Die Wahrnehmung ist verzerrt: Internationale Großkonzerne sind mit ihren Produktions- und Verwaltungssitzen rund um den Globus vertreten und prägen das Bild von einer globalen Weltwirtschaft, die von heimatlosen Heuschrecken dominiert wird. Dabei spielen zumindest in Deutschland die Großkonzerne faktisch nur eine vergleichsweise geringe Rolle. Getragen wird unsere Volkswirtschaft von mittelständischen Unternehmen, von denen wiederum ein großer Teil "lebenslänglich Deutschland" hat.
Das Institut für Mittelstandsforschung hat hierzu vor einiger Zeit Zahlen geliefert. Demnach gibt es bundesweit rund 3,3 Millionen kleine und mittlere Unternehmen. Diese repräsentieren 99,7 Prozent aller Betriebe, beschäftigen 70 Prozent aller Arbeitnehmer und bilden 83 Prozent der Lehrlinge aus.
Ein Großteil dieser Firmen kann und will Deutschland nicht verlassen. Handwerker, Frisöre und viele andere Dienstleister oder kleine Produzenten müssen dort arbeiten, wo ihre Kunden leben. Doch ihre Standorttreue ist nicht nur durch Sachzwänge geprägt, sondern auch durch die Mentalität. Und von dieser Mentalität, von der lokalen Verwurzelung, profitiert Deutschland.
Schließlich ist "Mittelstand" nicht durch betriebswirtschaftliche Kenngrößen zu definieren. Es sind strukturelle und qualitative Gegebenheiten, die den Mittelstand zu allererst beschreiben. Fundamental ist die Identität von Eigentum und Führung, zumeist in der Rechtsform einer Personengesellschaft. Daraus erwachsen die typischen Merkmale des Mittelstandes. Seine Zielsetzungen sind langfristiger Natur und entspringen der Person und Vision der Unternehmer. Sie werden in Kontinuität und Beharrlichkeit verfolgt, denn mittelständische Unternehmer denken mehr in Jahrzehnten denn in Quartalen.
Mittelständler sind lokal verwurzelt und fühlen sich, oft über Generationen, ihrem gesellschaftlichen Umfeld verbunden. Ich kenne keinen, wirklich keinen Mittelständler, der sich nicht irgendwo sozial engagiert. Ob es um die Unterstützung des örtlichen Fußballvereins geht, um die organisatorische Mitarbeit bei Pfarrfesten oder eine bessere Ausstattung von Schulen und Kindergärten - überall sind Unternehmer in der ersten Reihe dabei. So setzen mittelständische Unternehmen in Deutschland, gemessen an ihrem Umsatz, im Schnitt doppelt soviel Mittel für gemeinnützige Zwecke ein wie die großen Kapitalgesellschaften. Vor diesem Hintergrund wäre es angemessen, von einem Lokalpatriotismus der Mittelständler zu sprechen, statt von einem generellen Patriotismus.
Der Mittelstand wirkt auch auf die gesellschaftliche Struktur unseres staatlichen Gemeinwesens ein und prägt diese. Die unternehmerische Kultur von Freiheit und Verantwortung steht an der Wiege der Demokratie. Die wirtschaftliche Unabhängigkeit befördert eine geistige und politische Unabhängigkeit, eine Freiheit im Denken und eine Souveränität im Handeln.
So mag es nicht überraschen, dass im Mittelstand bürgerlichen Werten und Tugenden ein deutlich höherer Stellenwert zukommt als in anderen Bevölkerungsschichten. Insofern ist es nicht überzogen, den Mittelstand als "Wiege des Wertebewusstseins" und Saatgut für die gesellschaftliche Erneuerung zu einer aktiven Bürgergesellschaft zu sehen.
Diese aktive Bürgergesellschaft, in der es Freiheiten und Freiräume für die Eigeninitiative von unten gibt, und in der diese Freiräume verantwortlich und gemeinwohlorientiert genutzt werden, ist für den Bund Katholischer Unternehmer ein zentrales Leitbild. Wir wehren uns gegen die Vorstellung eines aktivierenden Staates, in dem die Initiative der Einzelnen von der Förderung durch den Staat abhängig ist. Die Seele der Bürgergesellschaft ist eine "Kultur der Selbstständigkeit". Der unternehmerische Mittelstand ist nicht nur das Rückgrat unserer Wirtschaft, sondern auch die tragende Säule dieser Bürgergesellschaft. Diese unternehmerische Kultur von Freiheit und Verantwortung entspricht dem christlichen Menschenbild und der Katholischen Soziallehre.
Auch bei Unternehmern, die sich nicht politisch engagieren, hat die Kultur im eigenen Haus politische Auswirkungen: So wie das Verhältnis vieler Bürger zum Staat vielfach von den Erfahrungen in der Kommune vor Ort geformt wird, prägen die Erfahrungen im eigenen Betrieb das Bild von der Wirtschaft, von der Sozialen Marktwirtschaft. Wenn ich im eigenen Unternehmen eine vertrauensvolle Kultur erlebe, weiß ich, dass zumindest mein Chef keine "Heuschrecke" ist.
Die lokale Verwurzelung des Mittelstandes wirkt sich auch auf den Standortfaktor Bildung aus. Gerade kleine Unternehmen sind abhängig von kompetenten Arbeitskräften. Eine weitere Verschlechterung des Bildungsniveaus oder gar eine Ab- und Auswanderung der bestqualifizierten jungen Menschen würde sie besonders hart treffen. So ist es kein Wunder, dass der Mittelstand 83 Prozent der Lehrlinge ausbildet. Für viele junge Menschen ist das Unternehmen auch eine "Schule der Werte": Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit, Toleranz und Pünktlichkeit werden im Alltag vermittelt. Doch die bislang beschriebenen Tugenden nützen nicht nur der Gesellschaft, sondern auch den Unternehmen. Neuere Forschungen bestätigen, dass Werte in der Unternehmensführung kein Luxus sind, sondern ein wirtschaftliches Erfolgsrezept sein können. Der klassische mittelständische Unternehmer macht dies alles aus dem Bauch heraus. Es gibt aber auch zunehmend werteorientierte Unternehmer, die sich organisieren - etwa bei uns im Bund Katholischer Unternehmer (BKU). Dort gehen wir davon aus, dass Werteorientierung langfristig auch erfolgreich macht.
Dies findet seinen Ausdruck etwa im Konzept des Corporate Citizenship. Dieses Konzept zeigt Wege, wie Unternehmen soziale Projekte so unterstützen können, dass beide Seiten davon profitieren. Solch ein Engagement setzt voraus, dass die Mitarbeiter mitziehen. Und das wiederum funktioniert nur bei einer entsprechenden Wertekultur. Der BKU hat hierzu eine Studie unterstützt, die den Zusammenhang zwischen Werteorientierung und Unternehmenserfolg untersucht. Diese kommt zu dem eindeutigen Ergebnis, dass rund 25 Prozent des Unternehmenserfolges von den gelebten Werten und der Kultur im Unternehmen abhängen.
Die Autorin ist Unternehmerin und CDU-Bundestagsabgeordnete sowie Vorsitzende des Bundes Katholischer Unternehmer (BKU).