Weil Noam Chomsky mit seinen Veröffentlichungen polarisiert, halten ihn die Einen für den wegweisenden Kritiker der USA, Andere hingegen werfen ihm unhaltbare Übertreibungen vor. Auch sein neues Buch "Der gescheiterte Staat" wird seine Fangemeinde begeistern, zugleich aber bei seinen Kritikern Kopfschütteln hervorrufen, denn Chomskys zentrale These lautet: Ein Staat gilt als gescheitert, wenn er sich nicht um Völkerrecht und internationale Abkommen kümmert, die Sicherheit seiner Bewohner und ihre Bürgerrechte gefährdet, Institutionen und Demokratie unterminiert und die Frei- heit missbraucht. Diese Umschreibung mag als politikwissenschaftliche Definition zutreffen, aber als Charakterisierung der Politik der Regierung von Präsident George W. Bush erscheint sie problematisch.
Gleichwohl zeichnet Chomsky die Entwicklungslinien der Politik von Bush kritisch-angemessen nach: Die offene Missachtung internationaler Verträge und Institutionen, die Agressivität der Außenpolitik, die Erosion der Demokratie im Innern, die Machtkonzentration in der Privatwirtschaft, das unzureichende sozialpolitische Verständnis, die manichäische Weltsicht, die Folterskandale von Abu Ghraib und die völkerrechtswidrigen Praktiken im Gefangenenlager von Guantanamo werden zu Recht gnadenlos kritisiert. Vor allem das kritische Kapitel über die amerikanische Nahostpolitik überzeugt. Doch geht Chomsky zu weit, wenn er zu suggerieren sucht, dass den USA durch Bushs Politik ein ähnlicher Absturz in die Barbarei drohen könnte wie Deutschland nach 1933: "Man sollte sich erinnern, dass sich die Techniken der Nazi-Propaganda an Geschäftsideen und Praktiken orientierten, die in den anglo-amerikanischen Staaten entwickelt wurden. (...) Goebbels (...) rühmte sich, dass er amerikanische Werbemethoden benutzen werde, um den Nationalsozialismus zu verkaufen wie man Schokolade, Zahnpasta und Medikamente verkauft."
So hinterlässt die Lektüre von Chomskys Buch einen zwiespältigen Eindruck. Die neue neoimperiale Arroganz der Macht der Präsidentschaft Bush wird engagiert angeprangert, doch unterschätzt Chomsky die demokratischen Kräfte der USA, ihre Fähigkeiten zur Selbstkritik und Korrektur. Die Kongresswahlen von 2006 haben dies bestätigt.
Chomsky ahnt wohl selbst, dass er in seinem Buch über das Ziel hinaus schießt, wenn er abschließend feststellt: "Es gibt viele Wege, die Demokratie im eigenen Land zu fördern und ihr neue Dimensionen zu eröffnen. Die Gelegenheiten sind zahlreich und sie nicht zu ergreifen bedeutet, negative Folgen in Kauf zu nehmen: für das Land, für die Welt und für künftige Generationen." So wird schließlich Chomsky selbst zum Fürsprecher des American Dream.
Chomskys Buch ist engagiert geschrieben, oft zu polemisch, aber immer lesenswert. Der systematische und historische Rundumschlag kann jedoch nicht voll überzeugen.
Von ganz anderem Zuschnitt ist das Buch von Joseph Joffe "Die Hypermacht: Warum die USA die Welt beherrschen". Joffe polarisiert nicht, sondern leistet breite Aufklärungsarbeit. Sein Verständnis der USA ist distanziert und engagiert zugleich, durchdrungen von Klugheit und Realismus. Kein Wunder, denn Joffe ist auf beiden Seiten des Atlantiks zu Hause und ein Kenner der amerikanischen Politik.
Joffe weiß an die Leistungen der USA im 20. Jahrhunderts zu erinnern, doch konzentriert sich der Mitherausgeber "Der Zeit" auf ihre Rolle als Hypermacht im 21. Jahrhundert. Nach dem Kollaps der Sowjetunion und nach dem Ende des bipolaren Systems des Kalten Krieges agieren die USA auf dieser neuen Bühne als "entfesselter Riese, als wäre Sparta über Nacht verschwunden, um Athen den Ehrenplatz zu überlassen". Doch diese schöne neue Welt unbegrenzter Ambitionen fand für die Weltmacht am 11. September 2001 ihr jähes Ende. Seitdem agieren die USA nicht mehr als sanfter Hegemon, sondern nach der Formel "Alleingang plus Präventivkrieg".
Der Krieg gegen den Terror lief für Bush von dem Augenblick an schief, als er Irak, Iran und Nordkorea als Achse des Bösen zusätzlich ins Visier nahm und damit erst eine neue, unbeabsichtigte Achse zwischen Terroristen und Schurkenstaaten schuf, die vorher nicht vorhanden war. Imperialer Übermut löste im Irak-Krieg eine Katastrophe aus, die die USA heute außenpolitisch noch mehr zu lähmen droht, wie seinerzeit der Vietnamkrieg.
Joffe schildert nicht ohne Verständnis die Reaktionen der Verbündeten: "Mit Ausnahme einer militärischen Antwort durchliefen die Reaktionen das gesamte Spektrum traditioneller Gleichgewichtspolitik - vom antihegemonialen Diskurs bis zum harten diplomatischen Widerstand." Bei aller Kritik an Bush weist Joffe jedoch auf ein gemeinsames Gut jenseits der antihegemonialen Allianzen hin: auf den Kampf gegen den Terror, der die westliche Welt immer teurer zu stehen kommt und zutiefst spaltet. Joffe präsentiert keine einfachen Antworten, sondern verweist auf die Dilemmata: "Der internationale Terror wird die USA zwingen, entweder den Irak und Afghanistan sich selbst zu überlassen oder dort schier endlos Truppen zu stationieren. Die größte Ironie des 21. Jahrhunderts ist die Verwundbarkeit der größten Macht auf Erden in einem Kampf gegen den kleinsten ihrer Feinde."
Für Joffe sind und bleiben die USA als Weltordnungsmacht unverzichtbar. Doch weil der Kampf gegen den Terror hochproblematisch ausgeweitet werde, sei er im herkömmlichen Sinne nicht zu gewinnen. Deshalb drohe den USA der Verlust ihrer Vormacht und Vorbildrolle. Wie lässt sich dieses Dilemma auflösen? Wie lässt sich die Weltordnungsmacht zukünftig absichern? Joffe verwirft eine Strategie der Weltherrschaft ebenso wie die des Isolationismus. Stattdessen plädiert er für eine amerikanische Gleichgewichtspolitik, die auf Elemente klassischer britischer Gleichgewichtsdiplomatie und bismarckscher Bündnispolitik zurückgreifen sollte: Antihegemonismus ohne Verstrickung, kluge Bündnispolitik und internationale Legitimation sollen als neue und zugleich alte Leitideen, so Joffe, Amerikas Einfluss und Ansehen in der Welt wiederherstellen.
Joffe sieht zur "pax americana" keine Alternative. Keine Supermacht Europa, kein autoritäres Russland, keine pazifischen Mächte wie China oder Japan könnten an Amerikas Stelle als Weltordnungsmacht treten. Allein die USA könnten als überseeische Gleichgewichtsmacht internationales Gemeingut produzieren. Doch weiß er selbst, wie weit die USA heute hiervon entfernt sind. Umso mehr bleibt der Primat der Bündnispolitik, das Festhalten an Legitimation und Multilateralismus wegweisend für den Verfasser.
Joseph Joffe bestätigt mit diesem brillanten Buch seine Rolle als der heutige Walter Lippmann der trans- atlantischen Welt. Wie sein Vorbild weiß Joffe als couragierter Atlantiker Vision und Realitätssinn zu verbinden. Deshalb ist die Lektüre dieses herausragenden Buches mit Nachdruck zu empfehlen.