Sie tragen mitunter schwarze Schaftstiefel, Fahnen, Degen und bunte Schärpen. Sie feiern "Kommerse" und "Kneipen" und haben Funktionen inne wie Fuchsmajor, Charge, Alter Herr oder Hohe Dame. Bei den Studentenverbindungen, so scheint es den meisten Beobachtern, sind die Uhren in der Kaiserzeit stehen geblieben. Doch trotz Studentenunruhen, Wiedervereinigung und Globalisierung haben sie ihren Platz im deutschen Universitätsleben bis heute behauptet. "Wir stellen uns schon alle zehn Jahre die Frage: haben wir uns nicht überlebt?", sagt der Sekretär des Kartellverbands der Katholischen Deutschen Studentenverbindungen (CV), Richard Weiskorn. "Aber wir halten unsere Ideale noch immer für zeitlos." Für den CV lauten sie: Religion, Freundschaft, Wissenschaft und Vaterland.
Rund 20.000 Studenten engagieren sich nach Schätzung des Convents Deutscher Akademikerverbände im deutschen Verbindungsleben. Die Anzahl der einzelnen "Aktivitas", die teilweise nur bis zu zehn Mitglieder haben, ist kaum zu ermitteln. Es gibt katholische und evangelische Verbindungen, Corps, Burschenschaften, Landsmannschaften, Turner- und Sängerschaften und mittlerweile auch 20 bis 30 Damenverbindungen. Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber gehört einer Verbindung ebenso an wie der SPD-Politiker Friedhelm Farthmann oder der Fußballnationalspieler Christoph Metzelder. Jede Korporation hat ihr eigenes Profil, alle jedoch haben zwei gemeinsame Prinzipien: Entscheidungen werden im Konvent, also basisdemokratisch, getroffen und die Mitglieder verpflichten sich zu einem Lebensbund, stehen lebenslang auch nach ihrem Studium füreinander ein. Heutzutage bezeichnen sie das, was häufig als Seilschaft kritisiert wird, gerne als Netzwerk.
"Das studentische Verbindungsleben ist kontinuierlich. Es läuft jahrzehntelang geordnet weiter unabhängig von äußeren Einflüssen", beschreibt Wolfgang von Wiese, Vorstandschef der Neuen Deutschen Burschenschaft, das Phänomen. Die Suche nach Gemeinschaftsgefühl, verbindlichen Ritualen und Traditionen sind die Hauptmotive, die Studenten und Studentinnen auch heutzutage noch zu einer Korporation hinziehen. "Fundament unseres Bundes ist der Wunsch nach lebenslanger Freundschaft und das Bewusstsein unserer Rolle als verantwortliche Mitglieder unserer Gesellschaft", erklärt zum Beispiel Susanna Zwick von der Salia Würzburg. Rund 17 Aktive und 38 "Hohe Damen", also Akademikerinnen im Berufsleben, zählt diese 1994 gegründete Damenverbindung.
Das Leben in der Aktivitas vermittle Teamfähigkeit, Organisationsvermögen, Rhetorik und Kommunikationsfähigkeiten, so die 32-jährige Betriebswirtschaftlerin, die mittlerweile zur "Hohen Dame" aufgestiegen ist. "In unserer Verbindung wird man gefördert und gefordert." Das Tragen von "Farben" in Form von Band, Schärpe und Samtbarett gehört für Zwick ebenso selbstverständlich zum Verbindungsleben wie der so genannte Weincomment - statt Bier bevorzugen die Salierinnen Rebensaft.
"Wir müssen keine Farben tragen", sagt auch Johannes Kaesgen: "Aber für uns gehört diese Tradition dazu und sorgt für ein stimmungsvolles Ambiente." Kaesgen gehört zu den 25 Aktiven der Darmstädter Burschenschaft "Frisia", deren Wurzeln bis ins Jahr 1885 zurückgehen. 27 Verbindungen gibt es allein in der hessischen Universitätsstadt. Die "Frisia" nennt ihre erste Verpflichtung das Studium. Hier lernt man fechten, es besteht aber keine Mensurpflicht.
"Freiheit, Ehre, Vaterland" lautet das Motto der deutschen Burschenschaften, ein Wahlspruch, der nicht selten auf Kritik stößt, vor allem seit Burschenschaften - wenn auch nur wenige, wie etwa die "Danubia" in München - als rechtsextremistische Organisationen ins Visier des Verfassungsschutzes geraten sind. Dabei taucht die Vaterlandsliebe nicht nur bei den Burschenschaften, sondern im gesamten deutschen Verbindungswesen in ganz unterschiedlichen Nuancen auf. Ein bisschen mehr "gesunden Patriotismus wie bei der Fussball-WM" wünscht sich etwa Susanna Zwick. Er sei stolz ein Deutscher zu sein, erklärt Johannes Kaesgen. "Ich vergleiche uns gerne mit einem deutschen Kulturverein", eine Definition, die auch der des Kartellverbands nahe kommt, wo jeder, der aufgenommen wird, "dem deutschen Kulturgut nahe stehen und der deutschen Sprache mächtig sein muss", wie der Verbandsvorsitzende Weiskorn betont.
Der Vaterlandsbegriff hat gerade innerhalb des Burschenschaftswesens zu Kontroversen geführt, die 1996 die Abspaltung der Neuen Deutschen Burschenschaft (NDB) von der Deutschen Burschenschaft (DB) und die Gründung eines eigenen Dachverbands zur Folge hatten. Während die Deutsche Burschenschaft sich in Anlehnung an die Urburschenschaft von 1815 an einem "volkstumsbezogenen" Vaterlandsbegriff "unabhängig von staatlichen Grenzen" orientiert, beziehen sich die Mitglieder der NDB seit der Wiedervereinigung auf den deutschen Staat als Vaterland.
"Gerade in einer Zeit, in der nationale Minderheiten wieder verstärkt wahrgenommen werden", findet der Sprecher der Deutschen Burschenschaft, Norbert Weidner, "ist unser volkstumsbezogener Vaterlandsbegriff wieder en vogue." Ziel sei "die friedliche Verbindung aller Teile des deutschen Volkes in einem gemeinsamen Staat oder in anderer Form im Rahmen eines geeinten Europas". Weidner verortet die DB-Burschenschaften tendenziell durchaus im rechten Lager, betont jedoch das Bekenntnis zu Demokratie und Rechtsstaat. Nach Auffassung der Verbandsführung gebe es keine "schwarzen Schafe", rechtsradikale Vorwürfe hätten sich stets als haltlos erwiesen.
Eine klare Distanzierung von allen Aktivitas, die in eine nationalistische Richtung abdriften, fordert der NDB-Vorsitzende von Wiese, der Burschenschaften als Teil der Gesellschaft betrachtet und wegkommen möchte von dem Stempel "nur konservativ". Nicht alles sei schließlich "typisch deutsch", sagt der Tierarzt, der seiner Verbindung, der Teutonia in Hannover, seit fast 40 Jahren angehört. Patriotismus bedeutet für ihn zwar Stolz auf die deutsche Demokratie mit ihren Grund- und Menschenrechten und auf Traditionen, aber auch Bewusstsein für die Schattenseiten der deutschen Geschichte. Der Vaterlandsbegriff der NDB definiere sich mehr und mehr in Richtung eines europäischen Patriotismus, sagt von Wiese, "denn Deutschland - in den politischen Grenzen der BRD - ist nur ein Vaterland unter vielen."