Lange haben Prostituierte für die Anerkennung ihres Standes gekämpft - wie auf dieser Demonstration im Jahr 1999. Mit dem Prostitutionsgesetz sollte ihre Situation verbessert werden. Fotos: picture alliance/dpa
Bei den Politikerinnen der rot-grünen Koalition knallten an diesem Tag die Sektkorken. SPD-Frauenministerin Christine Bergmann und Grünen-Sprecherin Kerstin Müller erhoben zusammen mit der Berliner Bordell-Chefin Felicitas Weigmann die Gläser. Der Grund: Die Koalition hatte im Bundestag mit der Unterstützung von FDP und PDS das Prostitutionsgesetz verabschiedet. Zum ersten Mal in der Geschichte Deutschlands war Prostitution nicht mehr sittenwidrig. Huren sollten sich künftig sozial versichern und ihren Lohn vor Gericht einklagen können. Bislang war ihnen dieser Schritt verwehrt, weil professioneller Sex als sittenwidrig und damit illegal galt. Nun sollten Prostituierte einerseits mit ihren Freiern, andererseits mit den Bordellbesitzern Verträge schließen können, die ihnen einen Zahlungsanspruch garantierten.
Es sollte endlich Schluss sein mit Diskriminierung und Doppelmoral gegenüber dem ältesten Gewerbe der Welt, so der Wille der Koalition. Deshalb sei dieses Gesetz auch ein "gesellschaftspolitischer Meilenstein", lobte etwa die SPD-Abgeordnete Anni Brandt-Elsweier. Und ihre Bündnispartnerin, die Grünen-Politikerin Irmingard Schewe-Gerigk, pflichtete ihr bei: "Das ist nicht nur ein wichtiger Tag für die Prostituierten, es ist auch ein guter Tag für die Demokratie."
Davon jedoch wollte die CDU/CSU nichts wissen: Die Abschaffung der Sittenwidrigkeit sei eher "ein falsches Signal", formulierte etwa die Abgeordnete Maria Eichhorn. Der Gesetzentwurf biete keinerlei Verbesserungen oder Alternativen, kritisierte sie. Und Schluss mit der Doppelmoral sei nun schon gar nicht: "Er zementiert sie", befand Eichhorn und gab zu bedenken, dass mit der Abschaffung der Sittenwidrigkeit der Strafverfolgung ein wichtiges Instrument aus der Hand geschlagen würde, um gegen die Ausbeutung von Prostituierten durch Zuhälter vorzugehen.
Meilenstein oder falsches Signal? Die, die das neue Gesetz wirklich betraf, klangen jedenfalls nicht euphorisch: Uta Falk, Mitarbeiterin der Hurenorganisation Hydra, lobte zwar, das Gesetz sei ein "erster Schritt in Richtung Entdiskriminierung der Prostitution". Sie kritisierte aber auch, dass Prostitution immer noch nicht wie ein normaler Beruf behandelt werde. Mimikri, die Beratungsstelle der Diakonie Oberbayern, monierte zudem, dass weiterhin die Sperrgebietsverordnung und das Werbeverbot beibehalten würden. "Wie soll sich eine Frau als Prostituierte selbständig machen, wenn sie nicht, wie jeder andere Selbständige, Werbung machen darf?", hieß es. Noch deutlicher formulierte Juanita Henning vom Frankfurter Verein Dona Carmen ihre Kritik: Das Gesetz sei eine "Mogelpackung", ein von "erheblichem Realitätsverlust gekennzeichnetes Schaufenstergesetz", klagte sie.
In der Tat, das neue Prostitutionsgesetz hatte deutliche Schwächen: Das Problem der illegal arbeitenden ausländischen Prostituierten, die schon damals etwa rund die Hälfte der Huren ausmachten, wurde nicht berücksichtigt. Als schwierig erwies sich auch das im Gesetz festgeschriebene Weisungsrecht für die Arbeitgeber von Prostituierten. Danach sollten Arbeitgeber zwar über Ort und Zeit bestimmen, jedoch nicht über Art der Leistungen und die Auswahl der Kunden. Eine gutgemeinte Einschränkung, die die Rechte der Prostituierten stärken sollte, sich in der Praxis jedoch als wenig tauglich erwies: "Ein Bordellbesitzer dürfte nicht mal rote Wäsche verlangen oder den Frauen Barhocker zuweisen", monierte so auch Karin Topper, "schon das könnte man ihm nach wie vor als Zuhälterei auslegen. Wer macht das schon mit?"
Mit einem weiteren Problem hatte die rot-grüne Koalition offensichtlich nicht gerechnet: dass die Prostituierten selbst es bevorzugen könnten, weiterhin in der rechtlichen Grauzone zu arbeiten. Zwei Jahre nach Inkrafttreten des Prostitutionsgesetzes meldeten Bundesversicherungsanstalt und Krankenkassen, die Anmeldungen von Prostituierten tendierten "gegen Null". "Die Frage ist, ob ich am frühen Morgen 200 Euro schwarz oder 90 Euro versteuert haben will", erläuterte dazu eine Hure dem "Spiegel". Den Freierlohn vor Gericht einzuklagen sei ebenso "eine völlig verrückte Idee", meinte eine andere: "Wer nicht mit Vorkasse arbeitet, ist einfach zu blöd für diesen Job." In seltener Einmütigkeit urteilten Prostituierte wie Polizisten und Juristen, das Gesetz "gehe an der Wirklichkeit vorbei".
Viel Kritik für eine gutgemeinte Reform. Wie sich das Prostitutionsgesetz tatsächlich in der Praxis bewährt, ist aber noch nicht bekannt. Eine Begleitstudie, die schon drei Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes veröffentlicht werden sollte, liegt noch nicht vor. Das soll jetzt nachgeholt werden: Im September gab das Frauenministerium drei Gutachten in Auftrag, die das Gesetz endlich bewerten sollen.