Während der Autor sich auf seine nächste Station Kambodscha vorbereitet, titelt die Bangkok Post: "Handwerker machen Überstunden, um neue Bier-Bars zu bauen."
Kambodscha, das nach den Gräueltaten der Roten Khmer in den 70er-Jahren nur schrittweise den Weg in die Normalität findet, ist Altmann mehr wert als ein Tempel-Tripp, wie ihn die Reiseveranstalter nahezu ausschließlich anbieten. Wenige Monate vor dem Kriegsverbrechertribunal gegen die letzten noch lebenden Verantwortlichen des Pol-Pot-Regimes macht sich Altmann auf die Fährte des ehemaligen Scharfrichters der Khmer Rouge im Raum Pailin an der Grenze zu Thailand. Mittelsmänner bringen ihn zu dem Mörder, der möglicherweise mehr als tausend Menschen erschossen hat, aber nach den Spielregeln des Tribunals dennoch nur zu den kleinen Fischen gehört und nicht angeklagt werden wird. Der Chefhenker verweist auf seinen Status als Befehlsempfänger - zum Morden verpflichtet, ohne Reue zu empfinden.
Es ist schon eine journalistische Meisterleistung, kurz vor Beginn des viele Jahre umstrittenen Tribunals einen der fürchterlichen Vollstrecker des Massenmör-ders Pol Pot zu interviewen. Diese Passage prägt alle weiteren Berichte über Kambodscha - nicht die über-bordende Korruption, Drogen und Kinderprostitution, Aids und Minengefahr stellt Andreas Altmann in den Mittelpunkt, sondern eben den Prozess, der die kambod-schanische Gesellschaft umtreibt, gibt es doch kaum eine Familie, die nicht Verluste zu beklagen hat, als Pol Pot in seinem Wahn ein neues Volk schaffen wollte.
Als im benachbarten Kambodscha das Morden be-gann, hatte Vietnam gerade das Gemetzel mit den Amerikanern beendet, das Millionen das Leben kostete. Noch zwei Jahrzehnte lang blieb Kambodscha in blutige Bürgerkriegswirren verstrickt, die den großen wirtschaftlichen, aber auch politischen Rückstand zu Vietnam erklären. Vietnam ist Boom-Land, in Ho-Chi-Minh-Stadt - die meisten sagen noch immer Saigon - geht es zu wie in einem Bienenkorb. Das Wachstum ist enorm, das quirlige Saigon erinnert an Bangkoks Gründerjahre.
Und dennoch überdecken die gläsernen Fassaden der Bürogebäude und Hotels die Armut derer, die nicht einmal die 50 Dollar im Monat verdienen, um überleben zu können. Der Journalist Altmann bringt sich auch hier ein und kauft einer Frau und ihren vier Töchtern für ein paar hundert Dollar ein kleines Haus und eine Kuh. Dies wird ohne Pathos berichtet, glaubwürdig zumal, wenn Altmann sich dabei an einen Gedanken Pandit Nehrus erinnert, dass ein würdiges Menschenleben mit einer trockenen Wohnung be-ginnt.
Andreas Altmann: Der Preis der Leichtigkeit. Eine Reise durch Thailand, Kambodscha und Vietnam. Frederking & Thaler Verlag, München 2006; 236 S., 19,90 Euro.