Voller Selbstironie lässt der gelernte Schauspieler den Alltag seiner "ganz persönlichen Parallelgesellschaft" derzeit auf deutschen Kleinkunstbühnen lebendig werden. Mit viel Erfolg, denn sein erstes Soloprogramm "Fatihland" stellt die richtigen Fragen zur richtigen Zeit: Wer sind die Kinder der ehemaligen türkischen Gastarbeiter? Wie sehen sie ihr Geburtsland? Was erleben sie in ihren beiden Lebenswelten? Wo fühlen sie sich Zuhause? Cevikkollu beantwortet sie unterhaltsam und ohne erhobenen Zeigefinger.
Den smarten 34-Jährigen haben diese Themen schon immer beschäftigt. Dass viele hier lebende Ausländer sich auch nach Jahrzehnten noch fremd fühlen, führt er auch auf politisches Versagen der Deutschen zurück: Zu spät habe man begriffen, dass die Gastarbeiter und ihre Familien nicht nur für ein Intermezzo bleiben. "Wäre die Option des Hierbleibens früher mitberechnet worden, dann wäre eine ganz andere Situation entstanden", sagt er nachdenklich. Nun fehlten aber die Strukturen für eine wirkliche Integration.
Als Jugendlicher litt Cevikkollu unter einem ständigen "Stand-by-Modus". Lange Zeit redeten seine Eltern sich und ihren Kindern ein, sie würden wieder in die Türkei zurückgehen. "Das Mantra war: Wir kehren zurück, der Vater muss nur eben nochmal 20 Jahre ranklotzen", scherzt er auf der Bühne. Vor allem seine türkischen Zuschauer lachen wissend, wenn er den obligatorischen Urlaub in der Türkei als "jährlichen Ernstfall" dieser drohenden Rückkehr beschreibt. "Da hieß es: Hinein in den Ford-Taunus und auf der Rückbank durchhalten - drei Tage, 3.000 Kilometer, zehn Stunden täglich." Nur um in der Türkei zu spüren: Hier gehören wir auch nicht mehr hin.
Je älter er wurde, desto weniger verstand Cevikkollu, warum die Eltern ihr Leben auf diese Rückkehr hin aufbauten. Er war in eine katholische Grundschule und auf eine Gesamtschule gegangen, sprach perfekt Deutsch, hatte türkische und deutsche Freunde und fühlte sich wohl. Was sollte er in der Türkei? Als er alt genug war, stand für Fatih Cevikkollu fest: Ich bleibe hier - und er verstand, dass seine Eltern unausgesprochen dasselbe von sich wussten.
Sich von der Erwartung zu lösen, irgendwann in ein fremdes "Vaterland" zurückzugehen, war die eine Sache. In Deutschland den eigenen Weg zu finden, war eine andere. Cevikkollu ließ sich nach dem Abitur treiben, probierte viele Jobs aus, kam zufällig zur Schauspielerei. "Erst als ich zum Theater ging, hatte ich zum ersten Mal einen Platz in der Gesellschaft gefunden", sagt er. Cevikkollu durchlief als erster türkischstämmiger Deutscher die Schauspielausbildung an der Hochschule Ernst Busch in Berlin und war von 2001 bis 2004 Ensemblemitglied im Schauspielhaus Düsseldorf. Doch da hielt es ihn nicht: "Am Theater bist du Leibeigener", sagt er und verzieht das Gesicht. "Mir fehlte der kreative Freiraum." Sein festes Einkommen hatte der sprachgewandte Mann schon während des Studiums gesichert: Seit 1999 steht er jeden Sommer für die RTL-Sitcom "Alles Atze" in der Rolle des Murat vor der Kamera. Mit dieser Sicherheit im Rücken entwickelte der Kölner Schritt für Schritt sein eigenes Programm. Er wollte etwas erzählen über sein Leben zwischen zwei Kulturen und zum Vermittler werden. Deutsch-türkische Rollenvorbilder? Fehlanzeige! Doch allmählich tastete sich der Schauspieler an die passende kreative Form heran. Er machte erste Schritte als Rapper und stellte sich dann versuchsweise als Comedian auf die Bühne. "Bei meinem ersten Auftritt ging alles schief, aber das Publikum lachte", erinnert er sich grinsend. "Die Botschaft war also: Ich bin lustig." Seit 2005 ist sein Soloprogramm fertig.
"Fatihland" ist eine Mischung aus urkomischer Stand-up-Comedy und beißendem politischen Kabarett, das den Zuschauern eine Reihe Aha-Erlebnisse über das Leben als Deutsch-Türke beschert. Er wolle verdeutlichen, welche emotionalen Botschaften von der Gesellschaft an die Migranten gesendet werden, so Cevikkollu. Wie ausgrenzend Aktionen wie die CDU-Unterschriftenaktion gegen die doppelte Staatsbürgerschaft oder die Debatte um die "Deutsche Leitkultur" gewesen seien. In "Fatihland" liest er aus dem Gesprächsleitfaden für die Einbürgerungsbehörden in Baden-Württemberg vor, den er schlicht "Moslem-TÜV" nennt. "Bestes Kabarettmaterial", findet er. Die Fragen klingen so absurd, dass manche Zuschauer nicht glauben, dass Cevikkollu aus dem Originaldokument zitiert.
"Das Hauptgefühl der Deutschen gegenüber den Ausländern ist zurzeit die Angst", bedauert der Kabarettist. "Über Kontrolle möchte man Sicherheit erreichen. Aber das funktioniert nicht, für Sicherheit kann nur Vertrauen sorgen." Vielleicht verhelfe ein gemeinsamer Feiertag zu mehr Verständnis, scherzt er auf der Bühne: "Der könnte ja Allah Heiligen heißen."
Wo gehört er nun hin, der Kabarettist Fatih Cevikkollu? Zu beiden Lebenswelten spürt er Distanz. Die türkische Kultur in Deutschland hat für ihn etwas von einem verzweifelten Versuch, etwas Konservatives lebendig zu halten, was es in der Türkei schon längst nicht mehr gibt. Und bei den Deutschen sieht er ein kulturelles Vakuum, weil sie sich selber nicht mögen würden. "Die Schnittmenge der Ausländer und Deutschen ist eine Form der Heimatlosigkeit. Die einen sind territorial und die anderen kulturell heimatlos", lautet seine Analyse.
So manche typisch deutsche Eigenart - wie das "Recht auf Empörung" - will Fatih Cevikkollu allerdings schon in sich entdeckt haben. "Manchmal fühle ich den Hans in mir", lächelt er. Auch als das Land die WM im schwarz-rot-goldenen Taumel feierte, fieberte der Kölner begeistert für Klinsmanns Truppe mit. Als ihn jemand darauf ansprach, dass sein Land ja gar nicht für das Turnier qualifiziert sei, konterte er: "Was? Wir sind Veranstalter!" Also doch ein deutscher Patriot? Die Antwort kommt zögernd: "Wir sind ein Volk. Auf eine Art. Ein Stück weit."
Die Autorin ist freie Journalistin in Köln.