Dieser Umstand, das plötzliche Bejahen eines deutschen Patriotismus und dessen positive Differenzierung vom Nationalismus erstaunt außerordentlich, schien doch der Patriotismus-Begriff über Jahrzehnte hinweg aus dem bundesrepublikanischen Wortschatz nahezu verschwunden. Dem "Patriotismus" haftete etwas Anrüchiges, etwas Gestriges, nichts Aufgeklärtes, nichts Pragmatisches, geschweige denn Pro-Europäisches an. Allenfalls mit dem Präfix der "Verfassung-" mochten viele den Patriotismus für verträglich und angesichts der nationalsozialistischen Erfahrung für ungefährlich halten, obwohl der "Vater" des Begriffs "Verfassungspatriotismus", Dolf Sternberger, diesen nicht als Substitut eines nationalen Patriotismus, vielmehr als Erweiterung eines solchen verstanden wissen wollte.
Doch bei Jürgen Habermas, der diesen Begriff im Zuge des so genannten Historikerstreits adaptierte und popularisierte, avancierte "Verfassungspatriotismus" zu einem strikt a-nationalen, universalistischen Konzept politischer Identität, das mit "Vaterlandsliebe" nichts mehr zu tun hatte. Als Horst Köhler unmittelbar nach seiner Wahl zum Bundespräsidenten in signifikanter Entgegensetzung zu Habermas' Konzept, aber auch zu Gustav Heinemanns überlieferter Aussage, er liebe nicht sein Land, er liebe seine Frau, bekannte, er seinerseits liebe sein Land, stieß dieses Bekenntnis auf mancherlei geschichtspolitische Einwände, zumal bei jenen, die Vaterlandsliebe beziehungsweise Patriotismus mit Nationalismus gleichsetzen. Doch kann man das?
Wie verhalten sich Patriotismus und Nationalismus zueinander, kaschieren semantische Unterschiede eine sachliche Identität? Tatsache ist, dass sich Patriotismus und Nationalismus, obwohl beide auf die Nation bezogen sind, wesentlich unterscheiden. Patriotismus bezeichnet im neuzeitlichen Kontext ein aufgeklärtes sozialpolitisches Verhalten, in dem nicht die eigenen, individuellen Interessen oder die einiger weniger Mitglieder einer politischen Gemeinschaft handlungsleitend sind, sondern das Wohl aller Mitglieder, das Gemeinwohl. Patriotismus kann, im Bewusstsein seiner antiken Wurzeln und der mittelalterlich-neuzeitlichen Naturrechtsrezeption, als politische Tugend verstanden werden, deren Vorhandensein eine zentrale Voraussetzung für das Entstehen und die dauerhafte Existenz des modernen, säkularen Rechts- und Verfassungsstaates darstellt. Der Patriotismus, dem neben der rationalen auch eine emotionale Dimension zu eigen ist, bezieht sich politisch stets auf eine konkrete, partikulare patria und weist zugleich mit dem Postulat allgemeiner Menschen- und Bürgerrechte universalistisch über diese hinaus.
Als Patriot im Bewusstsein der Aufklärung und des modernen Nationsdenkens gilt derjenige, der sich national engagiert und unter Beachtung klassischer Tugenden wie Respekt und Gerechtigkeit sein diesbezügliches Handeln am Gemeinwohl eines konkreten nationalen Verbandes ausrichtet. Damit vermag er zu einem Ausgleich von Partikularismus - eben dem je spezifischen nationalen Verband - und Universalismus - eben der Beachtung universaler, naturrechtlicher Normen im Sinne allgemeiner Menschen- und Bürgerrechte - beizutragen, ohne dabei, und dieser Aspekt ist wesentlich, die anderen Vaterländer zu missachten, was wiederum für einen Nationalisten selbstverständlich ist.
Die idealisierte Überbewertung der eigenen Nation sowie das Postulat innergesellschaftlicher Homogenität gehören zum Wesenskern und zur Physiognomie des Nationalismus als eines der "mächtigsten sozialen Glaubenssysteme des 19.und 20. Jahrhunderts" (Norbert Elias). Antifreiheitlich und latent gewaltsam nach innen wie nach außen, verabsolutiert der Nationalismus die Affirmation einer konkreten Nation auf Kosten der Freiheiten und Heterogenität ihrer Bürger. Er lehnt zudem eine prinzipielle Gleichwertigkeit aller Nationen und Bürgerschaften ab.
Wem diese begriffliche Differenzierung und inhaltliche Unterscheidung von Patriotismus und Nationalismus im Lichte der deutschen Geschichte und der nationalsozialistischen Diktatur allzu spitzfindig anmutet und dabei auf die Tragik eines missbrauchten Patriotismus vieler Deutscher im Dienst von "Führer und Vaterland" verweist, wird sich gleichwohl mit dem Umstand auseinandersetzen müssen, dass der Patriotismus, soweit er von Hitler rhetorisch eingesetzt und funktional instrumentalisiert wurde, ein pervertierter, ein seines Wesensgehaltes entfremdeter, war. Hitler war mit seiner Verachtung des Humanismus, des Natur- und Grundrechtsdenkens, mit seiner Zurückweisung aller Errungenschaften der europäischen Geistesgeschichte in keiner Weise dem Ethos des Patriotismus verpflichtet. Dies jedoch waren all jene, die aus antitotalitärer Überzeugung in ihrem Dienst für das Vaterland, für das "andere Deutschland" gegen das NS-Regime kämpften - für das eigene Land.
Claus Schenk Graf von Stauffenbergs Attentatsversuch auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 symbolisiert exemplarisch, dass die Legitimitätsverweigerung gegenüber einer despotischen Herrschaft ebenso wie der eigene, heroische Einsatz zum Wohl des Gemeinwesens, aufeinander bezogene Aspekte einer abendländischen Tradition des Patriotismus-Gedankens darstellen. Zu ihr gehört Horatz' "dulce et decorum est pro patria mori" ("Süß ist's und ehrenvoll fürs Vaterland zu sterben") ebenso wie La Bruyères "Il n'y a point de patrie dans le despotisme". Frei übersetzt: Es gibt kein Vaterland im Despotismus.
Patriotismus verweist auf die Selbstverpflichtung des Bürgers, für sein eigenes (Vater-)Land, in das er entweder geboren wurde oder für das er sich willentlich entschieden hat, tätig einzustehen - im Alltäglichen und Kleinen ebenso wie in Ausnahmensituationen, wenn es um das große Ganze geht: die Verteidigung und Zukunftssicherung der Nation als staatlich-verfasster Bewusstseinsgemeinschaft aller Bürgerinnen und Bürger.
Patriotismus meint damit mehr als eine unverbindliche Schwärmerei für politische Symbole, so wichtig diese für ein Zusammengehörigkeitsempfinden einer heterogenen Bürgerschaft sind. Patriotismus weist damit über eine vor-politische Heimatverbundenheit hinaus, ohne diese existenzielle Dimension des Menschen zu negieren. Patriotismus erschöpft sich erst recht nicht in sterilen politisch-akademischen und feuilletonistischen Debatten über die Notwendigkeit, Berechtigung und Zukunftsfähigkeit desselben. Patriotismus meint nicht Reden, sondern Handeln: freiwilliges solidarisches Gemeinwohlhandeln der Bürger. So banal dies klingt, so existentiell ist der freiheitliche, säkulare Verfassungsstaat auf dieses Handeln angewiesen. Schließlich beruht er, darin hat Ernst-Wolfgang Böckenförde Recht, auf Voraussetzungen, die er selbst nicht zu garantieren vermag. Eben dies kann der Patriotismus.
Er trägt zur Sicherung dieser Voraussetzungen und zur Stabilität der Fundamente wesentlich bei und erweist sich damit als ebenso zeitgemäß wie zukunftsträchtig, wenn es darum geht, ein Leben der Menschen in Verschiedenheit und Vielfalt geeint, weltoffen und jenseits nationalistischer Borniertheit und Hybris zu ermöglichen.
Der Autor ist Privatdozent und Geschäftsführer des Instituts für Politische Wissenschaften und Soziologie der Universität Bonn.