In fünf Verfassungen von CDU- und CSU-geführten Ländern nach 1945 ist zwar nicht der Begriff, wohl aber der Inhalt als Bildungsziel festgeschrieben, und nach der Wende fand "Heimatliebe" Eingang in die sächsische Verfassung. Konrad Adenauer beklagte 1960 "zu wenig Nationalgefühl", Eugen Gerstenmaier bekannte 1966: "Ich glaube, dass Vaterlandsliebe zur Humanität gehört." Wolfgang Schäuble plädierte in seinem Buch "Der Zukunft zugewandt" (1995) für ein "verinnerlichtes, positives und aufgeklärtes Verhältnis zur Nation". Immer wieder kamen vereinzelte Anstöße zu dieser Diskussion aus der Union (Wulf Schönbohm 1998, Friedrich Merz 2000, Laurenz Meyer im März 2001). Sie stießen allerdings sofort auf Spott oder Verdacht und verpufften rasch.
Das hat sich geändert, weil die gewohnten "Ersatzstoffe" als überholt gelten müssen. Seit Ende 2003 wird das Thema in der Union intensiv thematisiert, durch Jürgen Rüttgers, durch die Konrad-Adenauer-Stiftung, als Leitidee des CDU-Parteitags in Düsseldorf 2004, durch entsprechende Auftritte, Appelle, Interviews führender Unions-Politiker bis zum heutigen Tage. Roland Koch sprach auf dem CDU-Parteitag im März 2005 von "gesundem Patriotismus". Auch Jürgen Rüttgers und Edmund Stoiber forderten einen "aufgeklärten Patriotismus".
Helmut Kohl konstatierte: "Zum freien Atmen gehört das Bekenntnis zum eigenen Land." Die sächsische CDU beschloss im November 2005 einen entsprechenden Leitantrag, die hessische CDU-Fraktion beginnt eine Reihe: "Was uns leitet - Eckpfeiler einer bürgerlichen Kultur" und die Konrad-Adenauer-Stiftung wird in Kürze den Sammelband "Einigkeit und Recht und Freiheit" herausbringen.
Heute kann, ja muss, was damals unaussprechlich schien, durch political correctness wahrnehmungsblockiert war, ausgesprochen und wahrgenommen werden, denn es trifft einen Nerv der Zeit: Das 68er-Projekt einer postnationalen, multikulturell geläuterten und auf den Nationalsozialismus fixierten Identität zeigt Risse, der naive Glaube an eine multikulturelle Gesellschaftsästhetik ist gescheitert, die Nation revitalisiert sich innerhalb Europas als zumindest kulturelles Einheitssymbol, die eigene Trauergeschichte um Bombenkrieg oder Flucht und Vertreibung wird erzählbar, verpönte "Tugenden" kehren zurück, eine "Renaissance des Religiösen", gerade auch des Christlichen, ist unübersehbar. Zumal jene, die von einem neuen deutschen Nationalismus raunten, als Bundespräsident Horst Köhler (CDU) zu Beginn seiner Amtszeit seine "Liebe zum Vaterland" bekannte, durch die fröhliche Offenheit, Gastfreundschaft und den unbefangenen Symbolgebrauch während der WM 2006 glänzend widerlegt worden sind.
Die Deutschen haben mit ihren nationalen Gefühlen kein Problem, wie alle Umfragen zeigen. Es hat sich etwas Bahn gebrochen, was anderen als Selbstverständlichkeit gilt, auch nie verschwunden ist, was sich nur nicht öffentlich artikulierte: Aber was ist denn die tagtägliche Beschwörung, es müssten mehr Kinder in "deutschen" Familien geboren werden, anderes als subkutaner, aber tiefsitzender Tribalismus? Was sind Oskar Lafontaines "Fremdarbeiter" oder Franz Münteferings US-"Heuschrecken" denn anderes als ein Appell an nationale Abwehrinstinkte?
Schon hinter der "skurrilen Selbstinszenierung" als "Patriot" (Gerhard Schröder: "Patriotismus ist das, was ich jeden Tag tue") oder der Stigmatisierung welches anderen auch immer als "unpatriotisch", steckt mehr als der übliche Zank um die Besetzung positiver Begriffe: Sie suggeriert exklusiven Einsatz für das Gemeinwohl und offensive Vertretung von Eigen-, eben "deutschen Interessen", die man "vaterlandslosen Gesellen" absprechen kann. Der positive Stellenwert der Nation im deutschen Gefühlshaushalt kehrt zurück. Die Nation wird auf den Spuren Ernest Renans von führenden CDU-Politikern wie Merkel, Kauder, Koch oder Stoiberals "Schicksalsgemeinschaft" beschworen sie.
Es geht um die Frage nach den Bindekräften unserer Gesellschaft, die durch Globalisierung der Produktion, schwindende ökonomische Integrationskraft, Sichabschwächen sinnstiftender Milieus, die immer weiter auseinanderklaffende Schere von "oben" und "unten" und die atomisierende Pluralität der Lebensstile und -optionen gekennzeichnet ist. Das im Christentum verankerte Leitbild der Union "Freiheit in Verantwortung" konkretisiert sich im "Zusammengehörigkeitsgefühl" (Wolfgang Schäuble) durch "nationale Identität", "Nationalbewusstsein". Junge Union-Chef Philipp Mißfelder 2004 spricht gar von "Nationalstolz": "stolz zu sein auf das, was hier geleistet wird, und auch stolz zu sein, ein Deutscher oder eine Deutsche zu sein". Daraus leitet sich Verantwortung für die res publica (nicht nur "Eigenverantwortung") in der "Bürgergesellschaft" ab, die soziale Differenz durch Solidarität mildert - Angela Merkel hat sie als "vielleicht eine der wichtigsten patriotischen Fähigkeiten" bezeichnet - und den Boden bereitet für "Kraftanstrengung" und "Reformbereitschaft", "um unser Land insgesamt voranzubringen" (Roland Koch).
Kein Zweifel: Jede Form von Liebe motiviert, auch Vaterlandsliebe, Nationalbewusstsein, Nationalstolz. Aber das macht die Frage nach dem "Nationalen", auf das sie sich als Liebesobjekt beziehen, umso dringlicher. Es gehört sicher dazu, wenn wir "die aus unserer Geschichte erwachsenen maßgebenden Grundsätze der Menschlichkeit" zur "eigenen Mission" erklären (Christoph Böhr) und wenn wir auf "Verfassungspatriotismus", auf unsere in der Verfassung niedergelegte Wertordnung verweisen.
Darauf können wir ebenso "stolz" sein wie auf unseren Umgang mit unserer jüngsten Vergangenheit. Aber reicht das allein aus, um positive Emotionen, seelische Schwingungen freizusetzen? "Nationale Identität" im Großen konstituiert sich durch das, was "Heimat" im Kleinen konstituiert, was Nation und ihre Differenz zu anderen ermöglicht: Die gemeinsame Sprache, die gemeinsame Geschichte, die gemeinsamen Symbole und Feiern, die religiöse Herkunft, die historisch gewordene kulturelle Tradition, die als wertvoll weitergegeben werden müssen, insbesondere in der Staatsrepräsentation und mit hoher Verbindlichkeit in den verpflichtenden Bildungseinrichtungen. Sonst fehlt der Resonanzboden.
So verstanden setzt Patriotismus Verständigung und Entscheidung darüber voraus, wie wir mit uns selbst und mit denen umgehen wollen, die aus nichtwestlichen Kulturkreisen zu uns kommen, ob wir also diese Elemente bewusst pflegen, sie attraktiv machen, in entsprechenden Kontexten auch (vor-)leben und wie wir sie den "anderen" mitteilen. Man mag den Begriff "Leitkultur in Deutschland", den Norbert Lammert im Oktober 2005 wieder ins Gespräch brachte, nicht mögen, aber was gemeint ist, müsste eine Selbstverständlichkeit sein: die Reflexion darauf, was eben die "gemeinsam getragene(n) Überzeugungen" ausmacht und welche Bedeutung dabei unserer eigenen ("christlich-abendländisch" geprägten) Tradition und Kultur und ihrer Vermittlung zukommen soll.
Der Autor ist Mitarbeiter der Konrad-Adenauer-Stiftung und Lehrbeauftragter an der Universität Bonn.