Nach Monaten der Harmonie ist in der niedersächsischen Regierungskoalition ein Streit vom Zaun gebrochen. Es geht um die heikle Frage, ob und wie Sterbehilfeorganisationen verboten werden können. Den konkreten Anlass bietet der in Hannover gegründete Sterbehilfeverein Dignitas. Er ist Justizministerin Elisabeth Heister-Neumann (CDU) ein Dorn im Auge, allein es fehlen ihr die Mittel, um gegen die Organisation vorzugehen. Deshalb will sie per Bundesratsinitiative einen neuen Paragrafen 217 im Strafgesetzbuch verankern, der jede "geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung" unter Strafe stellt. Ihr Ministerium hat den Gesetzentwurf vorbereitet. Er soll die Rechtsgrundlage schaffen, um in Deutschland jedes Geschäft mit dem Tod im Keim zu ersticken. "Unsere Gesellschaft ist voller Ängste und Unsicherheiten. Da müssen wir in existenziellen Fragen klare Werteaussagen machen", so Heister-Neumann.
Doch ihr Koalitionspartner hat das leidenschaftliche Vorhaben der Ministerin erst einmal ausgebremst, aus taktischen und inhaltlichen Gründen. Zum einen fühlt sich die FDP übergangen. Sie will auch bei Gesetzentwürfen eingebunden werden, die für den Bundesrat bestimmt sind. Und zweitens prallen in dieser Frage Weltanschauungen aufeinander. Ein grundsätzliches Verbot der Beratung zum Suizid kommt für die FDP nicht in Betracht aus Gründen des Selbstbestimmungsrechts. FDP-Fraktionschef Philipp Rösler mahnt, man dürfe "Menschen, die sich zur Selbsttötung entschließen, nicht alleine lassen". Es gebe immer wieder ausweglose Fälle, bei denen auch die beste Schmerztherapie nicht helfen könne. Die FDP befürchtet außerdem, dass der von Heister-Neumann weitgefasste Paragraf 217 auch die ehrenamtliche Beratung in der Palliativmedizin unter Strafe stellen würde. Und das geht den Liberalen definitiv zu weit. Ihre ablehnende Haltung gefährdet jetzt die Bundesratsinitiative der Landesregierung, denn laut Koalitionsvertrag müssen sich CDU und FDP einig sein, wenn sie im Bundesrat ein Gesetz vorschlagen. Und mehr noch: Einigen sie sich nicht, müssen sie sich im Bundesrat auch künftig zu diesem Thema enthalten. Will Heister-Neumann ihr Gesetz retten, muss sie also mit der FDP auf einen Nenner kommen.
Eine Steilvorlage für den kleinen Regierungspartner, der jetzt das Verhandlungstempo und die Inhalte bestimmen kann. Und so machte die FDP-Fraktion in der jüngsten Stellungnahme klar, was mit ihr geht und was nicht: Das allgemeine Verbot der Sterbehilfe-Beratung wird sie auf keinen Fall mittragen, man kann sich aber ein Gesetz vorstellen, in dem die "gewinnoriente" Beratung verboten wird, heißt es. So bliebe zumindest die ehrenamtliche Beratung erlaubt. Auf dieses Verhandlungsangebot reagierte die CDU mit gemischten Gefühlen: "Wir sind zwar einen Schritt weiter, weil sich die FDP überhaupt zu einem Gesetz durchringt", so der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU, Bernd Althusmann, dennoch könne sich seine Partei schwer vorstellen, jedwede organisierte Beratung zum Suizid zu erlauben: "Wir wollen Lebenshilfe und nicht Sterbehilfe", erklärt er, "und wir sehen mit Sorge die Ausbreitung von Sterbhilfeorgansiationen in anderen Ländern."
Ein Arbeitskreis der Fraktionen soll jetzt den kleinsten gemeinsamen Nenner der Koaltion ermitteln. Unklar ist, ob sich in den Fraktionen die Hardliner oder die Pragmatiker durchsetzen. Ein Scheitern des Entwurfs wäre für die Ministerin eine Schlappe. Die Koalition wird jedoch an dieser Frage nicht zerbrechen, beteuern beide Seiten. "Wir sind zwei Parteien mit unterschiedlichen Wertvorstellungen", betont FDP-Fraktionschef Rösler. Und Althusmann ergänzt: "Wir müssen in solchen Grundsatzfragen Lösungen finden, bei denen jeder sein Gesicht wahren kann." Aber er appelliert auch an die FDP, mit ihrer Blockadehaltung die Handlungsfähigkeit der Regierung im Bundesrat nicht zu schwächen. "Ich gehe davon aus, dass die FDP ihre Verantwortung wahrnimmt". Und auch die Justizministerin hofft auf eine Einigung, selbst wenn ihr Entwurf Federn lassen muss. "Wir haben dann immerhin den Anfang gemacht. Das Thema ist gesellschaftlich relevant und wird im Bundesrat früher oder später auf die Tagesordnung kommen", so Heister-Neumann. Fragt sich nur, ob die niedersächsische Landesregierung dann einig und stimmfähig ist