Dem jungen Wirtschaftszweig haben Ökonomen und Finanzexperten noch vor wenigen Jahren eine enthusiastische Zukunft prognostiziert. Hatte doch der Bio-Regio-Wettbewerb des Bundesforschungsministeriums in der zweiten Hälfte der 90er-Jahre einen in Deutschland beispiellosen Gründungsboom in der Biotechnik ausgelöst. Unterstützt mit finanziellen Mitteln des Bundes, aus den Regionen und der Finanzwirtschaft schossen hierzulande über 400 neue Unternehmen aus dem Boden, die sich die Erforschung, Entwicklung und Vermarktung von biotechnologischen Produkten und Dienstleistungen auf die Fahne geschrieben hatten. Der Boom katapultierte Deutschland bei der Anzahl dieser Unternehmen in kürzester Zeit auf den zweiten Platz, hinter die führende "Gentechniknation" USA und noch vor Großbritannien. Dort verfolgten Wirtschaft und Politik mit ungläubigem Staunen das rasante wirtschaftliche Treiben im sonst eher bedächtigen Deutschland. In Europa machte schon das Wort vom deutschen "Biotechnikwunder" die Runde.
In diese fruchtbare Zeit fiel auch die Gründung der Biofrontera, wie Professor Hermann Lübbert, Vorstandsvorsitzender und Geschäftsführer des Unternehmens erzählt. Ausgerüstet mit den Rechten an einer Technik, mit der er die molekularen Ursachen von Krankheiten des Nervensystems erforschen kann, machte sich der ehemalige Forschungsmanager eines Schweizer Pharmakonzerns selbstständig. Mit knapp 22 Millionen Mark eingeworbenen Mitteln in der Kasse und einem kleinen exklusiven Mitarbeiterstab entstand so 1997 eines der finanzschwersten deutschen Biotechnologieunternehmen. "Wir hatten uns ein hochgestecktes Ziel gesetzt: neue Medikamente zu entwickeln, mit denen sich Volkskrankheiten wie Alzheimer, Depressionen oder Parkinson heilen lassen", erzählt Lübbert: "Damals suchten die Pharmakonzerne händeringend nach neuen, lukrativen Produkten, um ihre durch auslaufende Patente entstehenden Lücken aufzufüllen."
Die sich überschlagenden Erkenntnisse in der Gentechnik versprachen Ende der 90er-Jahre fast ein Wunder: Erstmals schien eine ursächliche Therapie von bislang unheilbaren Krankheiten in greifbare Nähe gerückt. Vor allem der Roten Biotechnologie, die sich mit der Entwicklung von neuartigen Medikamenten beschäftigt, wurden große Marktchancen eingeräumt. Wie sich mit Hilfe der Gentechnik Milliardenumsätze erzielen lassen, hatten bereits die Pioniere und heutigen Flagschiffe der US-Industrie, Amgen und Genentech, vorgemacht. Solche Aussichten beflügelten die Börsen. Oft genügte schon die bloße Ankündigung eines Entwicklungsziels, um Phantasien und Spekulationen zu entfachen. Doch der Boom hielt nicht ewig an. "Häufige Produkt-Flops und enttäuschende klinische Daten für neue Medikamente haben die ursprüngliche Begeisterung der Börsen deutlich abkühlen lassen", warnten die Branchenbeobachter der Unternehmensberatung Ernst & Young bereits in ihrem ersten Deutschen Biotechnologie-Report von 1998.
Nicht wenige Unternehmen hatten die anspruchsvollen Aufgaben unterschätzt. Für die marktreife Entwicklung eines neuen Medikaments kalkuliert die Pharmaindustrie mit Investitionen in dreistelliger Millionenhöhe. Außerdem braucht die Forschung Zeit. Von ersten Wirkungstests im Reagenzglas über präklinische und klinische Studien bis zur Zulassung dauert es durchschnittlich zwölf Jahre. Das Risiko, das eingesetzte Kapital auf einen Schlag zu verlieren, ist dabei hoch: Nur einer von zehntausend eingesetzten Wirkstoffkandidaten schafft es bis zum Medikament.
Weil solche Herausforderungen für Branchenneulinge kaum zu bewältigen sind, sahen sich viele deutsche Biotechnologie-Firmen dementsprechend auch zunächst in der Rolle eines "Zulieferers" für die Pharmakonzerne. Sie konzentrierten sich auf spezielle Vor- und Teilentwicklungen in der Hoffnung, diese gewinnbringend an den finanzstarken Partner verkaufen zu können. Eine riskante Strategie für jene Unternehmen, die sich dabei auf einem sehr schmalen wirtschaftlichen Grat bewegten. Der Absturz der internationalen Börsen im Jahr 2000 traf auch die hiesige Biotechnologie-Branche mit voller Wucht. Enttäuschte Investoren zogen ihr Engagement zurück, und auch die Pharmaindustrie knauserte. Dringend benötigte Finanzmittel wurden so knapp, dass einigen Firmen sich auflös-ten oder insolvent wurden. Übrig blieben noch knapp 350 deutsche Biotechnologie-Unternehmen, von denen lediglich zwölf börsennotiert sind.
Zu letzteren gehört auch die Leverkusener Biofrontera. Das Unternehmen, das heute rund 20 hochqualifizierte Mitarbeiter beschäftigt, meisterte die Krise mit einer radikalen Umstrukturierung. Um die anspruchsvollen Ziele, mit denen es einst gestartet war, umzusetzen, blieb keine Zeit mehr, sagt Lübbert heute. "Wir haben deshalb vorentwickelte Wirkstoffkandidaten von anderen Unternehmen eingekauft, die wir nun zügig zur Marktreife bringen wollen." Auf diese Weise wurde das Unternehmen wieder für Geldgeber inte-ressant und konnte den Nachschub durch die eigene Forschung sichern. Eine Strategie, die in der Branche schnell Schule gemacht hat. Noch steckt der überwiegende Teil von derzeit insgesamt 250 Entwicklungen deutscher Biotechnologie-Firmen in einer frühen Phase. Erst zehn Entwicklungskandidaten haben eine zulassungsnahe Phase erreicht.
Biofrontera versucht derzeit vier Entwicklungen zur Marktreife zu bringen. Drei davon hat die Firma in Lizenz erworben. Mit diesen Produkten konzentriert sich das Unternehmen nun auf die Therapie von Haut-erkrankungen. Das erste Medikament, ein Mittel zur Behandlung einer Vorform von Hautkrebs, soll in zwei Jahren auf den Markt kommen. Das könnte den lang ersehnten finanziellen Durchbruch bringen, hofft Lübbert. Trotz hoher Erwartungen bleibt der Firmenchef realistisch. Einen "Blockbuster", wie in der Branche die Milliardenmacher unter den Medikamenten heißen, werde das Unternehmen damit vermutlich nicht platzieren können. "Wir zielen auf die bislang vernachlässigten Nischenmärkte, in denen aber noch einiges an wirtschaftlichem Potenzial steckt", so Lübbert.
Bei einem weiteren Mittel, das noch in der frühen Entwicklungsphase steckt, hält Lübbert immerhin einen "halben Blockbuster" für möglich. Es ist ein Medikament, das Migräne vorbeugend behandeln kann. Schätzungen zufolge leiden rund zehn Prozent der deutschen Bevölkerung an Migräne. Mit dem neuartigen Medikament will das Biotechnologie-Unternehmen in einen Millionenmarkt vordringen. Der wird jedoch auch von anderen Herstellern hart umworben. Kein einfaches Geschäft, weiß der Biofrontera-Chef. Seine Erwartungen begründet er damit, dass das neue Mittel über einen besonderen Vorteil verfügt: Es verursacht keinerlei Nebenwirkungen. Eine Aussage, die er wohlgemerkt erst aus Tierversuchen ableiten kann. Ob sich diese Ergebnisse auf den Menschen übertragen lassen, muss sich erst noch in klinischen Studien erweisen.
Genau an dieser Stelle liegt der Knackpunkt für viele Unternehmen, die sich mit der Entwicklung von Medikamenten befassen. Immer öfter stellen Forscher fest: Was im Reagenzglas oder im Tiermodell funktioniert, muss noch lange nicht beim Menschen Erfolg zeigen. An keiner anderen Stelle in der Entwicklungskette ist das Risiko eines Rückschlages so hoch: Im Durchschnitt wird nur einer von 50 Ansätzen aus der präklinischen Entwicklung erfolgreich weiterverfolgt. Die Ursachen sind vielfältig. In einer kürzlich veröffentlichten Analyse stellt Susan Greenfield, leitende Pharmakologin an der Oxford University, einen Ansatz in Frage, auf den sich bislang viele Entwicklungen stützen: "Auch wenn bei Maus und Mensch 95 Prozent der Gene gleich sind, scheinen genetisch maßgeschneiderte Versuchstiere wie Krebs- oder Alzheimermäuse gerade bei Erkrankungen mit komplexen Ursachen wenig geeignet", urteilt die Forscherin.
In der biotechnologischen Forschung haben mittlerweile viele erkannt, dass gerade für das Verständnis von Erkrankungen beim Menschen weit mehr Informationen nötig sind, als sich aus dem genetischen Bauplan herauslesen lässt. So ist es zunächst wichtig zu verstehen, wie die rund 30.000 menschlichen Gene eine weit höhere Zahl von Proteinen regulieren. Nicht die Gene, sondern die von ihnen geprägten und gesteuerten Proteine sind die Akteure im menschlichen Organismus. Sie bilden das Baumaterial für die Zellen, unterhalten den Stoffwechsel und sorgen als Botenstoffe für das Zusammenspiel der Organe. Hier setzen auch die Medikamente an. Um die Funktion wichtiger Proteine transparent und für die Medizin nutzbar zu machen, ist ein Zusammengehen von verschiedenen Disziplinen nötig. Eine derart vielfältige Expertise können kleine Unternehmen allerdings kaum vorhalten.
Um die Probleme zu bewältigen, schließt sich die zersplitterte Branche bereits zunehmend zusammen und bildet Netzwerke. Nachholbedarf sieht Lübbert allerdings auch an anderer Stelle: "Um in der Biotechnologie international wettbewerbsfähig zu werden, brauchen wir dringend eine bessere Verzahnung von praxisorientierter Forschung und der Grundlagenforschung."
Der Unternehmenschef, der auch mehrere Jahre in den USA gearbeitet hat und heute zusätzlich eine Professur an der Ruhr-Universität Bochum ausübt, plädiert denn auch für neue Möglichkeiten und mehr Mut zu Kooperationen zwischen Universitäten und Unternehmen: "Um langfristig in dem wichtigen Zukunftsmarkt erfolgreich zu sein, brauchen wir Synergien in der Forschung und der Ausbildung des Nachwuchses."
Silvia von der Weiden arbeitet als Journalistin und Buchautorin unter anderem auf dem Gebiet der Bio- und Gentechnologie.