Das hatte sich Bundesverteidigungsminister Franz-Josef Jung (CDU) sicherlich ganz anders vorgestellt. Seit zwölf Jahren liegt das erste Weißbuch der Bundesregierung zur Lage der Streitkräfte vor; die Aufmerksamkeit von Abgeordneten und Publikum scheint - angesichts des begehrten Debattentermins im Bundestagsplenum am 26. Oktober - sicher. Da tauchen Fotos von Totenschändungen aus Afghanistan auf und zwingen den Minister, Stellung zu nehmen.
Jung geht in die Offensive: Mit "Abscheu und Empörung" habe man die Fotos zur Kenntnis genommen. Dieses Verhalten stehe im "diametralen Widerspruch" zu den Werten des Grundgesetzes und zu der Ausbildung, die die Bundeswehr auf der Basis der Grundsätze der Inneren Führung vornehme, so der Minister. Die Streitkräfte würden disziplinar- und strafrechtliche Konsequenzen ziehen. Mittlerweile hat Jung zwei Soldaten vom Dienst suspendiert, vier Männer waren ohnehin nicht mehr bei der Bundeswehr tätig.
Jung bat aber auch um Verständnis für die große Mehrheit der Streitkräfte: 200.000 Soldatinnen und Soldaten seien in Auslandseinsätzen eingesetzt gewesen und hätten ihren Auftrag in einer hervorragenden Art und Weise erfüllt. Er machte deutlich, dass er Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan gebeten habe, die Ausbildungsgrundlagen zu überprüfen.
Walter Kolbow (SPD) vertrat die Ansicht, man habe nachdrücklich dafür zu sorgen, dass den Soldaten Werte und Verhaltensweisen in Ausbildung und Erziehung mitgegeben werden. Diese müssten immer wieder überprüft werden. Die Vorgesetzten und Ausbilder in der Bundeswehr müssten darauf achten, dass diese Werte angewandt werden. Hierzu bedürfe es der Dienstaufsicht vor Ort. Die demokratische Grundordnung mit Überzeugung zu verteidigen, gelte auch bei Auslandseinsätzen. Die Achtung der Würde und der Menschenrechte unterlägen genau denselben Kritieren wie in Deutschland.
Die FDP-Politikerin Birgit Homburger unterstrich, es sei umso "alarmierender", dass angesichts der Prinzipien der Inneren Führung, die seit 50 Jahren in der Bundeswehr gelten, solche Vorfälle möglich seien. Man brauche eine schnelle und restlose Aufklärung. Das sei man vor allem den Soldatinnen und Soldaten schuldig, die sich untadelig verhielten. Über die an den Ereignissen Beteiligten sagte sie: "Wer so etwas tut, hat in der Bundeswehr nichts verloren."
Wolfgang Gehrcke (Linksfraktion) war der Überzeugung, dass das Erleben von Krieg und Gewalt zur "Verrohung und Entmenschlichung" führen kann. Die Weigerung seiner Fraktion, Auslandseinsätzen zuzustimmen, habe auch etwas damit zu tun, dass man die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr vor solchen Prozessen schützen wolle. Man sei viel solidarischer mit diesen jungen Menschen als der Minister es durch seine Politik sei. Renate Künast von den Grünen sprach von entsetzlichen Bildern. Die Soldaten hätten sich vermutlich gar keine Gedanken darüber gemacht, dass die Fotos die Gefahr erhöhen könnten, denen die Soldaten im Auslandseinsatz ausgesetzt sind.
Zum Weißbuch erklärte der Unions-Abgeordnete Bernd Siebert, die Bundeswehr bekomme damit wieder ein sicherheitspolitisches Konzept. Von der SPD begrüßten ihr verteidigungspolitischer Sprecher Rainer Arnold sowie der Abgeordnete Hans-Peter Bartels die Vorlage des Weißbuches. Sie wiesen auf die dort enthaltenen Vorschläge zur Weiterentwicklung der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik und besonders zur Weiterentwicklung der NATO zu einem politischen Dialogforum hin. Homburger kritisierte demgegenüber, im Weißbuch sei keine gesamtpolitische Konzeption erkennbar. Gehrcke nannte es ein "knallhartes Konzept von Auf- und Umrüstung und weltweiten Militäreinsätzen". Künast bemängelte, dass das Weißbuch keine Antworten auf die Schlüsselfragen unserer Zeit gebe.