Auch nach Vollendung der Einheit gilt: In Deutschland ist der Patriotismusbegriff nicht einfach zu definieren. Vielen ist Deutschland noch immer ein "schwieriges Vaterland", auch wenn anlässlich der Fußball-WM allenthalben - im In- wie im Ausland - mit freudiger Erleichterung ein "unverkrampfter Umgang" der Deutschen mit ihren Nationalsymbolen konstatiert wurde.
Ablesbar ist dies an den immer wieder auflebenden Debatten, die in den Feuilletons der Republik um das Selbstverständnis der Deutschen geführt werden. Verweisen die einen kritisch auf eine Re-Nationalisierung etablierter Diskurse, werten andere dies als Normalisierungstendenz. Eine vorsichtige Interpretation legen Umfragen nahe, die im internationalen Vergleich einen zurückhaltenden Nationalstolz der Deutschen ermittelten. Demoskopische Momentaufnahmen im Umfeld der WM ergaben, dass ein erstarkender Patriotismus durchaus positiv wahrgenommen, aber von den Befragten nicht unbedingt als dauerhaftes Phänomen eingeschätzt wurde.
Auffallend ist aber auch: Patriotismus hat Konjunktur in der Politik, vor allem in tagesaktuellen Äußerungen. Teilweise ist der Begriff auch in den Grundsatzdebatten der (Volks-)Parteien präsent. Zum einen oszilliert die Wertedebatte - zugespitzt in der Auseinandersetzung um die "deutsche Leitkultur" - um Aspekte des kulturellen Selbstverständnisses der Deutschen in Europa.
Im Kern geht es dabei um die Frage, was die moderne, plurale Gesellschaft heute und in Zukunft zusammenhält. Zum anderen wird in der anhaltenden Reformdebatte vermehrt auf patriotische Begründungsmuster zurückgegriffen. Bundespräsident Horst Köhler erklärte schon bei seiner Wahl vor der Bundesversammlung: "Patriotismus und Weltoffenheit sind keine Gegensätze." Seither betont er immer wieder seine Liebe zu "unserem Land", die er als Triebkraft für notwendige Reformanstrengungen und die Erneuerung Deutschlands versteht.
Eine neue Tendenz ist insofern zu erkennen, als Parteipolitiker unterschiedlicher Couleur Patriotismus als Legitimationsfaktor bemühen. Mehrfach wurde dies im Verlauf der anhaltenden Reformdiskussion deutlich. Einen Höhepunkt erlebte dieses Argumentationsmuster Ende 2004, als die CDU-Vorsitzende Angela Merkel im Vorfeld des Düsseldorfer Bundesparteitags feststellte: "Reformen und Patriotismus sind für mich zwei Seiten einer Medaille." Ganz ähnlich der Appell von CSU-Generalsekretär Markus Söder: "Wenn wir Reformen machen wollen, brauchen wir einen Mannschaftsgeist (…) Und dieser Mannschaftsgeist ist der Patriotismus." Patriotismus wird damit stilisiert zum Reformmotor. Er dient aber auch als Kampfbegriff, wenn das Versagen der Arbeitsmarktpolitik als "sozialdemokratischer Patriotismus" (A. Merkel) gebrandmarkt oder der Opposition aufgrund des von Deutschland gezeichneten Negativbildes "unpatriotisches Handeln" (U. Benneter) vorgeworfen wird. Bundeskanzler Schröder zeigte sich seinerzeit unaufgeregt: "Patriotismus ist das, was ich jeden Tag tue."
Einschneidende Reformmaßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit oder aber die Treue zum Standort Deutschland werden gleichermaßen zur patriotischen Pflicht erklärt. Politiker beider Lager versuchten daher auch die Wirtschaft in die Verantwortung zu nehmen. So erklärte Gerhard Schröder Arbeitsplatzverlagerungen bereits im März 2004 zum "unpatriotischen Akt".
Aber auch der damalige CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer reagierte auf Standortverlagerungen großer Unternehmen wenige Monate später mit der Forderung: "Der Patriotismusgedanke gehört auch in die Chefetagen." Das populistische Potenzial der Vokabel Patriotismus tritt in solchen Äußerungen deutlich hervor.
Patriotismus ist zudem geeignet, Gemeinschaft stiftende Wir-Gefühle zu stimulieren. Von besonderem Interesse erscheinen in diesem Zusammenhang die Deutungsangebote der Volksparteien, die sich derzeit allesamt mitten in einer Grundsatzprogramm-Diskussion befinden. Gemeinsam ist ihnen außerdem, dass programmatische Traditionsbestände zur Disposition stehen und Stammwählermilieus erodieren. Gerungen wird nicht nur um überzeugende Lösungskonzepte zu drängenden sozio-ökonomischen Problemen, sondern auch um Werte und Prinzipien, die das eigene Selbstverständnis begründen.
Die Unions-Parteien legen traditionell den nachhaltigsten Akzent auf das Patriotismusthema. So gehört das gemeinsame Singen der Nationalhymne zum festen Parteitagsritual der CDU. Patriotismus als Bekenntnis zur Einheit der Nation war ebenso stets Prämisse. Auffallend ist dennoch, dass der Begriff offenbar nicht selbsterklärend ist. So lassen sich Abgrenzungen von negativ konnotierten Begriffen wie zum Beispiel "Hurra-Patriotismus" (Bundesparteitag 1981) finden; oder es wird klar gestellt: "Patriotismus ja, Nationalismus nein!" (Bundesparteitag 1962). Vor allem aber wurde der Patriotismusbegriff in programmatischen Dokumenten und Parteitagsreden immer wieder mit erläuternden Adjektiven versehen. Das Spektrum reicht unter anderem vom "demokratischen" über den "richtig verstandenen", einen "deutschen und europäischen" sowie "aufgeklärten", "gelebten", "modernen", "weltoffenen" bis zum "zukunftsgewandten" Patriotismus.
In der aktuellen Grundsatzprogramm-Diskussion steht die Leitfrage "Was ist unsere Identität als Christliche Demokraten?" ganz obenan. Aspekte des Patriotismus werden in diesem Zusammenhang erörtert, bilden aber eher einen Randaspekt. Im Zentrum stehen vielmehr Fragen der Erneuerung der sozialen Marktwirtschaft als ein wesentliches Fundament des christdemokratischen Selbstverständnisses. In diesem Sinne heißt Patriotismus für die Parteivorsitzende, "sich dafür einzusetzen, dass das eigene Land vorankommt, dass Deutschland auch im Ausland als Erfolgmodell gesehen wird". Im Vergleich dazu erweist sich für die CSU die enge Verknüpfung mit dem Heimatgedanken als prägend; es ist die bayerische Komponente, die sie von der Schwesterpartei unterscheidet. Die "Liebe zur bayerischen Heimat und zum deutschen Volk" sollen auch in der aktuellen Grundsatzprogrammdiskussion eine wichtige Rolle spielen. Eng verknüpft wird dies mit sozialen Fragen. Ein "gesunder deutscher Patriotismus" ist nach Joachim Hermann, CSU-Fraktionsvorsitzender im bayerischen Landtag, zugleich "die beste Prävention gegen übersteigerten Nationalismus".
Die Sozialdemokraten wiederum - von Gegnern in früheren Zeiten und gelegentlich auch heute als "vaterlandslose Gesellen" geschmäht - stehen eher in der Tradition des Internationalismus und der Solidarität denn des Patriotismus. Gleichwohl zeigt die schon angeführte Bemerkung Schröders, dass es kaum Berührungsängste gibt, wenn es darum geht, die eigene Reformpolitik als patriotische Kraftanstrengung zu vermitteln. In den Leitsätzen zur Grundsatzprogramm-Diskussion sucht man die Vokabel indes vergeblich. Ebenso wie in der CDU wird die Grundsatzdebatte von der Wertetrias Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität bestimmt.
Die kleineren Parteien sind ohnehin weniger darauf angewiesen, die breite Bevölkerung anzusprechen. Sie können sich stärker auf die eigene Wählerklientel konzentrieren. Weder die FDP, noch die Grünen und Die Linke.PDS rekurrieren in ihren programmatischen Aussagen auf einen deutschen Patriotismus. Die Grünen bekräftigen vielmehr in ihren Thesen zur Zukunftsdebatte die Idee der "multikulturellen Demokratie", die auf Verfassungspatriotismus gegründet sei. Die FDP, die in ihrem Programm von 1997 die "liberale Bürgergesellschaft" ins Zentrum stellte, distanziert sich vom "etatistischen Patriotismus".
Die parteipolitische Debatte reflektiert zumindest eines: In Zeiten wachsender Orientierungslosigkeit breiter Wählerschichten besteht ein Bedarf an wertebezogenen Begründungen der Politik. Patriotismus lässt sich sinnstiftend instrumentalisieren, da er ganz unterschiedliche Wertedimensionen bündelt und emotionale Strahlkraft besitzt. Anscheinend wird der Begriff jedoch vornehmlich in tagesaktuellen Auseinandersetzungen benutzt. Nationalistische Überhöhungen werden von den etablierten Parteien dabei weittgehend vermieden.
Die Autorin arbeitet für das Centrum für angewandte Politikforschung (C.A.P.), München.