Auf dem Parteitag der PDS im Oktober 2000 in Cottbus hatte Gabi Zimmer, die dort zur Parteivorsitzenden gewählt wurde, in ihrer Rede eine Passage zu Deutschland, die anschließend innerlinke Debatten auslöste. Sie hatte gesagt: "Deutschland könnte schön sein. Ich liebe es und hasse zugleich die Dinge, die es arrogant, laut und hässlich erscheinen lassen. Ich bekämpfe nicht Deutschland, sondern weil ich es liebe, weil ich möchte, dass es ein menschliches, kulturvolles, gebildetes Land auch in den Augen anderer wird, bekämpfe ich das, was Deutschland nicht als gutes Deutschland blühen lässt... Ganz im Brechtschen Sinne." Letzteres bezog sich auf das Parteitagsmotto: "... dass ein gutes Deutschland blühe", eine Zeile aus Brechts Kinderhymne. Dort heisst es weiter: "...wie ein andres gutes Land" und ausdrücklich: "Und nicht über und nicht unter/ Andern Völkern wolln wir sein". Der Text war von Brecht auch als Angebot für die Nationalhymne 1949 gedacht und wurde 1989, in der Zeit des Runden Tisches, nochmals diskutiert, als Alternative nicht nur zu der früheren DDR-Nationalhymne, sondern auch zum Fortsingen des "Deutschlandliedes".
In den Turbulenzen jener deutschen Wende- und Vereinigungszeit hatte dies natürlich keine Chance auf Realisierung. Eines aber ist dieser Brecht-Text nicht: nationalistisch. Genau dies jedoch war die Unterstellung etlicher Kritiker, die sich als "wahre Linke" oder "links" von der PDS verstanden. Schon die Formel: "Liebe zu Deutschland" schien bei manchen Schreibern antideutschen Ekel zu erregen. Das Herz schlage "deutsch", und das sei an sich bereits von Übel. Carsten Hübner, damals Bundestagsabgeordneter, schrieb einen "Offenen Brief", in dem er fragte, was die ganze Diskussion überhaupt solle. Was bedeute Nation, was Deutschland? "Dass es ein Land mit dem Namen Bundesrepublik Deutschland gibt, ist allgemein bekannt. Dass wir dessen Bürger sind und dass die PDS hier in den Parlamenten sitzt, auch. Aber was dieses Deutschland, diese Nation, dieses Volk und nicht etwa diese Gesellschaft, diese Republik und diese Bevölkerung, zum Bezugspunkt linker Politik machen soll, das habe ich nicht verstanden. Den Rechten jedenfalls werden wir nicht das Wasser abgraben, wenn wir anfangen, ihre Begriffe zu übernehmen, schließlich reden CDU/CSU und extreme Rechte unentwegt über und mit diesen Begriffen." Angela Marquart, damals ebenfalls Bundestagsabgeordnete, ließ verbreiten: "Im Gegensatz zu Rechten kämpfen Linke für gesellschaftliche Selbstbestimmung, nicht für nationale. Daher ist jede Deutschtümelei für eine linke Partei absolut inakzeptabel. Nationale statt gesellschaftliche Identität - das ist die Büchse der Pandora, aus der völkisches Denken und Rassismus erwachsen." Von der "Basis" klang es weniger scharf, aber in der Sache ähnlich: "Haben wir als SozialistInnen keine wichtigeren Probleme, als unsere Liebesverhältnisse zu abstrakten Nationen zu thematisieren?"
Einige Intellektuelle im Umfeld der PDS hatten bereits seit Anfang der 90er-Jahre gefordert, die Frage der Nation zu diskutieren, schließlich hatten sowohl die deutsche Vereinigung als auch der Zerfall des Ostblocks und dann die Zerfallskriege Jugoslawiens gezeigt, dass dies kein erledigtes Thema ist. Das "Neue Deutschland" führte 1994 eine Debatte zum Thema: "Die Linke und die Nation", die ohne ein nachhaltiges Ergebnis endete. Der Berliner Philosoph Peter Ruben lehnte in seinem Resümee das Zusammenfallen von Nation und kapitalistischer Warenproduktion ab. Die darin liegende politische Chance wurde jedoch nicht weiter thematisiert. Die Zeitung "Freitag" diskutierte 2002 im Anschluss an Gabi Zimmers Äußerung das Thema mit analogem Resultat: Es brauche angesichts der Globalisierung der Produktion und des Kapitals eine Globalisierung der Solidarität, es brauche Orte des Widerstandes. Ob jedoch die Nation ein solcher Ort sein kann, blieb umstritten.
Die Fußball-Weltmeisterschaft brachte im Sommer dieses Jahres eine zuvor ungekannte Flut schwarz-rot-goldener Fan-Artikel und Fahnen an Autos und Balkonen. Von konservativer Seite wurde nun auf einen "neuen Patriotismus" gesetzt, etliche Linke versuchten, dies nahezu reflexartig abzulehnen; von "Nationalismus" war die Rede. Vielleicht aber sind die Dinge einfacher: Fußballanhänger, die sonst mit Fahnen, Schals und Hemden von Bayern München, Hertha BSC oder Energie Cottbus herumlaufen, taten dies jetzt mit Schwarz-Rot-Gold, weil die Nationalmannschaft der universalisierte Gesamtverein ist. Das wäre die schlichte, sportive Antwort.
Gregor Gysi, Fraktionsvorsitzender der Linken im Deutschen Bundestag, plädierte für ein gelassenes Herangehen. "Hier entsteht im Verhältnis zur eigenen Nation zum ersten Mal etwas Normales, Unverkrampftes, Souveränes." Ein unverkrampftes nationales Band trage dazu bei, dass alle in der Gesellschaft sich für das Ganze verantwortlich fühlten. "Der totalitäre Antikommunismus auf der rechten Seite hat das bislang genauso verhindert wie der totalitäre Antinationalismus bei einem Teil der Linken." Allerdings meinte er, letzteren bei den Älteren ausmachen zu können, während die jüngere Generation eher für das Unverkrampfte stehe. Hier irrte Gysi. Es war die 20-jährige sächsische Landtagsabgeordnete Julia Bonk, die in einer Kampagne versuchte, je drei Deutschlandfahnen gegen ein T-Shirt von Die Linke.PDS zu tauschen. Die Farben Schwarz-Rot-Gold stünden für eine ausgrenzende nationale Zusammengehörigkeit. Andere Linke entgegneten, dies sei eine "verheerende Fehlleistung unserer Antipatrioten". Schwarz-Rot-Gold seien die Farben der Demokratie in Deutschland; die Kriege des 20. Jahrhunderts seien von den Deutschen unter Schwarz-Weiß-Rot geführt worden.
Trotz solcher Fehlleistungen bleibt für die Linke ein kritischer Blick bestimmend. Sie will Sozialabbau und wachsende soziale Probleme nicht mit einem patriotischen Mäntelchen verhüllen lassen. Ihr gilt Patriotismus zunächst als etwas, was die Mächtigen benötigen, damit sie die Menschen zu Handlungsweisen bewegen, die nicht ihren Interessen entsprechen. Die weiteren Diskussionen darum werden auch in die jetzigen Debatten um das Programm der neuen Linkspartei eingehen.
Der Autor ist Mitarbeiter im Bereich Politikanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Berlin.