Wie zuvor schon die Weltmeisterschaft hat auch der Papstbesuch gezeigt, dass die Deutschen ihren Nationalstolz im positiven Sinne neu entdeckt haben. Es waren diesmal nicht nur die schwarz-rot-goldenen Fahnen, die "normal" neben der festlich schwebenden gelb-weißen des Papstes flatterten. Die Deutschen ließen keinerlei Zweifel aufkommen, dass sie auch stolz darauf sind, dass nach langer Zeit wieder einer ihrer Landsleute Papst ist, der seine bayerische Heimat besucht, um seinen Geburtsort vielleicht zum letzten Mal im Leben zu sehen und seine Landsleute zur Rückkehr zu einem besinnlicheren Leben zu ermahnen.
Auch der Umgang mit dem Papstbesuch ist der Beweis eines neuen deutschen Patriotismus, der binnen weniger Monate einer breiten Weltöffentlichkeit bei zwei Ereignissen demonstriert wurde, die nicht gegensätzlicher hätten sein können, das eine sportlich, das andere hochgeistig. In Italien fand wie fast überall auf der Welt niemand etwas dabei, dass die Deutschen ihren Nationalstolz auf diese Weise nicht länger versteckten. Bei all der Fröhlichkeit, in der er zur Schau gestellt wurde, wurde gänzlich in den Hintergrund gedrängt, dass früher einmal deutscher Patriotismus eine Gefahr beziehungsweise eine Schande gewesen sein soll. Sogar am leicht deutschen Akzent von Benedikt XVI. scheint Italien zunehmend Gefallen zu finden.
Ein deutscher Papst, der den Krieg miterlebt hat, sowie die Wiedervereinigung unter Bundeskanzler Helmut Kohl, die "Normalisierung" unter Bundeskanzler Gerhard Schröder, die Weltmeisterschaft mit ihrem "Fahnenpatriotismus", die beruhigenden Worte von Bundespräsident Horst Köhler und die Anerkennung, die Bundeskanzlerin Angela Merkel in aller Welt zuteil wird, die, wie im Ausland angemerkt wird, ohne "Schuldgefühle" aufgewachsen ist und die das Magazin Forbes zur mächtigsten Frau der Welt gekürt hat - dies alles hat, wie ein amerikanischer Kommentator schrieb, die "Versöhnung der Deutschen mit sich selbst" Schritt für Schritt leichter oder sogar selbstverständlich gemacht. Ein langjähriges Tabu ist gebrochen worden.
Dass diese "Versöhnung" urplötzlich während der Weltmeisterschaft vor den Augen der Welt stattfinden konnte, hat aber auch damit zu tun, dass sich in Italien und anderswo keine kritische Stimme gegen einen neuen deutschen Patriotismus erhoben hat. Ganz im Gegenteil: Während mancher Deutsche noch die italienische Mannschaft als "Spagettis" tituliert, hat kein Medium in Italien die alten Klischees aus der Mottenkiste geholt. Sogar die sonst so deutsch-kritischen Briten hielten sich zurück. Sie machten keinen Hehl daraus, dass ihnen die neuen Deutschen sogar sehr sympathisch sind. Mehr noch: Die schwarz-rot-goldenen aufgemalten Fahnen haben in Italien keinen Kommentar der Angst ausgelöst. Keiner hat von "Kraut"- oder "Kartoffelesser" oder (aus dem Norditalienischen aus dem ersten Weltkrieg hergeleiteten) "crucchi" oder "tugnitt" gesprochen, wie es früher der Fall war.
Zum ersten Mal seit der Wiedervereinigung hat in Deutschland mit der Weltmeisterschaft ein historisches Event stattgefunden, und die italienischen Zeitungen haben mit Zufriedenheit über die "Wiederentdeckung eines nationalen Stolzes" der Deutschen geschrieben, von einem natürlichen, fast leidenschaftlichen Gefühl geleitet. Es war wie eine endgültige Absage zum intellektuellen und kalten Begriff des "Verfassungspatriotismus", der von Jürgen Habermas noch erfunden wurde, um einen Ausweg aus der "Unmöglichkeit eines leidenschaftlichen Patriotismus zu finden". Und dennoch, 16 Jahre nach der Wiedervereinigung, mit der neuen Generation von vereinten Deutschen, die stolz im schwarz-rot-goldenen Fahnenmeer auf den Bildschirmen der ganzen Welt badeten, hat sich jemand in Italien gefragt: "Warum sollte man sich Sorgen machen? Warum sollten die Deutschen sich nicht wie die Franzosen oder die Italiener freuen? Ein Deutschland, das fähig ist, sich ohne Komplexe zu freuen ist vertrauenserweckender als eines, das versucht, die eigenen Gefühle zu unterdrücken."
Eine "normale" und gesunde Suche nach Identität, die also von der Welt akzeptiert worden ist. Und auch in diesen Tagen, in denen die NPD wieder in ein regionales Parlament einzieht, beschränken sich die Kommentare für das Erwachen von extremem Nationalismus auf die Ursachen des Phänomens, das in der problematischen Integration von Kulturen in schwachen Regionen zu suchen ist. Und über die Charakteristika der Neu-Extremisten ist auch in Italien berichtet worden: jung, männlich, ungebildet, sozial schwach oder arbeitslos, Menschen mit wenigen Auswegen. Protestwähler, um die man sich mehr kümmern sollte, um das Phänomen einzugrenzen und dem Image von Deutschland oder seiner wirtschaftlichen Attraktivität nicht zu schaden. Aber eine Parallele mit der Vergangenheit oder eine Gefahr für die Demokratie werden nicht mal erwähnt.
Die Autorin ist Korrespondentin von Corriere della Sera, Frankfurt.