Das Parlament: Journalisten reden ungern über Traumata. Warum?
Mark Brayne: Es ist eine sehr persönliche Sache. Ein Journalist, der über die Hungersnot in Afrika, über den Krieg im Irak oder über die Folgen eines Tsunamis berichtet, teilt uns die Not der Bevölkerung mit, die betroffen ist. Aber dass sich ein Journalist selbst auch eingesteht, geschweige denn anderen sagt, dass es ihm auch weh tut, mit diesen Emotionen umzugehen, das ist ein gewaltiger Sprung. Es gibt das Klischee, dass der Journalist nicht dazu da ist, um Selbstmitleid zu haben, was auch etwa für Entwicklungshelfer oder Mediziner gilt. Wenn wir über Traumata reden, geht es aber nicht nur um Kriege und Katastrophen, sondern auch um das Trauma zu Hause, um Mordfälle, Misshandlung, Unfälle.
Das Parlament: Wieso ist es so wichtig in diesem Beruf, über die emotionale Gesundheit nachzudenken?
Mark Brayne: In 60 bis 70 Prozent der Tagesnachrichten geht es ja um Traumatisches. Journalis-ten müssen daher Traumata verstehen - wie ein Sportjournalist die Regeln des Fußballs oder ein Wirtschaftsreporter die Arbeit der Börse verstehen muss. Das Bewusstsein in diesem Bereich ist aber relativ neu. Redaktionen und Journalisten haben auch sich selbst gegenüber eine Verantwortlichkeit. Es geht um zweierlei - die journalistische emotionale Gesundheit und den gesunden Journalismus.
Das Parlament: Ist dieses Bewusstsein schon in die Redaktionen vorgedrungen?
Mark Brayne: Bei Polizisten, Rettungskräften und auch im Gesundheitswesen hat es Jahre gebraucht, bis Mitarbeiter bereit waren, ihre eigene Verwundbarkeit anzuerkennen. Aber in diesen Berufen ist es jetzt im Großen und Ganzen geschehen. Viele schämen sich nicht mehr, den Kollegen gegenüber von ihren Reaktionen auf traumatische Erlebnisse zu erzählen, und wenn notwendig sogar die Hilfe eines Beraters zu holen. Die Kultur und das Herangehen des Managements in diesen Berufen - in England, Amerika, auch in Deutschland - ändert sich. Das Gleiche geschieht jetzt auch allmählich im Journalismus - der ja auch ein "First-Responder"-Beruf ist, denn oft sind Journalisten an Ort eines Unfalles oder einer Katastrophe, bevor andere angekommen sind.
Das Parlament: Was können Redaktionen tun, um Mitarbeiter zu unterstützen?
Mark Brayne: Es muss anerkannt werden, dass es weder ein Zeichen der Schwäche noch einer Krankheit ist, wenn man als Journalist nach einem traumatischen Einsatz eine seelisch schwierige Zeit hat. Das Wichtigste ist, dass die Erfahrung solcher Verwundung der Seele nicht tabuisiert wird und dass der Kollege dann im Arbeitsbereich Unterstützung findet. Die meisten Journalisten kommen damit zurecht. Aber manchen wird es seelisch wehtun - und es muss ihnen erlaubt sein, diesen Schmerz ernst zu nehmen und auszudrücken; sie müssen die Möglichkeit haben, mit Kollegen darüber zu reden und, falls notwendig, professionelle Hilfe zu bekommen. Journalisten suchen bei mir als Psychotherapeuten Hilfe, manche haben schon zehn, zwanzig Jahre mit ihren emotionalen Schmerzen in Stille gekämpft. Dieses lange Schweigen darf nicht sein - Journalisten sind stark, aber bedürfen der Unterstützung.
Das Interview führte Petra Tabeling