Das Parlament Ihr Buch hat den Titel "Hitler war's". Ist dieser Titel nicht missverständlich? Der Leser muss doch glauben, dies sei Ihre These.
Hannes Heer Nein, das denke ich nicht. Der Titel ist als Zitat kenntlich gemacht, und der Untertitel macht die kritische Intention des Buches deutlich: "Die Befreiung der Deutschen von ihrer Vergangenheit." Hitler als Sündenbock, diese These ist schon zu finden in den meisten Einlassungen unmittelbar nach 1945, sie ist der Kern der apologetischen Memoiren in den 50er- und 60er-Jahren. Sie ist eine bis in die Wissenschaft hin anzutreffende Entlastungsformel. In subtilerer Form taucht sie bei den Autoren auf, die ich in meinem Buch behandle.
Das Parlament Sie kritisieren in Ihrem Buch Joachim Fest und Guido Knopp scharf. Ihr Historiker-Kollege Ralph Giordano hat prophezeit: "Das geht bis aufs Blut, das werden sich die Bezichtigten nicht gefallen lassen, da wird es schrille Gegentöne geben." Gab es die?
Hannes Heer Nein, es ist nicht eingetreten, was Giordano prophezeit hat. Ich hätte an seiner Stelle auch sofort eine Variante benannt, mit der ich gerechnet habe: dass man mit Schweigen darüber hinweg geht.
Das Parlament Es gab also weder von Fest noch von Knopp eine Reaktion auf Ihr Buch?
Hannes Heer Nein, die gab es nicht. Die hätten sich geäußert, wenn es eine wirkliche, große gesellschaftliche Debatte um das Hitlerbild gegeben hätte. Da es die wegen des Stillhaltens der Medien nicht gegeben hat, mussten sie sich nicht äußern.
Das Parlament Warum hat es diese Debatte nicht gegeben?
Hannes Heer Das hat unterschiedliche Gründe. Ich glaube, die Öffentlichkeit, die Medien haben im Moment keine Lust, große neue Debatten über dieses Thema zu führen. Man will nicht mehr. Es gab das Gedenkjahr 2005 zum Kriegsende - dann einen riesengroßen Medienzirkus um die Filme von Bernd Eichinger - "Der Untergang" - und Heinrich Breloers "Speer und Er". Sich jetzt noch einmal mit Hitler beschäftigen... und dann auch noch kritisch... Da mochte man nicht mehr ran. Erst recht nicht, wenn es sich um publizistische Großmächte handelt wie Fest und Knopp. Welche Zeitung und welcher Sender will mit denen schon ins Handgemenge kommen?
Das Parlament Ist eine Art von Sättigung eingetreten?
Hannes Heer Es ist einerseits eine Art Sättigung. Zweitens gibt es aber auch einen heimlichen Konsens. Es ist doch eigentlich alles gesagt: Die Filme von Eichinger und Breloer sind zwar einerseits als Eingang in eine neue Phase verstanden worden - Hitler und seine Bande als Filmhelden - andererseits aber auch als Abschluss. Man kann Hitler und Speer jetzt so sehen, ganz privat und als Menschen wie du und ich. Punkt.
Das Parlament Fest und Knopp sind keine Einzelfälle, sondern die "Türöffner" für ein neues altes Hitlerbild?
Hannes Heer Ja! Und das sind sie schon lange. Fest und Knopp arbeiten daran schon seit Jahrzehnten.
Das Parlament Aber ist eine solche Sicht für Fest nicht etwas ganz Normales. Er stammt aus der typischen Verdrängungsgeneration - Jahrgang 1928?
Hannes Heer Fest und - aus aktuellem Anlass - Grass sind für mich ein Brüderpaar. Der eine arbeitet sich im linken Milieu, der andere im rechten Milieu ab. Beide sind hoch identifiziert mit ihren Vätern oder Übervätern. Beide beschließen nach 1945: Jetzt ist die Stunde Null, jetzt fängt etwas Neues an. Das führt dazu, dass sie in einer unglaublich rigiden Form jeden Zweifel an dieser Zeit und erst recht jeden Selbstzweifel abwehren. Für den einen, den beschämten Grass, bietet sich der einst vergötterte "Führer" als Entlastungsfigur an. Für den anderen, den von der Massenbegeisterung ausgeschlossenen Fest, wird der abgewertete und dämonisierte Hitler mehr und mehr zum Faszinosum.
Das Parlament Das heißt, es gibt so etwas wie eine "Hitler-war's"-Generation?
Hannes Heer Ja, die gibt es. Das ist aber nicht mein Vorwurf. Dass diese 17-, 18-Jährigen ein solches Entlastungsmanöver als Ausstiegsszenario aus der Nazizeit wählen und dass diese existentielle Erfahrung eines Bruchs lebenslang spürbar bleibt, das kann ich nachvollziehen. Das ist ihre generationelle Prägung. So etwas kenne ich als 68er von mir selber mit all den Gefahren dogmatischer Spurenelemente. Für solche Verengungen habe ich Verständnis. Mein Verständnis hört auf, wenn sich Leute wie Fest ins Feld der Geschichte begeben und mit einem gehörigen Aufwand den Eindruck erwecken, sie seien die einzig wahren Geschichtsschreiber; und dabei - nehmen wir als Beispiel seine Speer-Biografie - die Lebenslüge Speers stützen und Geschichte fälschen. Da wird sichtbar, dass ihr Ausstiegsszenario von 1945 zu ihrem Weltbild geworden ist, kontaminiert mit der Faszination des untergegangenen Dritten Reichs. Andere, wie Knopp, deuten Geschichte in eindeutiger Weise um. Das ist vor allem eine bewusste Anpassung an den Publikumsgeschmack.
Das Parlament Aber ist es nicht auch ein Verdienst, dass Knopp mit seinen Sendungen Millionen Menschen für Geschichte interessiert?
Hannes Heer Knopp ist innovativ. Das muss man ohne Abstriche sagen. Er hat sich Gedanken gemacht über die neue Lage, die durch die Kommerzialisierung des Fernsehens entstanden ist. Er hat anglo-amerikanische Vorbilder sehr genau studiert. Er hat eine Erzählform gefunden, die ein großes Publikum anzieht. Die Frage ist nur, was dabei herauskommt. Knopps Serien dienen nicht der Aufklärung. Das ist der Punkt, das entscheidende Kriterium.
Das Parlament Was macht Knopp konkret falsch?
Hannes Heer Er zentriert die gesamte Problematik dieser Jahre auf die Figur Hitlers. Hitler ist das Zentrum, das Aktions- und das Schuldzentrum. Dann gibt es einen Kreis von Helfern, die einen Pakt mit dem Bösen, mit Mephisto, abgeschlossen haben und Gefangene dieses Paktes sind. Das deutsche Volk taucht im knoppschen Fernsehen nicht auf. Das Volk ist außen vor. Es ist Opfer, Zuschauer, anfangs verführt, später terrorisiert.
Das Zweite ist, dass statt Dokumenten, Fotos und andern Materialien als Kronzeugen der Geschichte so genannte Zeitzeugen auftreten. Sie bezeugen aber nicht die Zeit, sondern, wie dressierte Flöhe, das Knoppsche Drehbuch. Durch die dominante Rolle der Zeitzeugen wird eine Emotionalität geschaffen, die durch kein abgefilmtes Archivstück zu erreichen ist. Schlimmer noch: Dadurch entsteht eine falsche Authentizität.
Das Dritte: Knopp setzt das Propagandamaterial der Zeit ein, ohne es als Propagandamaterial der Nazis zu kennzeichnen. Er arbeitet mit der emotionalen und visuellen Wirkung der faschistischen Ästhetik. Knopp schafft keine Distanz, er bricht nicht den schönen Schein der Nazibilder. Er schafft keine Möglichkeit, einen kritisch reflektierenden Blick darauf zu werfen, sondern er schafft Intimität und Identifikation. Hitler zum Anfassen. Die Vergangenheit ist aber das Fremde.
Das Parlament Sind Fest und Knopp eher journalistische Historiker oder historische Journalisten?
Hannes Heer Für mich zählt in der Geschichtswissenschaft erst einmal das der Wahrhaftigkeit und der Aufklärung verpflichtete detektivische Handwerk. Dann kommt die erzählerische Form. Ich attestiere Fest: Er ist ein großer Erzähler, ein großartiger Stilist. Aber das andere, das Ethos des Geschichtsforschers, fehlt. Insofern ist er kein Historiker, sondern ein Publizist, der biografische Geschichtsromane schreibt. Knopp dagegen ist von Hause aus Historiker. Er kennt das Handwerk, aber er wendet es nicht an. Der hat beschlossen, statt Historiker ein erfolgreicher Journalist zu werden.
Das Parlament Sind Knopp und Fest die prominentesten Vertreter einer Geschichtsverweigerung?
Hannes Heer Genauer gesagt, einer Aufklärungsverweigerung. Der eine, Fest, erklärt die Aufklärung für ein von Beginn an gescheitertes Projekt und betreibt ganz dezidiert Gegenaufklärung. Der andere, Knopp, ist faktisch ein Aufklärungsverhinderer.
Das Parlament Was antworten Sie denjenigen, die sagen, Ihr Buch sei nur der Profilierungsversuch eines Historikers, der sich missachtet fühlt?
Hannes Heer Der Auslöser, mich hinzusetzen und zu schreiben, war der Eichinger-Film, weil hier zum ersten Mal mit dem herausposaunten Anspruch des total Dokumentarischen die Geschichte Nazideutschlands komplett neu erfunden wurde. Und was mein das Grundmotiv betrifft, da halte ich es mit Schiller: "Es gibt Zeiten, wo man öffentlich sprechen muss. Und eine solche Zeit scheint mir die jetzige zu sein."
Das Interview führte Sebastian Hille
Hannes Heer: "Hitler war's." Die Befreiung der Deutschen von ihrer Vergangenheit. Aufbau-Verlag, Berlin 2005; 438 S., 24,90 Euro.