Sind Liberale patriotisch? Diese Frage hätte Liberale des 19. oder frühen 20. Jahrhunderts verstört. Selbstverständlich waren die Anhänger des Liberalismus in Deutschland Patrioten und dies aus ihrer Sicht mit weit mehr Recht als konservative Nationalis-ten. Denn die Liebe zum Vaterland hing für sie eng mit der Liebe zur Freiheit zusammen, da nur ein geeintes Deutschland ein freies Deutschland sein konnte und andersherum. "Freiheit und Einheit" waren die kräftigen Zugparolen liberaler Politik um 1850. Als später deutlich wurde, dass zwischen beiden Dingen durchaus ein Zielkonflikt bestehen konnte, hat dies zwar zu Irritationen und Spaltungen im Lager der Liberalen geführt. Aber egal, ob man nun der nationalen Einheit oder der inneren Freiheit den Vorrang zukommen lassen wollte, als Patrioten verstanden sich sowohl die Nationalliberalen, die das Parteimotto "Das Vaterland über den Parteien" hatten, als auch - etwas zurückhaltender - die Freisinnigen. Unbeeindruckt vom Ersten Weltkrieg rief 1919 der linksliberale Reichsminister Eugen Schiffer aus: "Wir sind national bis auf die Knochen."
Unübersichtlicher stellt sich das Bild nach dem Zweiten Weltkrieg dar. Theodor Heuss, vor 1933 eher national- als liberal-demokratisch, wollte die Identität der Deutschen nunmehr auf die durch Antike und Christentum geformte "abendländische Ordnung" gründen. Friedrich Middelhauve, Vorsitzender der nordrhein-westfälischen FDP, dagegen sah 1948 diese als "eine deutsche Partei, die dort zu stehen hat, wo die deutschen Belange liegen und zu vertreten sind". Solche Bekenntnisse zogen auch Leute an, die viel mit national und wenig mit liberal am Hut hatten. Seit Mitte der 1950er-Jahre gewann zwar der liberale Charakter der FDP eindeutig die Oberhand, aber noch 1959 schloss die Partei eine deutschlandpolitische Grundsatzerklärung mit der Formel: "Über den Parteiinteressen steht das Vaterland!"
Solche nationalliberalen Töne verloren sich während der 60-Jahre. Walter Scheel machte 1970 sogar die Bejahung der Ostverträge zur patriotischen Pflicht: "Wahrer Patriotismus begnügt sich nicht mit der pausenlosen Beschwörung vermeintlicher oder tatsächlicher Rechtspositionen, sondern nutzt die Gelegenheit, zu jeder Zeit aus jeder Situation das Beste für das eigene Land zu machen." Danach wurde es merklich still um den Patriotismus unter den Liberalen.
Selbst als1989/90 unerwartet eine deutschlandpolitische Euphorie aufkam, wurde dies von der damaligen Parteiführung kaum zu patriotischen Appellen genutzt; westdeutsche Opfer für den Osten wurden von Otto Graf Lambsdorff eher als zukunftsträchtige Inves-titionen denn als Ausfluss nationaler Solidarität begründet, und für Hans-Dietrich Genscher kennzeichnete "nicht überheblicher Nationalismus, sondern freiheitsbewusster Verfassungsstolz" die Bundesrepublik. Der von ostdeutschen Liberalen eingebrachte Appell, es gelte "ein deutsches Nationalgefühl neu (zu) gewinnen", stieß beim Hannoveraner Vereinigungsparteitag 1990 auf zwiespältige Resonanz.
Ein Jahrzehnt später, die FDP war nun in der Opposition und die Generation der genannten liberalen "Überväter" abgetreten, änderte sich das; zum zehnten Jahrestag der Wiedervereinigung stellte Wolfgang Gerhardt die FDP als die Partei dar, die immer einen "demokratischen Patriotismus glaubhaft entwickelt und erfolgreich vertreten" habe. Allerdings war auch Gerhardt noch eine gewisse Befangenheit hinsichtlich des Patriotismus-Begriffes anzumerken, etwa wenn er einige Zeit später an Gustav Stresemann die gelungene Verbindung von Patriotismus und Internationalismus lobte.
Wesentlich unbefangener hat sich diesbezüglich dann sein Nachfolger im Parteivorsitz gezeigt. Anfang 2001 veröffentlichte Guido Westerwelle einen Zeitungsbeitrag mit dem unmissverständlichen Titel "I'm proud to be a German", und in der Folgezeit rief er etliche Male dazu auf, "sich zum gesunden Patriotismus am eigenen Land zu bekennen". Wenn diese Position anfänglich vielleicht auch taktischen Überlegungen geschuldet war - der Patriotismus sollte zum einen nicht allein Rechtsradikalen überlassen sein, andererseits sollte eine klare Trennungslinie gezogen werden zu linken und grünen Berührungsängsten gegenüber "patriotischen Gefühlen" -, so ist doch unübersehbar, dass der Patriotismusbegriff seitdem bei den Liberalen neue Bedeutung bekommen hat. Westerwelle hat ihn wiederholt in die Diskussion gebracht und später auch betont, dass er den Patriotismus weniger emotional und stärker an Werte gebunden sehen wollte: Zu ihm "gehöre die Liebe zu den freiheitlichen Errungenschaften in Deutschland".
Neben dieser freiheitlichen Füllung des Patriotismus-Begriffs ist ein weiteres wichtiges Moment der aktuellen liberalen Diskussion die Ablehnung jedes "verordneten" Patriotismus gewesen, egal ob dies nun von der ehemaligen rot-grünen Bundesregierung, die von den deutschen Unternehmern mehr Patriotismus bei ihren Standortentscheidungen einforderte oder von der sächsischen CDU kam, die den Grundschulen patriotische Lieder verordnen wollte. Ähnlich kritisch stehen Liberale dem des öfteren von Unions-Seite aufgebrachten Begriff der deutschen "Schicksalsgemeinschaft" gegenüber.
Dagegen werden spontane patriotische Stimmungen, wie sie vor allem während der WM bemerkbar waren, von der FDP durchaus begrüßt, wie Guido Westerwelle im Bundestag feststellte: "Das ist aufgeklärter Patriotismus, das ist ein europäischer Patriotismus, der uns Deutschen auch gut tut. Das sind Weltoffenheit und Toleranz." In gleicher Weise haben auch andere jüngere Amtsträger der FDP wie Generalsekretär Dirk Niebel oder Christian Lindner, Generalsekretär der nordrhein-westfälischen Liberalen, das auffällige Tragen der Nationalfarben und Singen der Nationalhymne als "emotionalen Ankerpunkt" für Gesellschaft und Staat gut geheißen: "Als Freie Demokraten bekennen wir uns deshalb zu einem Patriotismus der liberalen Zivilgesellschaft, durch den sich Menschen mit unserer freiheitlichen Verfassung identifizieren und durch den sie unsere offene Gesellschaft mitgestalten", so der nordrhein-westfälische Generalsekretär. Anfang September hat dann sogar der "fröhliche und aufgeklärte Patriotismus" auf der Tagesordnung einer Klausur der FDP-Bundestagsfraktion gestanden, wozu der Vorsitzende ein Thesenpapier vorlegte.
Offen muss allerdings noch bleiben, inwiefern sich diese patriotischen Gefühle zu einem gerade von jüngeren Liberalen erhofften politischen "Wir-Gefühl" umwandeln und inwiefern aus dieser neuen "Verbundenheit mit der Heimat" eine "gehörige Portion Verantwortung gegenüber dem Staat" hervorgeht, wie im Thesenpapier zum Ausdruck kommt. Abzuwarten bleibt auch, ob und wie sich dieser schwarz-rot-goldene, zunächst sportlich begründete Patriotismus mit einem gemeinschaftlichen Wertegefühl "des Westens" verbindet, wie es etwa vom liberalen Vordenker Ralf Dahrendorf gefordert wird. Beides, der spontane schwarz-rot-goldene Patriotismus und - mehr noch - der bewusste "westliche" Patriotismus, ständen aber durchaus in Einklang mit der Tradition des deutschen Liberalismus.
Der Autor ist Mitarbeiter im Liberalen Archiv der Friedrich-Naumann-Stiftung in Gummersbach.