Jeder ist auf seine Art ein Patriot, man kauft bei "seinem" Bäcker, man fiebert für seinen Fußballclub. Unternehmer sind da nicht anders. Sie sind mit Begriffen wie Tradition und Heimatverbundenheit viel stärker vertraut als Manager, die Job und Arbeitgeber häufig wechseln. Die Hinwendung des Familienunternehmers zum Standort ist so selbstverständlich, dass man darüber nicht redet, sondern handelt: mit Spenden, mit solidem Wirtschaften, als Leumund. Und lieber gibt man einem Mitarbeiterkind eine berufliche Chance als einem fremden Bewerber. Aber auch ein Patriot muss rechnen. Wird der Stammbäcker zu teuer, geht man schon mal zur Konkurrenz oder gleich in den Supermarkt. Spaß macht das nicht, aber was hat es mit fehlendem Patriotismus zu tun, Vergleiche über das Preis-Leistungsverhältnis anzustellen? Für Unternehmer wäre die Standortfrage auszublenden, eine nicht zu rechtfertigende Vernachlässigung ihrer Führungsaufgaben. Eine Gemeinde, die mit ihren Steuereinnahmen keine Infrastrukturinvestitionen getätigt, sondern eine Oper gebaut hat, wird es dann auch schwer haben, einen Spediteur zu halten. Erst recht nicht mit dem Argument, der Unternehmer hätte schließlich vom reichhaltigen Kulturangebot profitiert, da müsse er der Gemeinde die Treue halten. Vom Opernbesuch, der über schlechte Straßen führt, kann man keine Löhne bezahlen.
Städte und Gemeinden stehen im gleichen Standortwettbewerb wie Länder und Staaten. Verständlich, dass jeder Finanzminister die sittliche Grenze von Ansiedlungsentscheidungen gerne genau dort zieht, wo seine Haushaltszuständigkeit endet. Die moralinsauere Patriotismusdebatte im Zusammenhang mit angeblichen Steuerausfällen ist daher fadenscheinig und der Tonfall richtet sich nach der Größe des Haushaltslochs. Zugleich sollen Debatten dieser Art über den Reformstau hinwegtäuschen, der seit Jahren die deutschen Standortbedingungen im internationalen Wettbewerb verschlechtert. Einen Ausweg aus schlechten Wettbewerbsbedingungen kann der Unternehmer eben nicht mehr am Standort finden, es sei denn, die Rahmenbedingungen werden durch Politik verbessert. Nicht der Unternehmer, der unpopuläre Standortentscheidungen trifft, ist unpatriotisch. Die Politik vertreibt durch populistische Stimmungsmache und unsolide Haushaltspolitik die Leistungsträger. Unpatriotisch ist, wer ein gestörtes Verhältnis zu seinen Eliten hat. Auf der Jagd nach der Wählerstimme fällt der Politik nun nichts besseres ein, als neben multikulturellen, ökologischen, barrierefreien Diskriminierungsaversen nun auch patriotische Produkte und Dienstleistungen von Unternehmern zu fordern.
Während der deutsche Unternehmer dennoch immer noch Flagge zeigt, obwohl jeder unterstellt, alle wären schon "auf dem Sprung" ins Steuerparadies, ist der deutsche Konsument schon lange kein Patriot mehr. "Billig" regiert hierzulande das Käuferverhalten. "Made in Germany" wissen allenfalls die ehemaligen Schwellenländer zu schätzen, die in einer rasanten Aufholjagd deutsche Produkte nachfragen. Kein Arzt, kein Polizist, kein Standesbeamter kann seinen Dienst patriotisch gestalten, sollte er auch nicht. Warum wird also ein Unternehmer ständig für gesellschaftliche Fehlentwicklungen verantwortlich gemacht? Ein Unternehmer ist jemand, der die Gestaltungspotenziale einer Gesellschaft als Chance begreift und die Freiheit nutzt, um Werte zu schaffen. Dabei entstehen Produkte, Dienstleistungen, Arbeitsplätze und Steuern. Da der Staat über Jahrzehnte immer wieder in das Handeln eingegriffen hat, sind die Handlungsspielräume für Unternehmer kleiner geworden. Logischer Weise geht das direkt zu Lasten von Arbeitsplätzen und Steuereinnahmen. Dennoch fordert Politik vom Unternehmer die Lösung der strukturellen Probleme ein. Parieren die Unternehmer nicht im Sinne des jeweiligen Arbeits- oder Finanzministers, so werden die Gestaltungsspielräume noch weiter beschnitten und das nennt sich dann Wirtschafts- und Sozialpolitik. Überfällige Reformen dagegen werden verschoben, weil sie "politisch nicht durchsetzbar" oder "dem Wähler nicht zu vermitteln" sind. Wenn sich der Staat immer mehr Regelungskompetenz aneignet, um nach Geldquellen zu suchen, so darf er sich nicht wundern, wenn die Bürger jegliches Gefühl für Selbstverantwortung verlieren.
Zu keiner Zeit gab es so viele Stiftungen in Deutschland, nie wurde von Unternehmern dem Gemeinwohl so viel Kapital und Zeit zur Verfügung gestellt. Und nie waren Staatsquote und Arbeitslosigkeit so hoch, wie heute. Darin besteht ein Zusammenhang. Unternehmer übernehmen immer mehr Verantwortung weit über das hinaus, was sie ohnehin schon zu verantworten haben, weil sie das Versagen der öffentlichen Hand nicht mehr ertragen können. Aber Patriotismus muss man sich leisten können. Wer keine Gewinne macht oder hohe Steuern zahlt, kann nicht Spenden. Da nutzt es dann auch wenig, wenn man Spenden von der Steuer absetzen kann. Und wer Verluste macht, muss ökonomisch vernünftige Entscheidungen treffen, die den Betrieb erhalten, notfalls in Ländern, die bessere Rahmenbedingungen bieten.
Die Autorin ist Unternehmerin und Bundesvorsitzende des Bundesverbandes Junger Unternehmer. Ihr Unternehmen fertig technische Isolierung, konstruktiven Schallschutz und Umwelttechnik in Berlin und liefert weltweit aus.