Auch wenn sie die Sweatshirt-Jacke mit Städtenamen nicht mal mehr zum Joggen tragen würden: Ein augenzwinkerndes Bekenntnis zur eigenen Stadt auf der Tasche oder einem Bekleidungsstück gilt jungen Großstädtern als selbstverständlicher Ausdruck ihrer Heimatliebe. In diesem Sommer konnte man sich unter anderem in München als "Isarfaulenzer" präsentieren, in Berlin den "Palast der Republik" in Wort und Bild spazieren tragen, in Dresden den Zwinger, in Köln ein Stück des Stadtplans und in Düsseldorf die verfremdete Telefonvorwahl null-zwo-elf.
Ein bisschen ironisch muss es wohl schon sein, damit die Käufer in den Szenevierteln zugreifen. Nicht alles ist allerdings wirklich stadtspezifisch: Motive wie den Fernsehturm mit dem Schriftzug "Zu Haus" oder den lokalen U-Bahnplan, dessen Linien ein stilisiertes Zootier bilden, gibt es mit jeweils angepasstem Design unter anderem in Hamburg, Dortmund, Frankfurt und Stuttgart. Städte-Devotionalien sind gerade ein gutes Geschäft.
Dass man mit Heimat wieder unverkrampft umgeht, dass das kollektiv schlechte Gewissen früherer Jahre verschwunden ist, haben nicht nur junge Modemacher entdeckt. Der Begriff, in seiner Bedeutungsgeschichte romantisch befrachtet, ideologisch missbraucht und trivialisiert, scheint plötzlich wieder neu und frisch. Als der Deutsche Sprachrat 2004 "Das schönste deutsche Wort" suchte, da landete "Heimat" unter den Einreichungen im Inland auf Platz vier. Häufiger schlugen die Deutschen nur "Liebe", "Gemütlichkeit" und "Sehnsucht" vor.
Es ist sicher kein Zufall, dass in dieser Liste der Wunsch nach Geborgenheit gleich vierfach zum Ausdruck kommt. Denn je größer und mobiler die Welt für den einzelnen wird und je austauschbarer die Lebenswelten scheinen, desto mehr suchen die Menschen ihre eigenen, vertrauten Nischen. Wo politische oder soziale Grenzen fallen, steigt das Bedürfnis nach abgesteckten emotionalen Revieren. Im Zeitalter der Globalisierung hat der Begriff Heimat für 56 Prozent der Deutschen an Bedeutung gewonnen, fand der "Spiegel" schon vor der Jahrtausendwende in einer Umfrage heraus. 25 Prozent der Befragten fanden ihn allerdings weniger wichtig als früher.
In Köln musste die Heimatliebe nicht erst wachsen. Die Stadt ist seit jeher dafür bekannt, dass ihre Bewohner oft geradezu trunken sind vor Lokalpatriotismus und ihre Begeisterung auch gerne in die Welt hinaustragen. Das erlebten Fernsehzuschauer auch während der Fußball-WM, als bei Spielen in Köln - egal wer gerade gegeneinander antrat - ein vieltausendstimmiges "Viva Colonia" durch das Stadion hallte.
Heimat - das ist nicht das vereinte Europa und auch nicht Deutschland. Das Herz schlägt für das direkte Umfeld, wie auch die erwähnte "Spiegel"-Umfrage zeigte: Knapp 90 Prozent der Befragten nannten als Bezugspunkt entweder Geburts- oder Wohnort oder die Region, wo Familie oder Freunde ein soziales Netzwerk bilden. Der Kölner fokussiert seine Heimatgefühle oft sogar auf das Viertel, in dem er verwurzelt ist und das er - dank meist noch intakter Infrastruktur - alltags kaum verlassen muss. Das Bläck Fööß-Lied "In unserm Veedel" wird denn auch gerne inbrünstig, mit feuchten Augen und einem frisch gezapften Kölsch in der Hand mitgesungen. Überhaupt das Singen: Wo Kölner feiern, erklingt über kurz oder lang kölsches Liedgut von Schunkel bis Rock, und nach wenige Tönen stimmt man textsicher ein. Noch mehr wahrscheinlich als das flüssige und das gesprochene ist das gesungene Kölsch ein verbindendes Element in der Domstadt. Das gilt nicht nur, aber natürlich auch im Karneval, einem weiteren sozialen Bindemittel und Identitätsstifter für die kölsche Seele.
Die singende Menschenmenge bei der Karnevalssitzung "Lachende Kölnarena" war es auch, die den Fernsehjournalisten Andre Zalbertus überzeugte, dass Köln die Stadt sei, "in der gefühlsbetontes Lokalfernsehen am ehesten funktioniert". Als "Heimatfernsehen" ist der von Zalbertus gegründete Kölner Stadtsender Center TV seit Oktober 2005 auf Sendung. Lokal im Kabel und ansonsten über Internet präsentiert er: Kölner Viertel, Kölner Persönlichkeiten, Kölner Sport und natürlich Kölner Karneval. 103 der 105 Vereine habe man ins Fernsehen geholt, erklärt Zalbertus, der im Hauptberuf mit seinem Produktionsunternehmen AZ Media für verschiedene Fernsehsender arbeitet.
Man kann in dieser unverbrüchlichen Identifikation mit der Stadt, in dem Sehnen nach einer heilen Welt baden, auch wenn man ahnt, dass sie nicht wirklich so ist, wie man es gerne hätte. Wer kritischer hinschaut, sieht eine etwas wurstige Selbstzufriedenheit, und die treibt etwa Intellektuelle und Künstler in eine verzweifelte Hassliebe zu der Fast-Millionen-Stadt, die meist gerade da, wo sie großstädtisch daherkommen will, echte Provinzialität ausstrahlt.
Doch auch die Skeptiker finden Liebenswertes an ihrer Stadt - etwa die Kommunikationsfreudigkeit ihrer Bewohner und die ausdrucksstarke, bildreiche Sprache, die zu Neubildungen geradezu einlädt, sich neuen Wirklichkeiten anpasst und "nutzloses Inventar abstreift", wie die "Akademie für ons kölsche Sproch" festgestellt hat, die sich seit 1983 für den Erhalt und die Förderung des Dialekts einsetzt. Kölsch spricht man im Karneval, in Mundart-Theatern wie dem Volkstheater Millowitsch und der Puppenbühne Hänneschen-Theater, aber auch die regionale Werbung greift gerne darauf zurück. Im Alltag wird unverfälschter Dialekt zwar nicht mehr so häufig gesprochen, wohl aber eine entschärfte Version: Ein rheinisch abgeschliffenes, singendes Hochdeutsch mit zahlreichen kölschen Ausdrücken.
Das verstehen und sprechen auch die "Imis", die Zugewanderten, egal ob aus Bayern, Berlin oder vom Bosporus, die zumindest vom Gestus her schnell eingemeindet werden. Zwar wird der Kölner nicht immer seinem Selbstbild gerecht, dem zufolge er nicht nur fröhlich, sondern auch obrigkeitskritisch und weltoffen ist. Aber er neigt eher zur Vereinnahmung als zur Abgrenzung. Ob beim Einkaufen im "Veedel" oder bei Reisen rund um die Welt: Die Kölschen werden auch künftig jeden wissen lassen, dass sie ihre Heimatstadt lieben. Und wer weiß, vielleicht machen es die Hamburger, Dortmunder, Frankfurter und Stuttgarter ja genauso, auch wenn die lustigen T-Shirts längst als Putzlumpen dienen.
Die Autorin ist freie Journalistin in Köln.