Wortlaut der Reden
Dr. h.c. Johannes Rau, Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen |
Dr. Dietmar Keller, PDS/Linke Liste >> |
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich gestehe, daß ich lange gezögert habe, ob ich hier das Wort ergreifen sollte. Es ist eine Debatte, die schon ihre merkwürdigen Akzente hat. Seit Tagen haben wir gelesen, was für ein schwieriger Tag für das Parlament das sein werde. Wir haben die Argumente, die ausgetauscht worden sind, alle vorher in vielen Gesprächen schon hin- und hergewendet, und es ist auch für einen selber merkwürdig. Ich weiß nicht, wem von Ihnen es auch so geht wie mir: Da sitzt man da und schüttelt den Kopf bei Rednern, die man seit Jahren und Jahrzehnten verehrt und mit denen man befreundet ist. (Heiterkeit) Da gibt man Leuten Beifall, bei denen man früher keine Hand gerührt hätte. (Heiterkeit und Beifall im ganzen Hause) Da ist man beeindruckt von Argumenten für die Position Berlins. Dann hört man jemanden, der für Bonn wirbt, und man denkt: Na, wenn er es doch ein bißchen anders sagte! -- (Heiterkeit und Beifall im ganzen Hause) Dann kommt man auch in die Situation, in der ich gerade war, als der Regierende Bürgermeister hier so eindrucksvoll vortrug, als er die Stärken Nordrhein-Westfalens, die er den Werbeschriften entnommen hat, (Heiterkeit) noch sehr viel deutlicher dargestellt hat als vor unserer letzten Landtagswahl. (Heiterkeit) Da denkt man: Wie komme ich hier zu einem Diskussionsbeitrag, der der eigenen Linie treu bleibt? Ich gestehe: Was mich an Berlin-Befürwortern am stärksten beeindruckt und verunsichert, ist die Sicherheit ihrer Argumente. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und des Bündnisses 90/GRÜNE) Ich bin oft viel unsicherer in dem, was mich bei dieser Abwägung bestimmt. Ich sage das hier freimütig. Ich will Ihnen sagen, warum ich für den Standort Bonn werbe: Nicht, weil ich es für selbstverständlich halte, daß Diepgen für Berlin und Rau für Bonn ist, sondern weil ich eine Reihe von Überlegungen angestellt habe, die in der Tat auch mit meiner eigenen Lebensgeschichte zusammenhängen. Hier haben viele -- auch der Bundeskanzler hat das getan -- Daten und Fakten genannt, die Motive für die Art der jetzigen Entscheidung geworden sind. Mir ist das am stärksten bei Folgendem zum Bewußtsein gekommen. Sie sind, Herr Kollege Kohl, heute als Enkel Adenauers bezeichnet worden. Ich habe gestern das Glück gehabt, zum Sohn Gustav Heinemanns erklärt zu werden, (Zuruf von der FDP: Zwangsadoptiert!) dabei ist er nur der Urgroßvater meiner Kinder. Ich wurde gefragt, wie mein Ziehvater angesichts dessen, was ich da sagte, wohl dächte. Ich habe darauf nicht geantwortet. Ich habe darauf nicht geantwortet, weil ich es nicht wußte, weil ich nicht weiß, wie ein Mann wie Gustav Heinemann, mit dem ich nun wirklich viele Jahrzehnte meines Lebens in enger Verbindung gestanden habe und dem ich viel zu verdanken habe, in dieser Situation entschieden hätte. Ich sage das, damit wir uns der außergewöhnlichen Situation bewußt sind, in der wir hier entscheiden. Man kann ja begrüßen, daß es einmal quer durch die Parteien geht. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Man kann aber auch besorgt sein, daß die Art, wie wir miteinander umgehen und wie dann die Entscheidung getroffen wird, hernach doch beiden schadet, denen, die für Bonn, und denen, die für Berlin eintreten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Darum meine ich, wir sollten uns über ein paar Sachverhalte einig werden. Der eine Sachverhalt ist für mich, daß wir sagen: Nun hat der Bundestag zu entscheiden. Er hat die Argumente zu wägen, und er hat dann seine Entscheidung zu treffen. -- Deshalb habe ich gezögert, ob hier Regierungschefs der Länder reden sollten. -- Diese Entscheidung des Bundestages muß dann gelten. Ich fände es gut, wenn jede der beiden Seiten dann sagte: Ja, das nehmen wir hin und an, und wir versuchen, der anderen Region zu helfen. Wenn wir zu diesem Konsens nicht kommen, dann wird das hier eine Episode und nicht der Beginn einer Epoche, dann kommen wir nicht voran, bei dem, was doch die eigentliche Auf- gabe ist, auf die sich Bonn- und Berlin-Vertreter jeweils berufen, daß es nämlich um die Angleichung der Lebensverhältnisse in ganz Deutschland geht. Darum meine ich, wir dürfen jetzt nicht den Dauerkonflikt dadurch anlegen, daß wir die Entscheidung, die getroffen werden könnte, im vorhinein als vorläufig erklären; von keiner Seite dürfen wir das tun. Wie die Geschichte später entscheidet, das ist nicht unsere Aufgabe. Unsere Aufgabe ist, jetzt verantwortlich zu entscheiden. (Beifall im ganzen Hause) Darum komme ich noch einmal auf das gestrige Ansprechen von Gustav Heinemann zu sprechen. Ich habe Ihnen eben gesagt: Ich weiß nicht, wie er sich entschieden hätte. Aber ich habe das als Anlaß genommen, mir noch einmal deutlich zu machen: Um so wichtiger ist, daß ich jetzt meine Entscheidung treffe, nicht unter Berufung auf Heinemann oder Weizsäcker oder Wehner oder Brandt, sondern ich, meine Entscheidung jetzt. Ich will Ihnen den Grund sagen. Ich würde ihn gerne in einem persönlichen Dialog dem Regierenden Bürgermeister sagen. Er hat davon gesprochen -- er hat ja recht --, das wäre doch wohl zu bewältigen. Die scheinbare Zumutung, so haben Sie gesagt, wenn ich es mir richtig notiert habe, eventuell in fünf oder zehn Jahren mit Arbeitsplatz nach Berlin ziehen zu sollen, sei doch wohl denkbar und durchstehbar. So habe ich den Satz in Erinnerung. Dann sage ich: Dieser Satz ist für mich ein Schlüsselsatz für meine Entscheidung für Bonn, nicht weil ich glaube, daß Sie die sozialen Probleme hier in der Region geringachten; das gewiß nicht. Die sozialen Probleme hier wären groß. Aber wir würden diese Krise durchstehen; wir würden sie bewältigen; wir würden uns auf die Hilfe anderer stützen und verlassen. Wir würden das bewältigen; das glaube ich. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des Bündnisses 90/GRÜNE) Aber schwer würde das. Ich sage: Der Satz »die scheinbare Zumutung eventuell in fünf oder zehn Jahren« macht deutlich, daß wir in der Gefahr sind, eine Symbolentscheidung zu treffen, eine bloße Geste. Denn in fünf oder zehn Jahren ist es nicht mehr die Frage, jetzt ist die Frage, wie wir den fünf neuen Ländern helfen. Das muß jetzt geschehen, indem wir jetzt mit unseren Mitteln unseren Menschen in Leipzig, in Dresden, auch in Berlin unsere Hilfe angedeihen lassen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP) Nicht die symbolische Wirkung der Geste, daß eventuell in fünf oder zehn Jahren etwas komme, hilft in den fünf neuen Ländern, sondern es hilft, was wir jetzt tun. Darum habe ich vor einem Jahr Vorschläge gemacht. Ich habe vor einem Jahr einen Vorschlag gemacht, eine Einrichtung von Bonn nach Weimar zu legen. Ich habe die Reden von Willy Brandt in Erinnerung, auch die Rede, in der er in Berlin Vorschläge gemacht hat, wir sollten uns doch jetzt über die bundesstaatliche Ordnung Gedanken machen: Was kommt wohin? Was wird denn aus Rostock, aus Greifswald, aus Schwerin, aus Leipzig, aus Dresden, aus Magdeburg, aus Erfurt? All diese Fragen stehen jetzt für uns alle an. Aus diesen Fragen kommen wir nach meiner Überzeugung eben nicht heraus, indem wir jetzt eine Entscheidung treffen, die Berlin noch nicht nützt und der Rheinschiene jetzt schon schadet. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, der FDP und des Abg. Dr. Klaus-Dieter Feige [Bündnis 90/GRÜNE]) Ich weiß nicht, was es bedeutet, wenn es links rot aufleuchtet. Aber das ist gefährlich. (Heiterkeit) Lassen Sie mich noch zwei kurze Sätze sagen: Hier sind die zehn Landtage und die zwei Landesregierungen zitiert worden. Auch mein Freund Jochen Vogel hat sie zitiert. (Zuruf von der CDU/CSU) -- Den nordrhein-westfälischen hat er nicht zitiert, weil der nicht bei den zehn ist. Ich finde, die Landtage und die Landesregierungen haben eine hervorragende Möglichkeit, ihrer Meinung Ausdruck zu verleihen, nämlich am 5. Juli im Bundesrat. Es ist Sache des Bundesrates, was die Landtage und die Landesregierungen sagen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Hier hat jetzt der Bundestag zu entscheiden, und er wird nicht durch Entscheidungen von Landtagen und Landesregierungen präjudiziert. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des Bündnisses 90/GRÜNE) Das letzte, was ich sagen möchte, ist: Meine Damen und Herren, ich habe zu denen gehört, die sich wochen- und monate-, tage- und nächtelang um Kompromisse bemüht haben, weil sie keine Spaltung wollten. Man kann 1986 als Kanzlerkandidat nicht »Versöhnen statt Spalten« rufen und dann hernach sehen, wie die Züge aufeinanderfahren. Nur, wenn jeder Kompromißvorschlag daran gemessen wird, ob er denn auch alles erfüllt, was der andere will, ist das Wesen des Kompromisses verbraucht. Deshalb ist es nicht zu einem Kompromiß gekommen. Darum ist jetzt zu entscheiden. Ich bitte: Entscheiden Sie so, daß die bundesstaatliche Ordnung gewinnt und daß wir die Kräfte und die Sinne wieder freibekommen für die Hilfe in den neuen Ländern! (Anhaltender Beifall bei der SPD -- Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des Bündnisses 90/GRÜNE) Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und Herren, das Wort hat nun der Abgeordnete Dietmar Keller. |