Patriotismus - mit diesem von den Nazis diskreditierten Begriff tun sich die Deutschen seit 1945 schwer. Der Fremdwörterduden von 1990 definiert Patriotismus als "begeisterte Liebe zum Vaterland, gefühlsmäßige Bindung an Werte und kulturhistorische Leistungen des eigenen Volkes beziehungsweise der eignen Nation". Nach NS-Gewaltherrschaft, Zweitem Weltkrieg und Holocaust hatten viele Deutsche das Gefühl, dass man sich keine Vaterlandsliebe mehr leisten könne.
Deshalb stellte der erste Bundespräsident Theodor Heuss in seiner Antrittsrede vom 12. September 1949 fest: "Wir stehen vor der großen Aufgabe, ein neues Nationalgefühl zu bilden." Er warnte mit Blick auf die jüngste Vergangenheit davor in Ressentiments stecken zu bleiben oder in nationale Hybris auszuweichen. Dass der deutsche Patriotismus in einen obrigkeitsstaatlichen und extremen Nationalismus umgeschlagen sei, führte Heuss darauf zurück, dass die Freiheitsbewegungen des Vormärz und der bürgerlichen Revolution von 1848/49 gescheitert seien und die Demokratie in Deutschland nicht von innen heraus erkämpft worden sei.
Tatsächlich hatte der Patriotismus der Paulskirche, der, wie schon 1841 von Hoffmann von Fallersleben im "Lied der Deutschen" besungen, nach "Einigkeit und Recht und Freiheit" strebte, nichts mit dem nationalistischen und militaristischen Patriotismus des Wilhelminischen Kaiserreiches zu tun, das unter Wilhelm II. unter anderem mit Kolonialpolitik und Flottenrüstung Deutschland "einen Platz an der Sonne" sichern wollte. Das Ergebnis war der obrigkeitsstaatlich gelenkter "Hurrah-Patriotismus" eines wirtschaftlich erfolgreichen, aber politisch machtlosen Bürgertums. Diese Geisteshaltung, die nicht nur von dem 1891 gegründeten Alldeutschen Verband propagiert wurde, und die Reformunfähigkeit der politischen Eliten führten in die Katastrophe des Ersten Weltkrieges und besiegelten den Untergang der deutschen Monarchie.
Dabei war der Patriotismus, den der Politikwissenschaftler Volker Kronenberg als "sozialpolitische Gesinnung, die das Gemeinwohl im Blick hat" definiert, in seinen Ursprüngen eine ausgesprochen fortschrittliche Geisteshaltung. Der Begriff entstand während der Aufklärung des 18. Jahrhunderts und war zunächst eine reine Elitenbewegung, der es um die Reformierung und Modernisierung des Staates ging. "Wie ruhig, wie glücklich würde Deutschland alsdann sein, wenn ein Berliner Wien, ein Wiener Hannover, ein Hesse Mainz als sein Vaterland lieben lernte", meinte etwa der Rechtsgelehrte Friedrich Karl von Moser (1723 bis 1798) in seiner Schrift "Vom deutschen Nationalgeist". Die Vision eines deutschen Patriotismus stellte im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, das um 1780 aus mehr als 300 Einzelstaaten bestand, eine revolutionäre Vision dar. Eine Vision, die Josef von Sonnenfels in seiner Schrift "Über die Liebe des Vaterlands" 1771 mit der demokratischen Vision eines Bürgers verband, der "Anteil an der Gesetzgebung" habe und so "einen gewissen Stolz" fühle und deshalb "mit Freude in die Beratschlagung der Nation" eintrete.
Der Patriotismus war in seiner aufgeklärten Phase also das Gegenbild zum absolutistischen Gottesgnadentum. Kein Wunder also, das der Theologe und Philosoph Peter Vilaume 1794 in seiner Schrift "Über Patriotismus und Kosmopolitismus" an die deutschen Fürsten gewandt schrieb: "Aber ihr möchtet es nicht, dass wahrer Patriotismus unter den Völkern entstünde. Dazu kennt ihr eure eigenen Vorteile viel zu gut. Ihr fühlt wohl, dass wahre Vaterlandsliebe mit eurem Despotismus unverträglich ist. Ihr begreifet wohl, dass Bürger, vermöge der Vaterlandsliebe, aneinander hängen, nicht leicht zu beherrschen sein mögen und sich andere Anschläge als Gemeinwohl sicher nicht gefallen lassen würden."
Obwohl der deutsche Patriotismus mit Blick auf die Überwindung der napoleonischen Fremdherrschaft eine nationalistischere Färbung erhielt, blieb er doch bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts der Hoffnungsträger für eine nationale Einheit Deutschlands unter den Vorzeichen von Freiheit und politischer Mitbestimmung. In diesem Sinne beschrieb der Philosoph Johann Gottlieb Fichte in seiner Rede an die Deutschen 1806 das Ziel der Vaterlandsliebe damit, dass sie "das Aufblühen des Ewigen und Göttlichen in der Welt" wolle und die Deutschen deshalb auch für andere Völker "Hoffnungsträger des Fortschritts und der Vervollkommnung" seien.
Sowohl die burschenschaftlichen Studenten, die sich 1817 auf der Wartburg versammelten, als auch die Teilnehmer des Hambacher Festes (1832) verstanden sich als deutsche Patrioten, die sich nach dem Ende der napoleonischen Fremdherrschaft 1815 von der Restauration der deutschen Einzelstaaten um ihr Recht auf nationale Einheit und Freiheit betrogen sahen. So schrieb Johann Jakob Siebenpfeiffer zwei Jahre nach dem Hambacher Fest: "Eine Staatsordnung will ich, die jene Freiheit und Gesetzlichkeit verschafft, deren die heutigen Völker bedürfen und wonach sie ringen werden, bis sie erlangt ist. Auf sie habe ich meinen Glauben gesetzt, weil sie die kühnsten Träume der edelsten Menschen aller Zeiten verwirklicht, weil sie von der Vernunft geboten, von den reinsten Patrioten ersehnt, von allen aufgeklärten Bürgern erwartet wird, weil sie die Geburt ist, welche die Gegenwart im Schoße trägt." Bereits 1832 hat der liberale Jurist und spätere Paulskirchen-Parlamentarier Paul Pfizer die Hoffnung der deutschen Patrioten so formuliert: "Die Nationen sind jetzt das geworden, was früher die Monarchien oder Dynastien waren. Die Nationalunterschiede werden nicht aufhören, aber Nationalität und persönliche Freiheit müssen forthin Hand in Hand gehen."
Dass diese Hoffnungen weder 1848 noch 1871 erfüllt wurden, ermöglichte erst die Pervertierung des Patriotismus, die von den Nationalsozialisten auf die Spitze getrieben wurde. Bereits in ihrem Parteiprogramm von 1920 sprachen die Nazis den deutschen Juden ihre staatsbürgerlichen Rechte ab. Und Adolf Hitler schrieb in seiner Hetzschrift "Mein Kampf" 1923/24 von der "Nationalisierung unserer Masse", und vom "Kampf um die Seele des Volkes", der nur gelingen könne, wenn "ihre internationalen Vergifter ausgerottet werden". Im Gegensatz dazu formulierte Claus Schenk Graf von Stauffenberg 1944 die patriotische Motivation des Widerstandes gegen Hitler so: "Wir wollen eine neue Ordnung, die alle Deutschen zu Trägern des Staates macht und ihnen Recht und Gerechtigkeit verbürgt."
Nach 1945 wurde der Patriotismus der Deutschen vor allem beschworen, wenn es zum Beispiel der SED in der Gründungsphase der beiden deutschen Staaten darum ging, mit patriotischen Einheitsappellen die Westbindung der Bundesrepublik zu verhindern oder wenn es im Westen Deutschlands, etwa in der Diskussion über sozialliberale Ostpolitik oder im Gedenken an die Opfer des 17. Juni 1953 darum ging, das Staatsziel Wiedervereinigung zu manifestieren. Eine wohl bis heute zeitgemäße Definition prägte der Politikwissenschaftler Dolf Sternberger 1979 mit dem Begriff Verfassungspatriotismus, der davon ausgeht, dass der Zusammenhalt unseres Gemeinwesens nicht nur auf nationalen, sprachlichen, historischen und kulturellen Gemeinsamkeiten, sondern auch auf dem Bekenntnis zu gemeinsamen verfassungsrechtlichen und politischen Werten beruht.
Betonte Bundespräsident Richard von Weizsäcker bereits in seiner Antrittsrede vom 1. Juli 1984, dass es für die Deutschen "ungesund" und für ihre Nachbarn "unheimlich" wäre, wenn man sich ein Nationalgefühl versage, so stellte sich die Patriotismusfrage nach der unter den revolutionären Rufen "Wir sind das Volk" und "Wir sind ein Volk" errungenen Wiedervereinigung neu. Und so forderte Weizsäckers Amtsnachfolger Roman Herzog nach seiner Wahl am 23. Mai 1994 die Deutschen auf, unverkrampfter mit ihrem Land und seiner neuen Rolle in der Welt umzugehen. Dazu gehört auch die Positionierung in einer globalisierten Wirtschaft, die grenzüberschreitende Arbeitsplatzverlagerungen ermöglicht und wohl nicht nur deutschen Unternehmern zuweilen den politischen Vorwurf einträgt, unpatriotisch zu handeln.
Der Autor arbeitet als Journalist in Mülheim an der Ruhr.